Die Sternstunden der Oper
Mit der Schau „Leidenschaft, Macht und Politik“macht das berühmte Victoria and Albert Museum in London eine angeblich elitäre Kunstform dem breiten Publikum bekannt
London Mancher Besucher könnte behaupten, er sei nicht in einer Ausstellung gelandet, sondern inmitten einer Oper aus sieben Akten.
Das Spiel beginnt mit Claudio Monteverdis „Pur ti miro ...“aus seinem innovativen Werk „Krönung der Poppea“, das mittels Kopfhörer die Annäherung an das Venedig des Frühbarock im Jahr 1642 begleitet. Die schwarzen Stellwände der Ausstellung glitzern, und ein wenig erinnern Stücke wie Kerzenständer, Partituren und ein flammend rotes Kurtisanenkostüm an jenen Glamour, der das Kunstwerk Oper gerne umgibt und der von denen, die es nicht anders erfahren haben, mitunter als elitär eingeordnet wird. Doch die Schau „Oper: Leidenschaft, Macht und Politik“im Londoner Victoria and Albert Museum will diese Einschätzung abschütteln und die Stigmatisierung, ein Hobby der Reichen und Mächtigen zu sein, richtigstellen. Nicht nur eingeweihte Fans und Experten sollen sich angesprochen fühlen; auch den Laien und dem breiten Publikum soll das seit jeher die Fantasie beflügelnde Musiktheater nähergebracht werden.
Anhand von rund 300 Objekten, darunter Originalnoten, Instrumente, Bühnenbilder, Gewänder und Poster, reist der Besucher durch das europäische, komplexe Kulturerbe, das alle Kunstformen vereint und feiert. Sieben Uraufführungen in sieben Metropolen: Derart konzentriert die Londoner Ausstellung die gut 400-jährige Geschichte der Oper. Kritiker bemängelten zwar die knappe Auswahl der Uraufführungen beziehungsweise Uraufführungsorte. Doch: Wo anfangen, wo weitermachen, wenn nicht bei ausgesuchten Glanzstunden der Opernhistorie? Ja, viele Aspekte fehlen, aber das werden sie angesichts der Fülle des Themas immer. Schon vor Jahrzehnten wurden an die 40000 komponierte Opern gezählt!
In der Londoner Präsentation jedenfalls fällt der Zugang zur Gat- tung leicht, und der Blick ist fantasievoll. „Wir haben die Wahl auf solche Werke gelegt, die die Gesellschaft infrage stellen, sie spiegeln und voranbringen“, erklärt Kuratorin Kate Bailey den Ansatz, die Oper in einen sozialen sowie politisch-historischen Kontext zu setzen. Zudem wird an die kulturellen Bande erinnert, die Europa zusammenhalten – auch das ist derzeit, besonders in Großbritannien, erfrischend.
Im zweiten Akt geht es ins London des Jahres 1711: Der deutsche Komponist Georg Friedrich Händel feiert mit der Premiere des italienisch gesungenen „Rinaldo“triumphal seinen Einstand in der florierenden Welthandelsstadt von England, das unter der Regentschaft von Königin Anne eine Phase des Wohlstands und der Stabilität genoss. Die Presse betrachtete die Oper als eine Bedrohung des traditionellen britischen Theaters, doch das Publikum, das damals noch europaskeptischer eingestellt war als in Brexit-Zeiten, zeigte sich begeistert von der exotischen Kunstform vom Kontinent.
Das zu jener Zeit gebaute Royal Opera House in Covent Garden, das die derzeit laufende Schau mit initiierte und umsetzte, zeugt von jener Opern-Hochzeit. Für die Ausstellung wurde eine Barockbühne nachgebaut mit Wolken, einem kleinen Schiff, Seejungfrauen und Wellenwalzen. Sie veranschaulicht, wie seinerzeit szenische Effekte erzeugt wurden.
Für Mozart hingegen und seine Kunst war Wien „der beste Ort der Welt“, wie er sagte. Der dritte Akt der Ausstellung widmet sich der österreichischen Stadt im Jahr 1786, als „Die Hochzeit des Figaro“im Burgtheater uraufgeführt wurde. Ebenfalls zu bewundern ist ein Klavier, auf dem Mozart spielte. Der vierte Akt führt nach Mailand, wo Giuseppe Verdi 1842 mit „Nabucco“seine internationale Karriere etablierte, wo die Scala bis heute eines der bedeutendsten Opernhäuser der Welt repräsentiert. Die nationale Bedeutung dieses Gebäudes setzte Matthias Schaller künstlerisch um, indem er 150 Logentheater des Landes aus exakt derselben Perspektive fotografierte. Sie hängen nun in einem Halbrund und wirken noch eindrücklicher zum Pathos von „Va, pensiero“aus „Nabucco“.
Im Paris von 1861 wird der Fokus auf den Skandal um die radikale Oper „Tannhäuser“von Richard Wagner gelegt, der mit den Regeln des Protokolls der Grand Opéra brach und eine neue musikalische Sprache zu schaffen wusste. Der sechste Akt dann spielt in Dresden, wo die Semperoper dem aufsteigenden Komponisten Richard Strauss eine Plattform bot – und seiner sexuell aufgeladenen Oper „Salome“, in der die Begierde der Protagonistin Skandal erregte. Bilder der Brücke-Künstler bezeugen die damalige Fortschrittlichkeit Dresdens. Gemälde, Poster und Worte von Oscar Wilde erzählen von der in Künstlerkreisen um sich greifenden „Salomania“,
Georg Friedrich Händel wird in England triumphal empfangen
Unter der Knute von Hammer und Sichel: Dmitri Schostakowitsch
dem neuen Verständnis von Sexualität sowie dem erwachenden Frauenbewusstsein.
Im Schlussakt befasst sich die Schau mit St. Petersburg im Jahr 1934 und Schostakowitschs Oper „Lady Macbeth von Mzensk“. Neben übergroßem Hammer und Sichel stellt ein durch ein rotes Band abgesperrtes Zimmer Schostakowitschs Schreibstube nach, um dessen Konflikt mit der Diktatur unter Stalin zu illustrieren. Dahinter zeigen Dokumentaraufnahmen den Komponisten bei der Arbeit.
Die Oper ein verstaubtes und elitäres Genre? Nicht im Victoria and Albert Museum.