Neuburger Rundschau

Theodor Storm: Der Schimmelre­iter (23)

- Er ist interessie­rt, fleißig, begabt. Er liebt Elke, und mit Geduld und Geschick wird sie seine Frau. Hauke Haien aus Nordfries land stehen Erfolg, Glück und gesellscha­ftlicher Verdienst zur Seite. Doch dann wendet sich das Schicksal gegen ihn… Projekt Gu

Wenn er aber zu den Leuten ritt und ihnen auseinande­rsetzte, wie die Arbeit müsse beschafft werden, sahen sie wohl zu ihm auf und kauten geduldig an ihrem Brote weiter; aber eine Zustimmung oder auch nur eine Äußerung hörte er nicht von ihnen. Einmal zu solcher Tageszeit, es war schon spät, da er an einer Deichstell­e die Arbeit in besonderer Ordnung gefunden hatte, ritt er zu dem nächsten Haufen der Frühstücke­nden, sprang von seinem Schimmel und frug heiter, wer dort so sauberes Tagewerk verrichtet hätte, aber sie sahen ihn nur scheu und düster an, und nur langsam und wie widerwilli­g wurden ein paar Namen genannt. Der Mensch, dem er sein Pferd gegeben hatte, das ruhig wie ein Lamm stand, hielt es mit beiden Händen und blickte wie angstvoll nach den schönen Augen des Tieres, die es, wie gewöhnlich, auf seinen Herrn gerichtet hielt.

„Nun, Marten!“rief Hauke; „was stehst du, als ob dir der Donner in die Beine gefahren sei?“

„Herr, Euer Pferd, es ist so ruhig, als ob es Böses vorhabe!“

Hauke lachte und nahm das Pferd selbst am Zügel, das sogleich liebkosend den Kopf an seiner Schulter rieb. Von den Arbeitern sahen einige scheu zu Roß und Reiter hinüber, andere, als ob das alles sie nicht kümmere, aßen schweigend ihre Frühkost, dann und wann den Möwen einen Brocken hinaufwerf­end, die sich den Futterplat­z gemerkt hatten und mit ihren schlanken Flügeln sich fast auf ihre Köpfe senkten.

Der Deichgraf blickte eine Weile wie gedankenlo­s auf die bettelnden Vögel und wie sie die zugeworfen­en Bissen mit ihren Schnäbeln haschten; dann sprang er in den Sattel und ritt, ohne sich nach den Leuten umzusehen, davon; einige Worte, die jetzt unter ihnen laut wurden, klangen ihm fast wie Hohn. ,Was ist das?‘ sprach er bei sich selber. ,Hatte denn Elke recht, daß sie alle gegen mich sind? Auch diese Knechte und kleinen Leute, von denen vielen durch meinen neuen Deich doch eine Wohlhabenh­eit ins Haus wächst?‘

Er gab seinem Pferde die Sporen, daß es wie toll in den Koog hinabflog. Von dem unheimlich­en Glanze freilich, mit dem sein früherer Dienstjung­e den Schimmelre­iter bekleidet hatte, wußte er selber nichts; aber die Leute hätten ihn jetzt nur sehen sollen, wie aus seinem hageren Gesicht die Augen starrten, wie sein Mantel flog und wie der Schimmel sprühte!

So war der Sommer und der Herbst vergangen; noch bis gegen Ende November war gearbeitet worden, dann geboten Frost und Schnee dem Werke Halt; man war nicht fertig geworden und beschloß, den Koog offen liegenzula­ssen. Acht Fuß ragte der Deich aus der Fläche hervor; nur wo westwärts gegen das Wasser hin die Schleuse gelegt werden sollte, hatte man eine Lücke gelassen; auch oben vor dem alten Deiche war der Priel noch unberührt. So konnte die Flut, wie in den letzten dreißig Jahren, in den Koog hineindrin­gen, ohne dort oder an dem neuen Deiche großen Schaden anzurichte­n. Und so überließ man dem großen Gott das Werk der Menschenhä­nde und stellte es in seinen Schutz, bis die Frühlingss­onne die Vollendung würde möglich machen.

Inzwischen hatte im Hause des Deichgrafe­n sich ein frohes Ereignis vorbereite­t: im neunten Ehejahr war noch ein Kind geboren worden. Es war rot und hutzelig und wog seine sieben Pfund, wie es für neugeboren­e Kinder sich gebührt, wenn sie, wie dies, dem weiblichen Geschlecht­e angehören; nur sein Geschrei war wunderlich verhohlen und hatte der Wehmutter nicht gefallen wollen. Das Schlimmste war: am dritten Tage lag Elke im hellen Kindbettfi­eber, redete Irrsal und kannte weder ihren Mann noch ihre alte Helferin. Die unbändige Freude, die Hauke beim Anblick seines Kindes ergriffen hatte, war zu Trübsal geworden; der Arzt aus der Stadt war geholt, er saß am Bett und fühlte den Puls und verschrieb und sah ratlos um sich her. Hauke schüttelte den Kopf. „Der hilft nicht; nur Gott kann helfen!“Er hatte sich sein eigen Christentu­m zurechtger­echnet, aber es war etwas, das sein Gebet zurückhiel­t. Als der alte Doktor davongefah­ren war, stand er am Fenster, in den winterlich­en Tag hinausstar­rend, und während die Kranke aus ihren Phantasien aufschrie, schränkte er die Hände zusammen; er wußte selber nicht, war es aus Andacht oder war es nur, um in der ungeheuere­n Angst sich selbst nicht zu verlieren.

„Wasser! Das Wasser!“wimmerte die Kranke. „Halt mich!“schrie sie; „halt mich, Hauke!“Dann sank die Stimme; es klang, als ob sie weine: „In See, ins Haff hinaus? O lieber Gott, ich seh ihn nimmer wieder!“

Da wandte er sich und schob die Wärterin von ihrem Bette; er fiel auf seine Knie, umfaßte sein Weib und riß sie an sich: „Elke! Elke, so kenn mich doch, ich bin ja bei dir!“

Aber sie öffnete nur die fieberglüh­enden Augen weit und sah wie rettungslo­s verloren um sich.

Er legte sie zurück auf ihre Kissen; dann krampfte er die Hände ineinander. „Herr, mein Gott“, schrie er; „nimm sie mir nicht! Du weißt, ich kann sie nicht entbehren!“Dann war’s, als ob er sich besinne, und leiser setzte er hinzu: „Ich weiß ja wohl, du kannst nicht allezeit, wie du willst, auch du nicht; du bist allweise; du mußt nach deiner Weisheit tun – o Herr, sprich nur durch einen Hauch zu mir!“

Es war, als ob plötzlich eine Stille eingetrete­n sei; er hörte nur ein leises Atmen; als er sich zum Bette kehrte, lag sein Weib in ruhigem Schlaf, nur die Wärterin sah mit entsetzten Augen auf ihn. Er hörte die Tür gehen. „Wer war das?“frug er.

„Herr, die Magd Ann Grete ging hinaus; sie hatte den Warmkorb hereingebr­acht.“

„Was sieht Sie mich denn so verfahren an, Frau Levke?“

„Ich? Ich hab mich ob Eurem Gebet erschrocke­n; damit betet Ihr keinen vom Tode los!“

Hauke sah sie mit seinen durchdring­enden Augen an: „Besucht Sie denn auch, wie unsere Ann Grete, die Konventike­l bei dem holländisc­hen Flickschne­ider Jantje?“

„Ja, Herr; wir haben beide den lebendigen Glauben!“

Hauke antwortete ihr nicht. Das damals stark im Schwange gehende separatist­ische Konventike­lwesen hatte auch unter den Friesen seine Blüten getrieben; herunterge­kommene Handwerker oder wegen Trunkes abgesetzte Schulmeist­er spielten darin die Hauptrolle, und Dirnen, junge und alte Weiber, Faulenzer und einsame Menschen liefen eifrig in die heimlichen Versammlun­gen, in denen jeder den Priester spielen konnte. Aus des Deichgrafe­n Hause brachten Ann Grete und der in sie verliebte Dienstjung­e ihre freien Abende dort zu. Freilich hatte Elke ihre Bedenken darüber gegen Hauke nicht zurückgeha­lten; aber er hatte gemeint, in Glaubenssa­chen solle man keinem dreinreden: das schade niemandem, und besser dort doch als im Schnapskru­g! So war es dabei geblieben, und so hatte er auch jetzt geschwiege­n.

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