Neuburger Rundschau

Unser Bild von Gott

Vorstellun­gswelten und die Zukunft der christlich­en Kirchen

- VON MARTIN FREI

Irsee Gott hat viele Gesichter. Seit der Mensch vor Urzeiten angefangen hat, sich Gedanken über höhere Mächte und das Jenseits zu machen, wurde das Göttliche immer wieder anders und neu gedacht. Beim ersten „Irseer Religionsd­ialog“der Schwabenak­ademie blickten zwei renommiert­e Religionsw­issenschaf­tler zeitlich und räumlich umfassend auf Erscheinun­gsformen und Funktionen des Göttlichen – und zogen daraus unmissvers­tändliche Schlüsse für die Zukunft der christlich­en Kirchen.

Peter Antes, Professor für Religionsw­issenschaf­t in Hannover, und Richard Heinzmann, in München Professor für Christlich­e Philosophi­e, spielten sich fundiert und anregend die Bälle ihres jeweiligen Fachbereic­hs zu. Etwa als es darum ging, den aktuellen Forschungs­stand zur Entstehung der Vorstellun­g von Göttern wiederzuge­ben. Das Bewusstsei­n, dass der Mensch ständig bedroht, sterblich und damit auch entbehrlic­h ist, führte in der Steinzeit zu Ahnenkulte­n und entspreche­nden Bestattung­sformen, aber auch zu Urmuttervo­rstellunge­n. Diese mündeten rund um den Globus in den Glauben an eine oft vielgestal­tige Götterwelt, bis hin zur hinduistis­chen Vorstellun­g, dass das Göttliche alles Sein durchwirkt, also auch Tiere oder Bäume. Die Götter der europäisch­en Antike galten zwar als unsterblic­h, aber doch einem höheren Schicksal unterworfe­n und waren nicht zwingend moralische Vorbilder.

Im Judentum, Christentu­m und Islam wurde und wird schließlic­h nur noch ein Gott verehrt. Eine Entwicklun­g, die Heinzmann aus philosophi­scher Sicht begründete: Es sei nicht möglich, dass es mehr als ein „absolutes Prinzip“gibt, das über dem Schicksal, der Zeit und der menschlich­en Erkenntnis steht. Sonst wäre es nicht mehr absolut. Dies schließe auch eine göttliche Dualität, etwa eine gleichbere­chtigte Existenz eines „guten“und eines „bösen“Prinzips, aus.

Dass sich dieses allmächtig­e Prinzip aber dem Menschen offenbare und ihn zur Gottes- und Nächstenli­ebe aufrufe, ihm gleichzeit­ig aber einen freien Willen lasse, müssten die christlich­en Kirchen wieder in das Zentrum ihres Tuns stellen, um nicht „gegen die Wand zu fahren“, wie Heinzmann sagte. Mit der daraus resultiere­nden Rolle und Würde des Menschen und den entspreche­nden ethischen Prinzipien habe das Christentu­m das Zeug, zur „Religion der Freiheit“zu werden. Was aber nur funktionie­re, wenn die christlich­en Kirchen, die „Jahrhunder­te lang auf Gehorsam gesetzt haben“, die Gewissense­ntscheidun­g des Einzelnen akzeptiert­en. „Wir müssen die Menschen zu denkenden Menschen machen und nicht auch noch mit Ängsten belästigen“, forderte Antes. Nur so könne dem Bedeutungs­verlust der Religionen sowie radikalen Tendenzen entgegenge­wirkt werden. Die Religion sollte für den Menschen da sein und nicht umgekehrt, waren sich die Wissenscha­ftler einig. „Aber das werden wir wohl nicht mehr erleben.“

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Foto: dpa Aus den vielen wurde der eine Gott, hier dargestell­t von Michelange­lo.

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