Wem gehört der größte Dinosaurier wirklich?
Berliner Museen untersuchen, wie korrekt sie an ihre Ausstellungsstücke kamen. Etwa zu Kolonialzeiten
Berlin Es ist das größte aufgestellte Dinosaurier-Skelett der Welt: der Brachiosaurus im Berliner Museum für Naturkunde, 13 Meter hoch, 15 Meter lang und 150 Millionen Jahre alt. Seit fast acht Jahrzehnten ist er der Publikumsmagnet des Hauses.
Nach jahrelanger Forschungsarbeit gibt es jetzt mehr Klarheit, wie die Riesenechse zu Kolonialzeiten in deutschen Besitz kam. Der Historiker und Afrika-Experte Holger Stoecker erklärt, die Überführung des Saurierskeletts aus dem ehemaligen Deutsch-Ostafrika nach Berlin sei seinerzeit zwar konform zu der Rechtsordnung des Kaiserreichs erfolgt – doch: „Die indigenen Vorstellungen von Recht, Eigentum und Landbesitz wurden in keiner Weise berücksichtigt.“Insofern sei die Entscheidung damals zu Lasten der afrikanischen Bevölkerung erfolgt. Stoecker spricht dabei ein Problem an, das Berlin zur Zeit auch noch anderweitig beschäftigt: Wie sauber und ethisch vertretbar sind in deutschen Kolonialzeiten jene Exponate erworben worden, die ab 2019 im Humboldt-Forum ausgestellt werden sollen?
Holger Stoecker ist Mitglied eines vom Bundesbildungsministerium geförderten Forschungsverbunds, der seit 2015 nicht nur die Herkunftsgeschichte der Dinosaurier in Berlin erforscht. Seine Zwischenergebnisse fasste er jetzt für die Medien zusammen: Das Riesenskelett war bei einer der bis heute wichtigsten Fossilienausgrabungen zwischen 1909 und 1913 am Berg Tendaguru geborgen worden – als Teil von insgesamt 230 Tonnen fossilem Material. Die Federführung bei den Ausgrabungen hatte das Berliner Naturkundemuseum; 500 afrikanische Arbeiter waren beteiligt. Grundlage war eine Vereinbarung, die der damalige kaiserliche Bezirksamtmann mit sechs Vertretern der afrikanischen Bevölkerung am 13. März 1908 getroffen hatte. Danach wurde das rund 35 Quadratkilometer große Areal für „menschenleer“und „herrenlos“und damit zu deutschem „Kronland“erklärt. „Solche Kronland-Erklärungen stellten faktisch eine Enteignung und Vertreibung der heimischen Bevölkerung dar“, erklärte Projektleiterin Ina Heumann kürzlich bei einer Podiumsdiskussion zur Provenienzforschung in Berlin.
Das Ziel sei gewesen, die Bevölkerung von dem Ausgrabungsgelände fernzuhalten und das deutsche Kaiserreich auf Dauer zum juristischen Eigentümer der Funde zu machen. So kam der Brachiosaurus brancai nach einem mühseligen Transport an die Küste und übers Meer nach Berlin.
Seit 1937 steht er zusammen mit kleineren Zeitgenossen im Lichthof des Museums. 2005 wurden die berühmten Knochen zwei Jahre lang akribisch konserviert und in neuen Stahlkorsetts wieder zusammengesetzt. Der seit 2015 tätige Forschungsverbund von Museum, Technischer Universität und Humboldt-Universität will seine Ergebnisse 2018 veröffentlichen. Sie sollten laut Museum auch in die Ausstellung einfließen.
Nach Angaben von Projektmitglied Stoecker haben in der Vergangenheit Vertreter aus der Ausgrabungsregion im Süden Tansanias mehrfach eine Rückgabe verlangt. Die Regierung in Tansania habe den Forderungen aber im Juni 2017 eine Absage erteilt. Die Begründung, so Stoecker: Dem Land mangele es an Kapazität und Technologien, um die Fossilien selbst sachgerecht aufzubewahren und für touristische Zwecke auszustellen.