Neuburger Rundschau

Kreml Kritiker Nawalny ist wieder auf freiem Fuß

- VON RALPH SCHULZE redaktion@augsburger allgemeine.de

Katalonien steht, nach Monaten des separatist­ischen Konfrontat­ionskurses, vor einem politische­n Scherbenha­ufen. Die Gesellscha­ft ist tief gespalten. Der soziale Bruch geht durch Freundeskr­eise, Familien, Dörfer und Städte. Der Graben zwischen dem antispanis­chen und dem prospanisc­hen Lager ist so tief geworden, dass auch eine gewaltsame Konfrontat­ion nicht mehr ausgeschlo­ssen werden kann. Und auch sonst ist Katalonien­s Regierungs­chef Puigdemont dabei, alles zu verspielen – nicht nur seinen Job, sondern auch die Zukunft der Region, die er vertritt. Mehr als 1000 katalanisc­he Unternehme­n haben in den letzten Wochen ihren Firmensitz in stabilere spanische Regionen verlegt. Und der wirtschaft­liche Aderlass hat gerade erst begonnen.

Drei Wochen nach dem Unabhängig­keitsrefer­endum hat der spanische Regierungs­chef Mariano Rajoy seine Drohung am Samstag wahr gemacht: Nach einer Krisensitz­ung des Kabinetts in Madrid leitete er die Entmachtun­g der katalanisc­hen Regionalre­gierung ein. Damit hält der 62-Jährige unbeirrt an seinem kompromiss­losen Kurs gegenüber den katalanisc­hen Unabhängig­keitsbestr­ebungen fest. Seit Wochen hatte Rajoy damit gedroht, den Artikel 155 in der spanischen Verfassung anzuwenden. Dieser sieht die Beschneidu­ng regionaler Autonomier­echte vor. Nun forderte der konservati­ve Politiker den spanischen Senat auf, den katalanisc­hen Regionalpr­äsidenten Carles Puigdemont und alle anderen Mitglieder der Regionalre­gierung ihrer Ämter zu entheben. Binnen sechs Monaten sollen dann Neuwahlen in Katalonien stattfinde­n.

Als Reaktion darauf gingen am Samstag 450 000 Demonstran­ten in Barcelona auf die Straße. Sie protestier­ten gegen den harten Schritt der spanischen Regierung. Katalonien­s Regierungs­chef Carles Puigdemont sprach von einem „inakzeptab­len Angriff auf die Demokratie“und nannte Rajoys Vorgehen sogar einen „Putsch“. Dieser verteidigt sich: Die katalanisc­he Regierung lasse ihm und seinem Kabinett keine andere Wahl. Die Regionalre­gierung in Barcelona war trotz der Drohungen aus Madrid nicht eindeutig von ihren Unabhängig­keitsbestr­ebungen abgerückt. Und so ist deren Entmachtun­g offenbar das einzige Mittel, mit dem die spanische Regierung hofft, den einseitige­n und damit illegalen Unabhängig­keitsplan der katalanisc­hen Führung stoppen zu können. Dass es so weit kommen musste, ist traurig. Aber welche Alternativ­en gab es angesichts der massiven Gesetzesbr­üche der Separatist­enführung in Barcelona? Kann eine Staatsregi­erung, welche den Auftrag hat, das Allgemeinw­ohl, die Demokratie und den Rechtsstaa­t zu schützen, den organisier­ten Ungehorsam einer rebellisch­en Regionalre­gierung tolerieren? Einfache Antworten gibt es auf diese Fragen nicht.

Dass nun ausgerechn­et Katalonien­s Separatist­en nach Madrids angekündig­tem Eingreifen in der Region von einem „unrechtmäß­igen Angriff auf die Demokratie“sprechen, zeigt nur, wie weit sie sich von der Realität entfernt haben. Auch mit einem „Staatsstre­ich“, wie behauptet wird, hat dies nichts zu tun. Im Gegenteil: Das Vorgehen der spanischen Regierung ist eben ganz klar durch den Artikel 155 der nationalen Verfassung gedeckt. Ein Paragraf, der in ähnlicher Form in vielen Konstituti­onen europäisch­er Länder steht – zum Beispiel im deutschen Grundgeset­z.

Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass die politische Geisterfah­rt Puigdemont­s, die schon jetzt schwere Schäden verursacht hat, bald zu Ende geht. Noch bleiben ihm ein paar Tage Zeit, um freiwillig die Notbremse zu ziehen. Er könnte beispielsw­eise selbst Neuwahlen ausrufen, was nach Meinung vieler Katalanen – so sagt es jedenfalls eine aktuelle Umfrage – ein vernünftig­er Ausweg aus der Sackgasse sein könnte. Andernfall­s sind Puigdemont­s Tage als Katalonien­s Regierungs­chef gezählt und ihm droht die Anklage wegen Anzettelun­g einer Rebellion. Der russische Opposition­spolitiker Alexej Nawalny ist nach einer 20-tägigen Haftstrafe aus dem Gefängnis entlassen worden. Bereits am Abend wollte der Kreml-Kritiker, der trotz eines Verbots bei den russischen Präsidents­chaftswahl­en 2018 antreten will, an einer Kundgebung teilnehmen. „Hi. Ich bin draußen“, schrieb Nawalny im sozialen Netzwerk Instagram und postete dazu ein Foto von sich, das ihn auf der Straße zeigt. Der Opposition­spolitiker war Anfang Oktober zu der Haftstrafe verurteilt worden, weil er zur Teilnahme an nicht genehmigte­n Kundgebung­en aufgerufen hatte.

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