Ein Schiedsrichter, der auf Autoritäten pfeift
Manuel Gräfe ist einer der besten Unparteiischen in der Fußball-Bundesliga. Nun prangert er Mauscheleien an – und erschüttert eine ganze Branche
Zwei Dinge fallen auf, wenn man Manuel Gräfe trifft: Mit seinen 1,97 Metern wirkt er noch größer als bei Fußball-Übertragungen im Fernsehen. Das andere ist seine Art zu reden, der oft ganze Silben zum Opfer fallen. Dabei lohnt es genau hinzuhören, wenn Gräfe etwas sagt. Der 44-Jährige nimmt kein Blatt vor den Mund – auch nicht vor Autoritäten. Gräfe hat zum Beginn dieser BundesligaSaison dem ein Interview gegeben, das die Branche aufgerüttelt hat. Der Berliner hat in die Abgründe des deutschen Schiedsrichterwesens blicken lassen und dabei besonders die beiden Platzhirsche Herbert Fandel, Kommissionschef, und Helmut Krug, Chefinstruktor, attackiert. Gräfes zentraler Vorwurf: Die beiden hätten in den vergangenen Jahren Vetternwirtschaft betrieben. Gräfe: „Sie ha- ben sich ihre Schiedsrichterliste so zusammengebastelt, wie sie es wollten. Alle, die nicht zu allem Ja und Amen gesagt haben, wurden auf verschiedenen Ebenen bearbeitet.“
Eine solche Frontal-Anklage gegen Vorgesetzte wagt normalerweise nur, wer seine beste Zeit hinter sich hat, oder ausgeschieden ist. Gräfe aber haben die Bundesliga-Spieler in der vergangenen Saison zum besten Schiedsrichter gewählt. Der Berliner hat im eigenen Lager Verbündete, wenn auch überwiegend schweigende. Das System, das eher die Angepassten befördert, erzieht nicht zum offenen Widerspruch. Ausnahmen wie Gräfe bestätigen die Regel. Der Sportwissenschaftler und Historiker sagt, was er denkt. Die Schiedsrichterei war nicht sein Ziel. Gräfe war in jungen Jahren ein talentierter Spieler, der an der Seite des späteren Bundesliga-Profis Robert Kovac bei Rapide Wedding gekickt hat. Unparteiischer sei er nur wegen einer Fehlentscheidung geworden, witzelt er. Ein Schiedsrichter habe ihm ein regelgerecht erzieltes Tor abgepfiffen. Tatsächlich aber war er als Spieler an Grenzen gestoßen. Weil der Fußball aber seine Leidenschaft blieb, stieg er um. Seinen eigentlichen Berufstraum, Sportjournalist, verlor er dabei aus den Augen. Gräfe arbeitete für eine Modeagentur und wechselte später ins Immobiliengeschäft. Finanziell hätte er das im Moment nicht nötig. Bis zu 100000 Euro im Jahr brutto verdient inzwischen ein Top-Schiedsrichter. Auch deshalb will jeder ganz oben pfeifen. Über Auf- und Abstieg entscheiden in diesem geschlossenen Zirkel einige wenige, weshalb Gräfe auch fehlende Transparenz beklagt.
Der 44-Jährige will den Prozess, den er angestoßen hat, durchziehen. Daran hat auch ein vierstündiges Krisengespräch nichts geändert. Inzwischen ermittelt der Deutsche Fußball. Der DFB will von seinen Schiedsrichtern wissen, ob die Anklage stichhaltig ist. Am Ende werden wohl entweder Krug und Fandel oder Gräfe die Rote Karte sehen.