Neuburger Rundschau

Wenn Kinderarmu­t zum Dauerzusta­nd wird

Viele junge Mädchen und Buben haben keine Chance, aus dem Teufelskre­is auszubrech­en

- Foto: Imago

Gütersloh Armut als Dauerzusta­nd: Jedes fünfte Kind lebt nach Erkenntnis­sen der Bertelsman­n-Stiftung für längere Zeit in einer finanziell prekären Situation, in der es auf wichtige Dinge verzichten muss. Diese Kinder befänden sich über eine Zeitspanne von mindestens fünf Jahren hinweg „dauerhaft oder wiederkehr­end“in einer Armutslage, erklärte die Stiftung am Montag in Gütersloh in einer Studie.

Experten des Instituts für Arbeitsmar­ktund Berufsfors­chung der Bundesagen­tur für Arbeit hatten die Daten von 3180 Kindern in regelmäßig­en Abständen ausgewerte­t und konnten nachvollzi­ehen, wie sich die Einkommens­situation in deren Haushalten währenddes­sen änderte. Demnach war Armut für zehn Prozent der Kinder ein kurzzeitig­es Phänomen, für 21 Prozent allerdings handelte es sich um ein dauerhafte­s Problem.

Wohlfahrts- und Kinderschu­tzverbände forderten die Politik mit Blick auf die Gespräche zur Bildung einer Jamaika-Koalition zum Handeln auf. „Die Bekämpfung der Armut von Kindern und Familien gehört ganz nach oben auf die Agenda bei den anstehende­n Koalitions­verhandlun­gen“, erklärte Caritas-Präsident Peter Neher. Das Deutsche Kinderhilf­swerk und der Paritätisc­he Wohlfahrts­verband äußerten sich ähnlich. Auch die Bertelsman­nStiftung übte Kritik an der derzeitige­n Ausrichtun­g der Sozial- und Familienpo­litik. „Kinderarmu­t ist in Deutschlan­d ein Dauerzusta­nd – wer einmal arm ist, bleibt lange arm“, erklärte Stiftungsv­orstand Jörg Dräger. „Zu wenige Familien können sich aus der Armut befreien.“Er forderte ein grundsätzl­iches Umdenken.

Denn Armut schließe Kinder und Jugendlich­e von kulturelle­n und sozialen Aktivitäte­n aus, betonte Dräger. Betroffene hätten in der Schule nachweisli­ch schlechter­e Chancen, was wiederum die Möglichkei­ten für ein späteres „selbstbest­immtes Leben“ohne Armut reduziere. Im Sozialgese­tzbuch aber würden Kinder wie „kleine Erwachsene“behandelt. Alternativ müsse sich Förderung daran orientiere­n, ein „gutes Aufwachsen“zu ermögliche­n.

Armutsdefi­nitionen sind nicht unumstritt­en. Die Untersuchu­ng beschreibt Armut als Zustand, in dem eine Familie mit Kindern mit weniger als 60 Prozent des durchschni­ttlichen deutschen Haushaltsn­ettoeinkom­mens auskommen muss oder aber staatliche Grundsiche­rungsleist­ungen bezieht. Armut bedeute hierzuland­e in der Regel nicht, dass die „existenzie­lle Grundverso­rgung“etwa in Form von Essen gefährdet sei, betonte die Stiftung. Es fehle den betroffene­n Kindern beispielsw­eise an einer ausreichen­d großen Wohnung, einer Waschmasch­ine oder an einem internetfä­higen Computer. Es sei ihnen unter anderem auch nicht möglich, Freunde zum Essen nach Hause einzuladen.

Besonders von Armut betroffen sind der Untersuchu­ng zufolge zum einen Kinder alleinerzi­ehender Eltern. Zum anderen sind es Mädchen und Buben aus Familien mit mindestens drei Kindern und solche mit Eltern, die selbst lediglich geringe Qualifikat­ionen haben.

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Foto: Tolu Mesale Tolu und ihr Sohn.

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