Wie fanfreundlich ist der Fußball?
Interessen zwischen Vereinen, Dachorganisationen und aktiver Fanszene driften zusehends auseinander. Im Mittelpunkt: der Protest der Ultras. Was im Hintergrund passiert
Augsburg Die Proteste in den Stadien haben nachgelassen, die eindeutigen Banner mit „Krieg dem DFB!“und „Fick dich DFB!“verschwinden zusehends in den Fanblöcken. Ausgestanden ist der Konflikt zwischen der aktiven Fanszene auf der einen, dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) und der Deutschen Fußball-Liga (DFL) auf der anderen Seite aber längst nicht. Weiterhin wird Widerstand geleistet, allerdings finden Annäherungen statt. Letztlich dreht sich alles um die Frage: Ist der Fußball der Zukunft mit Faninteressen vereinbar?
Die aktive Fanszene, vereint in der Ultra-Bewegung, hat in den vergangenen Monaten in mehreren Etappen Zeichen gesetzt. Zunächst über plumpe Beschimpfungen und das Erregen öffentlicher Aufmerksamkeit; es folgten Themen-Spieltage, an denen eingeleitet mit „Was uns an euch stört“konkrete Missstände kritisiert wurden, etwa die Sportgerichtsbarkeit, das Aufweichen der 50+1-Regel, Halbzeitshows oder die Auslandsvermarktung. Dieser Protest zeigte Wirkung.
Als DFB-Boss Reinhard Grindel Mitte August Kollektivstrafen wie Spiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit aussetzte, reichte er der Ultra-Szene damit die Hand. Dass Grindel selbst nach Vorfällen im DFB-Pokalspiel zwischen Rostock und Berlin dieser Linie treu blieb, nahmen die Ultras wohlwollend auf. Folge: Sie reduzierten ihre Protestaktionen.
In der Vergangenheit hat der DFB im Rahmen der „AG Fankulturen“zu Treffen mit Fanorganisationen eingeladen. In etlichen Kritikpunkten sind sich diese einig. Beispielsweise darin, dass TV-Vermarktung nicht zulasten der Fans gehen darf. Spieltage, die sich von Freitag bis Montag ziehen, lehnt etwa Rainer Vollmer von „Unsere Kurve“ab. Ein gewisser Kommerz sei erforderlich, meint er. „Auf die Fans muss aber Rücksicht genommen werden, zu viel Kommerz macht den Fußball kaputt.“Die Vereine stehen zwischen den Fronten. Einerseits schätzen sie Choreografien und die lautstarke Unterstützung der Fans in ihren Stadien, andererseits setzen sie als Wirtschaftsunternehmen Millionen um.
Die 50 Ultra-Gruppierungen, mit Wortführern aus Berlin und Dresden, verfolgten bisher eigene Pläne. Sie wollten dem DFB diktieren, wer, wo und wann man mit ihnen sprechen könne. Reagiert hat der DFB darauf bisher nicht, weil er sich ungern herumkommandieren lässt. Wie die Ultras auch.
Allmählich verzieht sich der Pulverdampf. Der Verbund der UltraGruppierungen zeigt sich gesprächsbereit. Anfang November soll er an einem Treffen mit Fanorganisationen, Vereinsvertretern und Spitzenfunktionären des DFB und der DFL teilnehmen. Rainer Vollmer sagt: „Wichtig ist der Dialog zwischen Verbänden, Vereinen und Fanorganisationen – ohne einen elitären Kreis zu bilden.“
Mit am Tisch sitzen wird Michael Gabriel. Der Pädagoge leitet die Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS). Er erklärt, Fanorganisationen wiesen seit Jahren auf Probleme hin, aber erst jetzt, wo durch den Protest der Ultra-Gruppierungen Druck aufgebaut werde, veränderten sich die Dinge in einem atemberaubenden Tempo. „Eigentlich ist das ein schlechtes Signal für die Dialogstrukturen“, betont Gabriel.
In den vergangenen Wochen hat er vermittelt, unter anderem moderierte er ein Treffen in Erfurt, an dem Vereinsvertreter und UltraAbgesandte teilnahmen. Der FC Augsburg war durch Geschäftsführer Michael Ströll und drei UltraMitglieder der „Legio Augusta“ vertreten. Gabriel hat das Gefühl, beide Seiten seien an einer gemeinsamen Lösung interessiert.
Garantien dafür gibt es jedoch keine. Zwar könnte der DFB über Themen wie Vermarktung, die Mitbestimmung von Mitgliedern in Klubs oder einen sportlich fairen Regionalligaaufstieg mit sich reden lassen. Von manchen Positionen werden er und andere Fanorganisationen aber nicht abrücken. Dass sie beispielsweise Pyrotechnik erlauben und bei Gewalt und Krawallen milde reagieren, ist ausgeschlossen.
Zudem ist das gegenseitige Misstrauen groß, nachdem in der Vergangenheit wiederholt Versprechungen nicht eingehalten wurden. Die Folge waren verhärtete Fronten. KOS-Sprecher Gabriel gibt zu Bedenken: „Diese Dimension des Vertrauensverlusts hat bisher niemand durchdrungen.“