Neuburger Rundschau

„Oma Ingrid“muss ins Gefängnis

Warum eine 84 Jahre alte Frau aus Bad Wörishofen zur Ladendiebi­n wurde und die Generalsta­atsanwalts­chaft in diesem Fall keine Gnade kennt

- VON ALF GEIGER

Bad Wörishofen Wochenlang hatte Ingrid Millgramm aus Bad Wörishofen (Kreis Unterallgä­u) auf Gnade gehofft – jetzt ist ihre letzte Hoffnung geplatzt und sie muss ihre neunmonati­ge Haftstrafe antreten. Die 84-Jährige, die als „Oma Ingrid, die vor Hunger klaute“bundesweit bekannt wurde, war wegen Ladendiebs­tahls in fünf Fällen verurteilt worden, und weil sie auch ihre Bewährungs­auflagen nicht bezahlen konnte, drohte ihr sogar eine Gefängniss­trafe. Bis zuletzt hatte auch ihre Rechtsanwä­ltin darauf vertraut, dass das Justizmini­sterium im letzten Moment noch „Gnade vor Recht“ergehen lässt. Die zuständige Generalsta­atsanwalts­chaft München hat dies jetzt jedoch abgelehnt.

Oberstaats­anwalt Joachim Ettenhofer, Pressespre­cher der Generalsta­atsanwalts­chaft München, erklärt diese Entscheidu­ng so: „Gnadenerwe­ise haben besonderen Ausnahmech­arakter. Sie kommen in der Regel nur dann in Betracht, wenn ganz besondere und derart schwerwieg­ende Umstände vorliegen, dass andere Strafzweck­e wie die Schuld des Täters, die Verteidigu­ng der Rechtsordn­ung, die Wiederhers­tellung des Rechtsfrie­dens und die Wirkung der Bestrafung auf Dritte diesen gegenüber zurücktret­en.“

Das Gnadenverf­ahren könne also nicht dazu dienen, rechtskräf­tige gerichtlic­he Entscheidu­ngen zu korrigiere­n. Ausnahmswe­ise könne ein Gnadenerwe­is dann in Erwägung gezogen werden, wenn neue, erhebliche Umstände eingetrete­n sind, die von dem zuständige­n Gericht nicht berücksich­tigt werden konnten und die eine Vollstreck­ung im Verhältnis Vergleichs­fällen als außergewöh­nliche Härte erscheinen ließen.

Dies sei aber bei Ingrid Millgramm laut Generalsta­atsanwalts­chaft München nicht gegeben: „Solche Gründe waren vorliegend nicht erkennbar.“Sowohl die wirtschaft­liche und gesundheit­liche Situation der Verurteilt­en als auch ihr hohes Lebensalte­r seien laut Ettenhofer durch das Gericht in der getroffene­n Entscheidu­ng, insbesonzu dere bei der Strafzumes­sung, bereits berücksich­tigt worden. Weiterhin habe das Gericht aber auch berücksich­tigt, dass „die Verurteilt­e mehrfach vorbestraf­t ist und die Tat während des Laufs zweier Bewährungs­fristen beging, sich also durch die Verhängung von Bewährungs­strafen nicht beeindruck­en ließ“.

Die 84-Jährige wurde verurteilt, weil sie Lebensmitt­el und Waren im Wert von insgesamt 70,11 Euro mitgehen ließ. Fünfmal wurde die Rentnerin beim Klauen erwischt. „Ich habe aber extra nur die bereits reduzierte­n Waren und Lebensmitt­el gestohlen“, sagt sie.

Nachdem sie nach dem Tod ihres Mannes ihr Vermögen verloren und sich wochenlang nur von „Knäckebrot und Leitungswa­sser“ernährt habe, sah Ingrid Millgramm keinen anderen Ausweg mehr: „Ich habe vor Hunger gestohlen, und dafür schäme ich mich heute zutiefst.“

Von ihrer knappen Rente bleiben ihr nach Abzug aller Fixkosten für Miete, Strom und Medikament­e höchstens 100 Euro monatlich, mit denen sie klarkommen muss. Dabei habe sie doch 45 Jahre gearbeitet, sagt die gelernte Schneideri­n ratlos. Hilfen wie etwa von der Tafel lehnt sie aber ab: Sie schäme sich zu sehr für ihre selbst verschulde­te Altersarmu­t, sagt sie.

Für die Ladendiebs­tähle wurde sie zu einer Geldstrafe verurteilt, die sie aber auch nicht bezahlen konnte. Nach zwei weiteren Bewährungs­strafen ging das Memminger Gericht dann davon aus, dass ihre Sozialprog­nose schlecht sei und weitere Straftaten zu befürchten sind. Dieser Einschätzu­ng folgte jetzt auch die Generalsta­atsanwalts­chaft München.

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Foto: Geiger Die 84 jährige Ingrid Millgramm aus Bad Wörishofen kann es nicht fassen: Weil sie Waren im Wert von 70,11 Euro gestohlen hat, muss sie ins Gefängnis.

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