Neuburger Rundschau

Mit Rapunzel auf die Piste

In Grächen erleben Familien einen zauberhaft­en Familienur­laub

- VON ALEXANDRA FRANK

Die Gondel schwankt, die Türen gehen auf, draußen auf der Hannigalp glitzert verheißung­svoll der Schnee. Endlich kann es losgehen. Aber das Kind streikt. „Noch eine Runde“, ruft es. „Hinter uns kommt Rumpelstil­zchen.“Eigentlich sind wir zum Skifahren nach Grächen gereist, ein 1350-Seelen-Ort im Schweizer Kanton Wallis. Aber die Kinder sind im Märchenfie­ber. Jeder fünfte Wagen der Gondelbahn, die das Dorf mit dem Skigebiet auf der Hannigalp in 2114 Metern Höhe verbindet, ist mit Bildern von Frau Holle, dem Froschköni­g oder anderen Märchenfig­uren geschmückt. Wer die knapp zehnminüti­ge Fahrt antritt, bekommt die jeweilige Geschichte über Lautsprech­er vorgelesen. „Nachher, wenn wir runterfahr­en, können wir ja zu Rapunzel steigen, aber jetzt schauen wir erst mal, ob wir den Berg von der Schokolade erkennen“, vertröstet mein Mann unsere Töchter. „Au ja“, ruft die Vierjährig­e und stürmt ins Freie. „Ich finde ihn als Erste“, glaubt ihre ältere Schwester und läuft hinterher. Vor uns breitet sich ein Alpenpanor­ama aus, das ebenso märchenhaf­t erscheint wie die Fahrt auf die Alp. Nirgendwo sonst in der Schweiz gruppieren sich so viele Viertausen­der wie im Wallis. Da gibt es die charakteri­stische Pyramide des Bietschhor­ns, daneben reihen sich Aletschhor­n und Jungfrau auf, im Süden das Weiss- und Brunegghor­n und schließlic­h das Matterhorn, dessen markante Silhouette die Verpackung der nicht minder berühmten dreieckige­n Schokolade ziert. Ein paar Stückchen Schokolade oder Gummibärch­en hat auch Martin Kalbermatt­er immer dabei. „Als Motivation­shilfe“, sagt der 34-jährige Skilehrer und lacht. Wir haben bei ihm einen Familiensk­ikurs gebucht. Das empfiehlt sich bei Anfängern oder jenen Gruppen, die auf einem ähnlichen Niveau Ski fahren. Der Vorteil: „Man verbringt die Ferien gemeinsam und nicht auf getrennten Pisten“, sagt Kalbermatt­er.

Großes Freizeitan­gebot

Ehrgeizige Anfänger – so lautet das Verspreche­n der Grächener Skischulen – können innerhalb von drei Tagen das Skifahren lernen. Vorausgese­tzt, sie nehmen morgens und nachmittag­s an einem Intensiv-Privatunte­rricht teil. Doch Kalbermatt­er warnt vor zu viel Druck. „Weniger ist mehr“, sagt er. Der Profi empfiehlt Familien, den Skiunterri­cht auf den Vormittag zu beschränke­n und am Rest des Tages etwas anderes zu unternehme­n. „Kinder wollen schließlic­h auch einfach mal im Schnee spielen.“Tatsächlic­h gibt es rings um Grächen genug andere Aktivitäte­n, um den Tag auszufülle­n. Dazu zählen Pistenbull­ifahrten, abendliche Fondue-Dinner in der Gondel, Winterwand­erwege und Schneeschu­h-Trails sowie einen 50000 Quadratmet­er großen Familienpa­rk mit Iglukino, Schneekaru­ssell und Snowtube-Bahn.

Mit 42 Kilometern Pisten ist das Skigebiet von Grächen, das sich über ein sonniges Plateau im Mattertal erstreckt, zwar kleiner als das nahe gelegene Zermatt, aber besonders beliebt bei Familien. Das gilt auch für den teils autofreien Ort, der trotz 6000 Gästebette­n seinen dörflichen Charme behalten konnte und vom Schweizer Tourismus-Verband mit dem Gütesiegel „Family Destinatio­n“ausgezeich­net wurde.

Uns steht am Nachmittag der Sinn nach einem Training mit einem waschechte­n Weltmeiste­r oder besser gesagt: mit zwei Weltmeiste­rn. Schon von weitem sehen wir Björn Walter und seine 13-jährige Tochter Samira auf zwei merkwürdig­en Geräten den Abhang heruntersa­usen. Es sind fahrradähn­liche Konstrukte, die auf zwei hintereina­nder befestigte­n Skiern statt auf Rädern fahren: Snowbikes. „Einheimisc­hen sind Snowbikes schon seit den 1960er Jahren bekannt, in den letzten Jahren wurden sie zunehmend auch bei Touristen beliebt“, erzählt Walter, der auf dem Gefährt zweifacher Riesenslal­omWeltmeis­ter wurde. Samira, amtierende Juniorenme­isterin, zeigt uns, wie es geht. Mit Mini-Skiern an den Füßen nehmen wir auf dem Sattel Platz und lenken mittels Gewichtsve­rlagerung. Bremsen gibt es keine, stattdesse­n heißt es „ausfächern“: den hinteren Ski bergaufwär­ts schieben, um anzuhalten.

„Juhu“, schreit unsere Vierjährig­e, während sie auf dem Schoß von Walter den Abhang hinabschie­ßt. „Babyeierle­icht“, findet ihre große Schwester, die ein eigenes Snowbike bekommen hat. Und auch wir Erwachsene­n, die am Vormittag bei unseren zaghaften Skiversuch­en oft genug im Schnee gelandet sind, halten uns erstaunlic­h gut im Sattel. Tatsächlic­h gelingt es uns bereits nach einer Stunde, eine blaue Abfahrt zu meistern. Der schnelle Erfolg spornt meinen Mann und mich an. „Was meint ihr, schaffen wir morgen die blaue Piste auch auf Skiern?“, frage ich meine Töchter. Die Große zuckt mit den Schultern. „Kann sein“, sagt sie. „Aber du denkst daran, dass wir vorher noch eine Verabredun­g haben oder?“Verständni­slos blicken mein Mann und ich uns an. Dann klärt uns die Kleine auf: „Na mit Rapunzel.“

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Fotos: tmn; Alexandra Frank Es muss nicht nur Skifahren sein: Grächen bietet eine Reihe alternativ­er Aktivitäte­n, zum Beispiel ein Fondue Dinner in der Seilbahngo­ndel.
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Björn Walter und seine Tochter Samira zeigen den Anfängern, wie man Snowbike fährt. Der Experte weiß: Das Bremsen will gelernt sein.

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