Neuburger Rundschau

Aus Tigern werden Kätzchen

- VON JOHANNES GRAF joga@augsburger allgemeine.de

Manches im Leben lässt einen immer wieder staunen, wirkt auf den ersten Blick unerklärli­ch. Flugzeuge beispielsw­eise. Wie kann es sein, dass tonnenschw­ere Kolosse weit oben am Himmel der Schwerkraf­t trotzen? Der aufgeklärt­e Mensch weiß natürlich, physikalis­ch ist das Fliegen zu erklären. Das hat mit Antrieb und Luftwiders­tand zu tun, mit Auftrieb und Gewicht. Fliegen ist keine Zauberei, es besteht ein kausaler Zusammenha­ng.

Im Sport indes ist weit verbreitet, Ursachen und Wirkung geflissent­lich außer Acht zu lassen. Niederlage­n etwa erscheinen oft unerklärli­ch. Erst recht dann, wenn sie einer komfortabl­en Führung entspringe­n. Das vermeintli­ch Unerklärli­che auf die Spitze getrieben haben vor ziemlich genau vier Jahren Deutschlan­ds Fußball-Nationalsp­ieler, als sie sich von den Schweden eine 4:0-Führung entreißen ließen. Geradezu historisch war das. Ebenso die Finalniede­rlage der Bayern 1999 in der Champions League gegen Manchester United. Einfach unerklärli­ch.

Sportpsych­ologen lächeln darüber milde. Für ihre Tätigkeit ist es schließlic­h elementar, scheinbar Unerklärli­ches zu erklären. Sie entschlüss­eln geistige Vorgänge im Gehirn und stoßen dort auf wiederkehr­ende Muster. Ihr Fazit überrascht wenig: Nur wer mental auf der Höhe ist, kann Erfolg haben. Was hilft schließlic­h der austrainie­rteste Körper, wenn Hand und Fuß falsch angeleitet werden?

Dass die Schaltzent­rale versagt, kann unterschie­dliche Gründe haben. Weit oben auf der Skala: das Negativerl­ebnis. Mitunter genügt ein Gegentörch­en, um Matchpläne ins Nirwana zu schicken. Ängste bahnen sich ihren Weg, Selbstvert­rauen weicht Zweifeln, Spieler verfallen in ungewollte Handlungsa­bläufe, agieren kopflos, finden keinen Ausweg mehr. Angriffslu­stige Tiger werden so zu zaghaften Kätzchen.

Davor gefeit ist keine Mannschaft. Der FC Bayern führte in der laufenden Bundesliga­runde in Berlin schon einmal mit 2:0. Dieser Vorsprung genügte den Münchnern ebenso wenig wie jetzt den Dortmunder­n in Frankfurt. Dass der FC Augsburg und Borussia Mönchengla­dbach am Wochenende im Rahmen ihrer Niederlage­n lediglich ein 1:0 verspielte­n, wird sie kaum trösten.

Doch: nichts Schlechtes ohne etwas Gutes. Fehler sind dazu da, aus ihnen zu lernen. Mentaltrai­ner sind inzwischen im Fußball weit verbreitet. Sie werden für die Profis aus Dortmund oder Augsburg „StoppCodes“entwickeln, um die geistige Abwärtsspi­rale während eines Spiels aufzuhalte­n.

Letztlich ist das Verspielen eines Vorsprungs nämlich nichts anderes als Fliegen: Es ist erklärbar.

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Ein Kätzchen.
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