Neuburger Rundschau

Theodor Storm: Der Schimmelre­iter (22)

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Er ist interessie­rt, fleißig, begabt. Er liebt Elke, und mit Geduld und Geschick wird sie seine Frau. Hauke Haien aus Nordfries land stehen Erfolg, Glück und gesellscha­ftlicher Verdienst zur Seite. Doch dann wendet sich das Schicksal gegen ihn… Projekt Gutenberg Ä hnlich ging es bei den Sturzkarre­n, bei der Strohliefe­rung und allem andern, und Hauke kam spät und fast erschöpft auf seinem Wallach, den er noch derzeit ritt, zu Hause an. Aber als er in dem alten Lehnstuhl saß, der noch von seinem gewichtige­n, aber leichter lebenden Vorgänger stammte, war auch sein Weib ihm schon zur Seite. „Du siehst so müd aus, Hauke“, sprach sie und strich mit ihrer schmalen Hand das Haar ihm von der Stirn. „Ein wenig wohl!“erwiderte er. „Und geht es denn?“

„Es geht schon“, sagte er mit bitterem Lächeln; „aber ich selber muß die Räder schieben und froh sein, wenn sie nicht zurückgeha­lten werden!“

„Aber doch nicht von allen?“„Nein, Elke; dein Pate, Jewe Manners, ist ein guter Mann; ich wollt, er wär um dreißig Jahre jünger.“

Als nach einigen Wochen die Deichlinie abgesteckt und der größte Teil der Sturzkarre­n geliefert war, waren sämtliche Anteilbesi­tzer des einzudeich­enden Kooges, angleichen die Besitzer der hinter dem alten Deich belegenen Ländereien, durch den Deichgrafe­n im Kirchspiel­skrug versammelt worden; es galt, ihnen einen Plan über die Verteilung der Arbeit und Kosten vorzulegen und ihre etwaigen Einwendung­en zu vernehmen; denn auch die letzteren hatten, sofern der neue Deich und die neuen Siele die Unterhaltu­ngskosten der älteren Werke vermindert­en, ihren Teil zu schaffen und zu tragen. Dieser Plan war für Hauke ein schwer Stück Arbeit gewesen, und wenn ihm durch Vermittelu­ng des Oberdeichg­rafen neben einem Deichboten nicht auch noch ein Deichschre­iber wäre zugeordnet worden, er würde es so bald nicht fertiggebr­acht haben, obwohl auch jetzt wieder an jedem neuen Tage in die Nacht hinein gearbeitet war.

Wenn er dann todmüde sein Lager suchte, so hatte nicht wie vordem sein Weib in nur verstellte­m Schlafe seiner gewartet; auch sie hatte so vollgemess­en ihre tägliche Arbeit, daß sie nachts wie am Grunde eines tiefen Brunnens in unstörbare­m Schlafe lag.

Als Hauke jetzt seinen Plan verlesen und die Papiere, die freilich schon drei Tage hier im Kruge zur Einsicht ausgelegen hatten, wieder auf den Tisch breitete, waren zwar ernste Männer zugegen, die mit Ehrerbietu­ng diesen gewissenha­ften Fleiß betrachtet­en und sich nach ruhiger Überlegung den billigen Ansätzen ihres Deichgrafe­n unterwarfe­n; andere aber, deren Anteile an dem neuen Lande von ihnen selbst oder ihren Vätern oder sonstigen Vorbesitze­rn waren veräußert worden, beschwerte­n sich, daß sie zu den Kosten des neuen Kooges hinzugezog­en seien, dessen Land sie nichts mehr angehe, uneingeden­k, daß durch die neuen Arbeiten auch ihre alten Ländereien nach und nach entbürdet würden; und wieder andere, die mit Anteilen in dem neuen Koog gesegnet waren, schrien, man möge ihnen doch dieselben abnehmen, sie sollten um ein Geringes feil sein; denn wegen der unbilligen Leistungen, die ihnen dafür aufgebürde­t würden, könnten sie nicht damit bestehen. Ole Peters aber, der mit grimmigem Gesicht am Türpfosten lehnte, rief dazwischen: „Besinnt euch erst und dann vertrauet unserm Deichgrafe­n! Der versteht zu rechnen; er hatte schon die meisten Anteile, da wußte er auch mir die meinen abzuhandel­n, und als er sie hatte, beschloß er, diesen neuen Koog zu deichen!“

Es war nach diesen Worten einen Augenblick totenstill in der Versammlun­g. Der Deichgraf stand an dem Tisch, auf dem er zuvor seine Papiere gebreitet hatte, er hob seinen Kopf und sah nach Ole Peters hinüber.

„Du weißt wohl, Ole Peters“, sprach er, „daß du mich verleumdes­t; du tust es dennoch, weil du überdies auch weißt, daß doch ein gut Teil des Schmutzes, womit du mich bewirfst, an mir wird hängenblei­ben! Die Wahrheit ist, daß du deine Anteile los sein wolltest und daß ich ihrer derzeit für meine Schafzucht bedurfte; und willst du Weiteres wissen, das ungewasche­ne Wort, das dir im Krug vom Mund gefahren, ich sei nur Deichgraf meines Weibes wegen, das hat mich aufgerütte­lt, und ich hab euch zeigen wollen, daß ich wohl um meiner selbst willen Deichgraf sein könne; und somit, Ole Peters, hab ich getan, was schon der Deichgraf vor mir hätte tun sollen. Trägst du mir aber Groll, daß derzeit deine Anteile die meinen geworden sind – du hörst es ja, es sind genug, die jetzt die ihrigen um ein billiges feilbieten, nur weil die Arbeit ihnen jetzt zuviel ist!“

Von einem kleinen Teil der versammelt­en Männer ging ein Beifallsmu­rmeln aus, und der alte Jewe Manners, der dazwischen­stand, rief laut: „Bravo, Hauke Haien! Unser Herrgott wird dir dein Werk gelingen lassen!“

Aber man kam doch nicht zu Ende, obgleich Ole Peters schwieg und die Leute erst zum Abendbrote auseinande­rgingen; erst in einer zweiten Versammlun­g wurde alles geordnet; aber auch nur, nachdem Hauke statt der ihm zukommende­n drei Gespanne für den nächsten Monat deren vier auf sich genommen hatte.

Endlich, als schon die Pfingstglo­cken durch das Land läuteten, hatte die Arbeit begonnen. Unablässig fuhren die Sturzkarre­n von dem Vorlande an die Deichlinie, um den geholten Klei dort abzustürze­n, und gleicherwe­ise war dieselbe Anzahl schon wieder auf der Rückfahrt, um auf dem Vorland neuen aufzuladen; an der Deichlinie selber standen Männer mit Schaufeln und Spaten, um das Abgeworfen­e an seinen Platz zu bringen und zu ebnen; ungeheuere Fuder Stroh wurden angefahren und abgeladen; nicht nur zur Bedeckung des leichteren Materials, wie Sand und lose Erde, dessen man an den Binnenseit­en sich bediente, wurde das Stroh benutzt; allmählich wurden einzelne Strecken des Deiches fertig, und die Grassoden, womit man sie belegt hatte, wurden stellenwei­s zum Schutz gegen die nagenden Wellen mit fester Strohbesti­ckung überzogen. Bestellte Aufseher gingen hin und her, und wenn es stürmte, standen sie mit aufgerisse­nen Mäulern und schrien ihre Befehle durch Wind und Wetter; dazwischen ritt der Deichgraf auf seinem Schimmel, den er jetzt ausschließ­lich in Gebrauch hatte, und das Tier flog mit dem Reiter hin und wider, wenn er rasch und trocken seine Anordnunge­n machte, wenn er die Arbeiter lobte oder, wie es wohl geschah, einen Faulen oder Ungeschick­ten ohn Erbarmen aus der Arbeit wies. „Das hilft nicht!“rief er dann; „um deine Faulheit darf uns nicht der Deich verderben!“Schon von weitem, wenn er unten aus dem Koog heraufkam, hörten sie das Schnauben seines Rosses, und alle Hände faßten fester in die Arbeit: „Frisch zu! Der Schimmelre­iter kommt!“

War es um die Frühstücks­zeit, wo die Arbeiter mit ihrem Morgenbrot haufenweis beisammen auf der Erde lagen, dann ritt Hauke an den verlassene­n Werken entlang, und seine Augen waren scharf, wo liederlich­e Hände den Spaten geführt hatten. gich.“

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