„Wie eine Lawine über sie hereingebrochen“
Alica Schmidts ehemaliger Trainer Reinhard Köchl spricht über den Aufstieg der jungen Sportlerin
Herr Köchl, Ihr ehemaliger Schützling Alica Schmidt hat eine tolle Entwicklung genommen...
Köchl: Zweifellos. Das ist der größte Erfolg, den die durchaus an Erfolgen nicht arme Leichtathletik-Abteilung des MTV Ingolstadt seit über 20 Jahren hat. Das Schöne ist, dass Alica das klassische Ausbildungsmodell verkörpert. Sie ist mit sieben Jahren zur Leichtathletik gekommen, hat alle Schülerstufen durchlaufen. Von der Spiele- und Kinderleichtathletik, als sie meine Frau Barbara trainiert hat, bis hin zu den Schülern. Als klar war, dass sie ein gewisses Lauftalent hat, wurde sie entsprechend gefördert. Alica ist für mich wie eine Tochter. Wir haben Hochs und Tiefs erlebt. Es ist schade, dass sie nun geht. Es ist ihr aber zu vergönnen und war zu erwarten, dass sie einmal aus Ingolstadt heraus will.
War der Schritt nach Potsdam unumgänglich, da in Ingolstadt keine Leichtathletikhalle zur Verfügung steht und damit Trainingsmöglichkeiten im Winter fehlen?
Köchl: Der Hauptgrund für ihren Wechsel sind privater Natur, da ihr Freund, der als Leistungssportler im Bundeskader Kanu ist, in Potsdam lebt. Nebengründe sind die guten Trainingsbedingungen, die objektiv betrachtet besser sind als in Ingolstadt.
Warum gibt es solche Möglichkeiten in Ingolstadt nicht?
Köchl: In Ingolstadt findet die Leichtathletik kein Gehör, obwohl sich die Stadt ja gerne selbst als Sportstadt Nummer eins in Bayern bezeichnet. Damit meint sie leider wohl nur Fußball und Eishockey und im einstelligen Promillebereich noch das Schwimmen. Wir haben selbst Probleme, unsere Anlagen beim MTV in Schuss zu halten. Man kann nicht gerade von optimaler Förderung sprechen.
Liegt es auch daran, dass die Förderung der Leichtathletik allgemein zurückgegangen ist?
Köchl: Das neue Sportkonzept des DOSB sieht eine gewisse Zentralisierung vor, die leider außerhalb von Bayern stattfindet. Leverkusen, Wattenscheid, Köln, Stuttgart und vor allem die Hochburgen in Ostdeutschland Chemnitz, Jena, Cottbus oder Potsdam sind Stützpunkte. Wir können nur Leidenschaft und Know-how entgegensetzen.
Müssen talentierte Sportler demnach Bayern verlassen, um voranzukommen?
Köchl: Theoretisch ja, praktisch leider auch. Der DOSB schafft Fakten, die man zur Kenntnis nehmen muss. Für die vielen ehrenamtlichen Trainer bei uns ist das nicht gerade motivierend. Für uns zählt, aus der Not eine Tugend zu machen. Es ist möglich, Talente auch ohne große Mittel zu fördern. Nimmt man etwa die fehlende Halle: Durch das Training bei Minusgraden im Freien hat etwa Alica Schmidt eine Härte entwickelt, die sie nun in entscheidenden Wettkämpfen gezeigt hat. Zurück zu Alica Schmidt. Was trauen Sie ihr künftig zu?
Köchl: Wenn sie gesund bleibt, traue ich ihr eine Zeit von 51 oder 52 Sekunden über die 400 Meter zu. Damit wäre sie eine Kandidatin für einen Endlauf bei olympischen Spielen. Alica hat dazu neben dem läuferischen Talent auch anderes Potenzial, nämlich ihr Aussehen. Sie hat 130 000 Follower bei Instagram. Diese Popularität ist wie eine Lawine über sie hereingebrochen. Damit kann sie die Sportart in gewissen Medien voranbringen. Es kommt nicht von ungefähr, dass sie bereits jetzt als bekannteste Leichtathletin Deutschlands bezeichnet wird. Allerdings ist es unerlässlich, dass sie sich auch als Sportlerin weiterentwickelt.
● Zur Person Reinhard Köchl, geboren am 15. September 1958 in Neuburg/Donau, ist langjähriger Trainer und seit 2006 beim MTV Ingolstadt tätig. Seit 2017 ist er neben einigen weiteren Tätigkeiten auch als Disziplintrainer Langsprint für den Bayerischen Leichtathletikverband tätig.