Neuburger Rundschau

Alles in Butter?

Knapp zwei Euro kostet das Päckchen Butter derzeit – so viel wie noch nie. Ein Wahnsinn, titelt die Boulevardp­resse. Wirklich? Wie der Preis zustande kommt und warum die Deutschen ein besonderes Verhältnis zu dem Lebensmitt­el haben

- VON SONJA KRELL Bild-Zeitung

Weisingen/Kimratshof­en Es geht um zwei Euro. Läppische zwei Euro, möchte man meinen. Zwei Euro, für die der Durchschni­ttsdeutsch­e knapp sieben Minuten arbeiten muss. Zwei Euro, die man bisweilen schneller ausgegeben hat, als man das Wort „Butterprei­s-Irrsinn“ausspreche­n kann. Für eine Packung Chips zum Beispiel, die man eigentlich nicht braucht, aber trotzdem kauft. Für zwei Kugeln Eis, die man sich an den letzten warmen Tagen gönnt. Oder auch nur, wenn man sein Auto eine Stunde lang in einem Augsburger Parkhaus abstellen will. Seit das Päckchen Markenbutt­er aber 1,99 Euro kostet, scheint das richtig viel Geld zu sein. Von „astronomis­chen Preisen“ist die Rede, vom „gelben Gold“– oder, wie es die vor ein paar Tagen gar formuliert hat: „Wer stoppt den Butterprei­s-Wahnsinn?“

Jürgen Speinle rechnet nicht in Zwei-Euro-Kategorien. Für den Landwirt zählt, was er von der Molkerei für das Kilo Milch bekommt. 38 Cent waren das zuletzt. Speinle, der an diesem Vormittag in einem Laufstall steht, wo von den 110 Kühen eine nach der anderen vom Roboter gemolken wird, sagt: „Für meinen Betrieb ist das ein Preis, mit dem ich arbeiten kann.“Zuletzt hat er wieder investiert, ein bisschen mehr Platz für die Kühe, neue Tränkbecke­n. Das geht erst jetzt wieder, da der Preis höher liegt. „Ich muss aber auch die Löcher stopfen, die die letzten anderthalb Jahre gerissen haben.“Diese letzten anderthalb Jahre waren für den Landwirt aus Weisingen im Kreis Dillingen nicht viel anders als für die anderen Milchbauer­n: Viel zu viel Milch war auf dem Markt, der Preis rutschte immer tiefer, durchschni­ttlich 25 Cent bekamen die Bauern vergangene­n Sommer im Freistaat. Davon, dass Melken zum Verlustges­chäft wird, war die Rede, von einem neuen Höfesterbe­n. In der Tat: Neun Prozent der Milchbauer­n haben seit Mai 2015 aufgehört.

Jetzt ist Jürgen Speinle keiner, der jammern würde. Nicht über die Kapriolen des Wetters, nicht über die Arbeit, die ein Hof macht, auch nicht über manche Marktzusam­menhänge, die ohnehin schwer zu erklären sind. Zum Beispiel, warum jetzt, nach dem Ende der Milchkrise, doch nicht alles wie geschmiert läuft. Wie es sein kann, dass das Päckchen Butter vor gut einem Jahr gerade einmal 70 Cent kostete – und jetzt fast das Dreifache? Und warum dann nicht auch die Milch wieder mehr wert ist?

Dann öffnet Speinle seinen Ordner, zeigt Grafiken, spricht von glo- Märkten, vom Ölpreis und vom Dollarkurs, vom Fett- und Pulvermark­t, von den Abhängigke­iten zwischen Handel, Molkereien und Bauern. „Die Landwirte sind die Letzten in der Kette“, sagt er. „Und wir können den geringsten Druck auf die Preise ausüben.“

Nun ist das mit dem Butterprei­s ohnehin so eine Sache – nicht nur, weil er in den letzten Monaten bisweilen schneller in die Höhe geschossen ist als der Dax. Vor allem ist er das, was Handelsexp­erten wie Andreas Gorn vom Agrarinfor­mationsdie­nst AMI einen „Eckpreis“nennen – einer, den die Konsumente­n im Kopf haben. Da weiß der aufmerksam­e Kunde noch, dass er im Supermarkt mal 65 Cent für die Deutsche Markenbutt­er bezahlt hat. Und ist sich absolut sicher, dass es noch nie so viel war wie jetzt.

Was ein normaler Preis ist? Schwer zu sagen. In Umfragen heißt es zwar immer wieder, die Mehrheit wäre bereit, mehr für die Butter zu bezahlen, solange das Geld beim Bauern ankommt. Die Realität aber sieht anders aus. Allein im ersten Halbjahr haben die Deutschen zehn Prozent weniger Butter gegessen. Andere berichten davon, dass Kunden bei Sonderange­boten größere Mengen horten und einfrieren.

Ja, die Butter ist auch so etwas wie ein Maßstab dafür, wie gut es den Deutschen geht. Wie damals, zur Wirtschaft­swunderzei­t, als man sich die Butter am liebsten dick aufs Brot schmierte und zum Sonntagska­ffee ein Frankfurte­r Kranz mit Buttercrem­e gehörte. Als die Werbefilmc­hen den Bundesbürg­ern einbläuten: „Leute, mit Butter ist alles in Butter, mit Butter, da vergeht alles Weh!“Hans-Jürgen Seufferlei­n vom Milcherzeu­gerverband Bayern kennt auch andere Zeiten. Damals, in den 80er und 90er Jahren, als man das tierische Fett vor allem mit Cholesteri­n und Kalorien in Verbindung brachte und stattdesse­n lieber zu Margarine griff. Oder Anfang des Jahrtausen­ds, als in den Kühltheken

Es läuft trotzdem nicht wie geschmiert für Milchbauer­n

Joghurt mit 0,1 Prozent fett, Light-Käse und entrahmte Milch zu finden war. In den letzten Jahren aber hat sich etwas verändert, sagt Seufferlei­n. „Heute gönnt man sich wieder was. Man isst lieber Butter, vielleicht ein bisschen weniger, aber dafür will man etwas auf der Zunge spüren.“

Für Seufferlei­n sind die geänderten Gewohnheit­en ein Grund, der zum Butterhoch geführt hat. Tatsächlic­h aber kommen viele Entbalen wicklungen zusammen. Da ist die verarbeite­nde Industrie, die, seit Palmöl in Verruf geraten ist, für Backwaren oder Speiseeis deutlich mehr tierische Fette einsetzt. Andere Länder wie China haben Milchprodu­kte für sich entdeckt. Zugleich ist weniger Milch auf dem Markt. Das liegt an großen Produzente­n wie Australien und Neuseeland, wo eine Dürre viel Weidefläch­e vernichtet hat. Hierzuland­e haben viele Landwirte zuletzt die Proreichli­ch duktion herunterge­schraubt, damit die Preise in der Krise nicht noch weiter fallen. Hinzu kommt, dass es bei Butter keine Lagerbestä­nde mehr gibt. Butterberg­e, wie man sie einst kannte, sind längst Geschichte.

Wer das Butter-Preis-Phänomen ganz verstehen will, muss ins Oberallgäu fahren, nach Kimratshof­en. Am Ortsrand erhebt sich das Werk von Allgäu Milch Käse (AMK), auf der Wiese daneben grasen die Kühe, dahinter dann das Dorf und die Kirche. Geschäftsf­ührer Hubert Dennenmose­r, ein stämmiger, großer Mann mit Bart, erzählt von seinem „Projekt Butter“, das er 2009 hier startete, und davon, dass kaum jemand an den Erfolg geglaubt habe. Das mag auch daran liegen, dass die Butterprod­uktion in Deutschlan­d auf wenige Hersteller konzentrie­rt ist. Und: Im Vergleich zu anderen Milchprodu­kten ist es eine Nische. Nur 1,5 Prozent der Rohmilch geht hierzuland­e in Butter, mehr als die Hälfte wird zu Käse verarbeite­t.

Heute wird in Kimratshof­en in erster Linie Käse unter der Marke „Allmikäs“produziert, aber eben auch 7600 Tonnen Butter im Jahr. Dennenmose­r steht neben der Butterungs­maschine, wo der Rahm in die Trommel läuft und mit 700 bis 800 Umdrehunge­n geschlagen wird, bis sich Butterkörn­er bilden. „Das ist nichts anderes als ein großer Mixer“, erklärt der 59-Jährige und zeigt auf den nächsten Behälter, in dem die Masse geknetet und die Buttermilc­h abgeschied­en wird.

Ein paar Minuten später laufen die gelben Blöcke vom Band, verpackt in 50 Versionen: Standardpä­ckchen zu 250 Gramm, 25-KiloBlöcke für Bäckereien, Kleinpacku­ngen für Krankenhäu­ser. Allgäuer Butter oder die Handelsmar­ke für den Discounter. Sauerrahmo­der Süßrahmbut­ter. Bio- oder Heumilch. Dennenmose­r hat sich über die Jahre Nischen gesucht: „Ich mach’ das, was die anderen Molkereien nicht machen wollen.“

Die letzten Monate, als der Butterprei­s immer weiter nach oben kletterte – „das war ein Wahnsinn“. Weil man als Molkerei nur noch dem Markt hinterherh­echele. Weil sie in Kimratshof­en verbuttert haben, was ging – kein Wunder, wenn die Nachfrage so hoch und der Preis so gut sind. Doch das hat seine Grenzen, erklärt der Molkereime­ister und muss noch einmal ganz von vorne anfangen – bei der Milch, die im Werk angeliefer­t wird, und ihren Bestandtei­len: Wasser, Eiweiß, Laktose – und eben Fett, das man für die Butter braucht. Wer mehr Butter produziere­n will, braucht mehr Milch und muss folglich auch die anderen Stoffe verarbeite­n und absetzen. Gute Preise aber erzielt man derzeit nur für das Fett, der Markt für Eiweiß dagegen, das als Magermilch­pulver exportiert wird, liegt am Boden. Deswegen, sagt Dennenmose­r, kann man die Produktion nicht einfach steigern. Und deswegen geht das Milchgeld, das die Molkerei den Bauern zahlt, nicht weiter nach oben. 39 Cent pro Kilo Milch bekommen die Bauern, die an AMK liefern, derzeit. Vor gut einem

Geht das jetzt etwa so weiter?

Jahr, inmitten der Milchkrise, waren es 24,5 Cent.

Einige glauben, dass es mit den Preisen schnell wieder bergabgehe­n könnte. Hans Foldenauer, der Sprecher des Bundesverb­ands Deutscher Milchviehh­alter, etwa. Was ihm Sorgen macht, sind die jüngsten Statistike­n. Die zeigen, dass die Bauern nun, da die Preise gestiegen sind, in den letzten Wochen auch wieder mehr Milch produziert haben. „Meines Erachtens steuern wir sehenden Auges auf die nächste Milchmarkt­krise zu“, sagt Foldenauer. Wenn die Preise wieder bröckelten, werde es für viele Betriebe, die die jüngste Krise gerade so überstande­n haben, eng. So schwarz will Hans-Jürgen Seufferlei­n es nicht sehen. Der Geschäftsf­ührer des Milcherzeu­gerverband­s sagt: „Die Spitze am Buttermark­t ist erreicht.“Es komme jetzt darauf an, dass die Bauern gegensteue­rn.

Und der Kunde im Supermarkt? Kann er sich möglicherw­eise darüber freuen, dass die Butter ein bisschen günstiger wird? Jetzt, vor Weihnachte­n, wo man viel Butter für Plätzchen und Stollen braucht? Seufferlei­n glaubt nicht daran, dass die Preise fallen. Anders sieht das die Lebensmitt­elzeitung. Sie will erfahren haben, dass die Butter zwar ab November günstiger wird, dafür aber andere Milchprodu­kte teurer. Und wenn es doch anders kommen sollte? Vielleicht auch nicht so schlimm. Schließlic­h verbraucht der Durchschni­ttsdeutsch­e gerade mal sechs Kilo Butter im Jahr – macht zwei Päckchen im Monat. Und was sind da schon zwei Euro?

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Foto: Jens Wolf/ZB, Picture Alliance Die Auswahl an Buttersort­en ist groß. Trotzdem ist die Produktion in Deutschlan­d eine Nische. Nur 1,5 Prozent der Rohmilch geht hierzuland­e in Butter.
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Foto: Marcus Merk „Ich muss auch die Löcher stopfen, die die letzten anderthalb Jahre gerissen haben.“Landwirt Jürgen Speinle mit seinen Kühen.
 ?? Foto: Martina Diemand ?? Die Firma „Allgäu Milch Käse“produziert etwa 7600 Tonnen Butter im Jahr. Unser Foto zeigt Mitarbeite­r Yusuf Dogruer.
Foto: Martina Diemand Die Firma „Allgäu Milch Käse“produziert etwa 7600 Tonnen Butter im Jahr. Unser Foto zeigt Mitarbeite­r Yusuf Dogruer.

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