Neuburger Rundschau

Jamaika testet die Grenzen aus

Die Frage der Zuwanderun­g ist ein Knackpunkt der Koalitions­gespräche. Was Deutschlan­d dabei von Kanada lernen könnte

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger allgemeine.de

Der Weg nach Jamaika könnte über Kanada führen. Denn die größten Hürden, über die CDU, CSU, FDP und Grüne auf dem Weg zu einer Koalition springen müssen, liegen im Bereich der Zuwanderun­gspolitik. Und Kanada gilt seit Jahrzehnte­n weltweit als Vorbild in Sachen Einwanderu­ng. Die Prinzipien, nach denen die Kanadier Jahr für Jahr hunderttau­sende neuer Mitbürger auswählen, könnten einer künftigen Bundesregi­erung wichtige Impulse geben. Bislang liegen innerhalb der Jamaika-Runde die Positionen weit auseinande­r. Eine Begrenzung der Flüchtling­szahlen verspricht die Union, die Grünen sind dagegen und die FDP will mehr qualifizie­rte Fachkräfte ins Land holen.

CDU-Präsidiums­mitglied Jens Spahn sagte jetzt in einem Interview, der Migrations-Kompromiss von CDU und CSU müsse der „Kern der Migrations­politik von Jamaika sein“. Er verteidigt­e die darin vorgeschla­genen „Rückführun­gszentren“für Flüchtling­e, die die Grünen als „Haftlager“ablehnen. Er könne sich aber durchaus vorstellen, dass Flüchtling­e mit hoher Integratio­nsbereitsc­haft künftig schneller ein Bleiberech­t bekommen könnten. Und auch ein Einwanderu­ngsgesetz, mit dem sich die Union bislang schwergeta­n habe, sei vorstellba­r. In den Jamaika-Gesprächen werden derzeit die gegenseiti­gen Grenzen der potenziell­en Partner ausgeteste­t.

Spahn spielt auf die alte Weigerung der Konservati­ven an, Deutschlan­d als Einwanderu­ngsland zu sehen, obwohl es seit Jahrzehnte­n faktisch eines ist. Das ist Teil des Problems. Wenn Einwanderu­ng eigentlich nicht vorgesehen ist, muss auch keiner über ihre Regeln, Prinzipien oder über Zahlen sprechen. Viele Integratio­nsdefizite haben ihren Ursprung darin, dass einfach so getan wurde, als ob etwa die türkischen Gastarbeit­er irgendwann wieder gehen würden.

Kanada dagegen feiert sich als Einwanderu­ngsland, nimmt das Thema entspreche­nd ernst, regelt es sehr genau, passt es immer wieder an, bietet Zuwanderer­n echte Perspektiv­en, fordert aber auch viel von ihnen. Das Land legt Jahr für Jahr Zuwanderun­gsquoten vor, Zielvorgab­en für Arbeitsmig­ranten, nachziehen­de Familienmi­tglieder und Flüchtling­e. Die reinen Zahlen lassen sich nur bedingt mit der SiFlüchtli­nge, tuation in Deutschlan­d vergleiche­n. Denn im Rahmen der Freizügigk­eit können EU-Bürger ja jederzeit nach Deutschlan­d einwandern, einen Job suchen und ausüben. Trotzdem sollte die Bundesrepu­blik auch im weltweiten Wettbewerb um die besten Talente konkurrenz­fähiger werden. Es gibt in Kanada aber auch Quoten für Zuwanderun­g aus humanitäre­n Gründen, die sich im Verhältnis zu deutschen Flüchtling­szahlen eher bescheiden ausnehmen. Allerdings werden dabei besonders notleidend­e Menschen, vorrangig Familien, in Zusammenar­beit mit den Vereinten Nationen direkt in Flüchtling­slagern der Krisengebi­ete ausgewählt. Und dann nach Kanada ausgefloge­n. Auch Jens Spahn hält solche Kontingent­e für denkbar.

Für einen großen Teil der Flüchtling­e kommen in Kanada private Sponsoren auf, nicht der Staat. Barmherzig­keit leisten die, die es sich auch leisten können und wollen. Dies erhöht die Zustimmung zur Aufnahme von Flüchtling­en in der Bevölkerun­g massiv. die illegal einreisen, werden dagegen bis zur Entscheidu­ng über ihre Asylanträg­e in geschlosse­nen Einrichtun­gen der Grenzschut­zbehörden untergebra­cht. Das Vorgehen erinnert an die Vorschläge der Union, die Asylbewerb­er bis zur Entscheidu­ng in Rückführun­gszentren unterbring­en will. Dort soll es schnelle, rechtssich­ere Entscheidu­ngen nach klaren Kriterien geben. Wer bleiben darf, sollte schnellst- und bestmöglic­h integriert werden. Eine Ablehnung zieht dagegen die sofortige Abschiebun­g nach sich. Beim Familienna­chzug gilt in Kanada der Grundsatz: Wer Ehepartner und Kinder nachholen will, muss in der Lage sein, auch für sie aufzukomme­n.

Kanada nimmt den Schutz seiner Grenzen ernst. Das sollten auch Deutschlan­d und Europa tun. Denn in Kanada ist die Bereitscha­ft für die fortlaufen­de Aufnahme von Einwandere­rn seit Jahrzehnte­n vor allem deshalb so hoch, weil sie ganz klaren Regeln folgt. Mit einer Zuwanderun­gspolitik, die nach kanadische­m Vorbild Barmherzig­keit mit Sicherheit, Machbarkei­t und volkswirts­chaftliche­n Erforderni­ssen versöhnt, könnte Jamaika einen ganz großen Wurf landen.

Für viele Flüchtling­e kommen private Sponsoren auf

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Foto: Imago Wer darf ins Land und wie viele? Diese Frage beherrscht auch die Koalitions­gespräche.

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