„Alles auf Anfang!“
Heute läuft in den Kinos der dritte Teil von „Fack ju Göhte“an. Bei Dreharbeiten im Juni am Donaukai waren auch Neuburger als Statisten dabei. Zum Filmstart dürfen sie nun von ihren Erfahrungen berichten
Neuburg Rot ist an diesem Tag tabu. Weiße Hemden, Kleinkariertes und Feingestreiftes auch. Hohe Schuhe müssen gegen flache Treter ausgetauscht werden. Und kurze Shorts sind an diesem warmen Juni-Tag ebenfalls nicht gerne gesehen. Nicht, weil die Beine, die darin stecken, nicht schön genug wären. Sondern weil es Frühling ist, also noch zu kühl für so viel nackte Haut. Ja, dieser 17. Juni verwandelt sich in einen sonnig-warmen Tag – sagen wir Anfang Mai. Und die Bank am Donaukai gegenüber dem Café Hertlein verwandelt sich in eine Bushaltestelle. Und die 30 Burgfunken, die dort auf- und abgehen, die verwandeln sich in Passanten. Auch der Verkehr wurde ausgesperrt. Nur vier Autos dürfen zwischen dem Hertlein und dem Huber-Eck ihre Runden drehen.
Das Schauspiel macht seinem Namen alle Ehre: Die Münchener Filmgesellschaft Constantin hat sich Neuburg als Drehort ausgesucht, um eine Szene für „Fack ju Göhte 3“zu drehen Heute kommt der Film in die Kinos. Von den Dreharbeiten damals durften die Beteiligten nichts erzählen. Eine Verschwiegenheitserklärung, die alle Statisten unterschreiben mussten, verpflichtete sie dazu. Mit dem heutigen Filmstart hat das Schweigen aber ein Ende.
Mit der Organisation vor Ort wurde damals Dominik Weiss von der Stadt Neuburg betraut. „Constantin-Film rief bei uns an und hat angefragt, ob für den Film ,Fuck ju Göhte’ gedreht werden darf“, erzählt er. Mehrere Orte standen zur Auswahl, doch der Regisseur habe sich für Neuburg entschieden. Außerdem sollten 30 Männer und Frauen die Szenerie beleben. Für den Vize-Präsident der Burgfunken war das kein Problem: Über den Verein konnte er schnell und unkompliziert die notwendige Mannschaft zusammentrommeln.
Eine Stunde vor Drehbeginn weist eine Regieassistentin die Gruppe in den Ablauf ein. Ganz wichtig: Niemand darf über das, was im Folgenden passiert, bis zum Filmstart sprechen. Sollte ein Unbeteiligter fragen, was am Donaukai vor sich geht, laute die Antwort: „Hier wird Aladin gedreht.“Das wenig Aufsehen erregende Filmtitel-Pseudonym soll Fans davon abhalten, die Dreharbeiten zu stören. Außerdem soll natürlich so wenig wie möglich von der Handlung im Vorfeld bekannt werden. Deshalb bekommen auch die Statisten nur eine dürre Info zur geplanten Szene: Chantal, deren türkisfarbener Lidschatten das hellste an ihrem Köpfchen ist, macht im dritten Teil des ein Praktikum. Ein Bus bringt sie in die Stadt, sie steigt aus und wackelt davon.
Nachdem die Kleidung jedes Einzelnen überprüft und gegebenenfalls gewechselt wurde, werden die Komparsen positioniert. Dominik Weiss und seine Freundin Eva dürfen sich auf Höhe der Schwemmtreppe über das Geländer lehnen. Klaus Buckl und seine Frau Rita sollen aus dem Bus aussteigen. Michael Wittmann, Daniela Wittmer und Thilo Hauke schlendern am Donaukai, während Claudia Nadler mit einer Einkaufstasche bepackt über die Oskar-Wittmann-Straße springt. Auch Christian Heinrich bekommt eine tragende Rolle: Er darf mit dem Handy am Ohr durchs Bild laufen. Darüber hinaus werden vier Autofahrer rekrutiert, die die Straße beleben sollen.
Gegen 16 Uhr wird es schließlich ernst. „Ruhe bitte! Ton ab – Ton läuft!“, kommt es aus Richtung der Kameraleute und des Regisseurs. Dann dauert es noch einen kurzen Moment, ehe das Stichwort „uuuuuuuund bitte!“kommt.
Die festgefrorene Situation löst sich auf. Jeder läuft in die zuvor festgelegte Richtung. Die Paare auf der Bank unterhalten sich, der Bus fährt vor, die Tür geht auf. Chantal Ackermann steigt aus, hinter ihr folgen Klaus und Rita Buckl. Die Tussi aus der fiktiven Goethe-Gesamtschule trägt eine knackig-kurze Jeansshort, eine Herzchen-Nylon- Jacke, und an den Füßen stecken klobige Keilabsatz-Turnschuhe. In diesem Aufzug stolziert sie mit ihrem Rollköfferchen den Donaukai Richtung Schloss entlang. Aber nur ein paar Schritte, dann ruft der Regisseur „Danke! Alles auf Anfang!“.
So geht das die nächsten drei Stunden. Immer und immer wieder wird dieselbe Szene gedreht. Manche Positionen werden verändert oder die Laufgeschwindigkeiten korrigiert. Auf der Straße wenden die Autofahrer unermüdlich ihre Fahrzeuge, um immer wieder von der Ausgangsposition aus losfahren zu können. „Es war spannend, zu seFilms hen, wie oft eine Szene neu gedreht werden muss und wie viel Arbeit dahinter steckt“, erzählt Rita KrisorBuckl später. Sie und ihr Mann waren der Hauptakteurin Jella Haase und damit der Kamera am nächsten. „Wir durften hinter Jella aus dem Bus aussteigen.“Ab und zu habe die Schauspielerin mit Busfahrerin Sabrina Gottschall geredet und sie gefragt, ob es ihr Spaß mache, Bus zu fahren. Manchmal sei sie aber auch genervt gewesen, wenn es wieder einmal hieß „Alles auf Anfang!“. „Das machen wir heute bestimmt noch 20-mal“, habe sie dann gesagt.
Eine höchst bequeme Rolle hatte dagegen Raphael Weiss. Er durfte zusammen mit Carina Gust ein Paar mimen, das auf einer Bank am Donaukai miteinander flirtet. Während andere auf- und ablaufen oder einund aussteigen mussten, konnte er gemütlich sitzen bleiben. „Das Spannende für mich war, dass ich auf Zuruf in meine Rolle schlüpfen und dabei einen relativ gleichen Bewegungsablauf einhalten musste“, erzählt der 31-Jährige. Auch er war überrascht, wie oft Szenen mitunter gedreht werden müssen, bis sie wirklich im Kasten sind. „Mit diesem Wissen werde ich wohl viele Filme mit anderen Augen sehen.“
Von dem Treiben am Donaukai hat Andrea Loy dagegen nur wenig mitbekommen. Die 36-Jährige hatte die undankbare Aufgabe, mit ihrem Auto hinter dem Bus herzufahren. „Anfangs hatte ich noch ein WalkieTalkie, das man mir aber wieder abgenommen hat. Deshalb wusste ich oft auch nicht, wann ich was zu tun hatte.“Spaß gemacht habe der Blick hinter die Kulissen aber allemal.
Wie viel von der Szene am Ende im Film gezeigt wird, können die Neuburger Statisten und alle anderen Kinogänger ab heute erfahren. Am Drehtag hieß es, dass die Einstellung etwa zehn bis 15 Sekunden dauern wird. Unangefochtener Star der Szene wird aber ohnehin ein ganz anderer sein: das Neuburger Schloss, das selbst den grellen Lidschatten von Chantal blass aussehen lassen wird.
„Habt ihr denn keine Träume?“, pflaumt Aushilfslehrer Zeki Müller die Klasse fast verzweifelt an. „Ja, schon. Aber nichts mit Beruf“, entgegnet Chantal gewohnt knapp und treffsicher. Die Chaosklasse 11b der Goethe-Gesamtschule ist zurück und diesmal geht es um die Zukunft der Schüler, die sich auf der Zielgeraden zum Abi nun doch noch dem Ernst des Lebens stellen müssen.
Ein Besuch im Berufsinformationszentrum endet erst einmal im Desaster. Nach einem MultipleChoice-Test spuckt der Algorithmus des Jobcenters für die Göhtianer Zukunftsperspektiven als Kanalarbeiter oder Altenpflegerin aus. Lehrer Zeki (Elyas M’Barek) kommt immerhin auf „78 Prozent Schlachter“. „Der Computer ist behindert. Wir wollen das nicht werden“, brüllt Chantal (Jella Haase) und Danger (Max von der Groeben) zerlegt erst einmal den Filmvor- führraum. Der Zukunftsschock sitzt tief und führt dazu, dass die rudimentäre Lernmotivation der Schüler weiter absackt. Dabei hat Schulamtsleiter Badebrecht (Michael Maertens) gerade einen Abitur-Zulassungstest für den ganzen Jahrgang verordnet und mit den Problemschülern der 11b ist auch die Existenz der Schule gefährdet.
Das Finale von „Fack ju Göhte“versteht sich in allererster Linie als Fanprodukt. Fast 15 Millionen Zuschauer haben die ersten beiden Teile ins Kino gelockt und die werden am Ende noch einmal mit Vertrautem verwöhnt. Nachdem die zweite Folge mit einer Klassenfahrt die Flucht nach Thailand antrat und allzu sehr aus der Hüfte geschossen wirkte, besinnt sich Regisseur und Drehbuchautor Bora Dagtekin auf die Qualitäten des Originals und kehrt zurück in den Mikrokosmos Schule. Hier kommt es wieder zur rituellen Cha- osproduktion, um den Aufmerksamkeitspegel nicht absacken zu lassen und die dramaturgische Marschroute ein wenig zu kaschieren. Denn während die ersten beiden Teile narrativ umherschweiften, hat „FJG 3“ein klares Ziel vor Augen. Wenn Corinna Harfouch als Berufsberaterin attestiert, dass diese Schüler wohl nie vollwertige Mitglieder der Gesellschaft werden, muss Zeki unterstützt von seiner beherzten Kollegin Biggi (einfach Bombe: Sandra Hüller) nun folgerichtig das Gegenteil beweisen und seine geliebten Querulanten mit einem Happy-Abi-End versorgen.
Klar trägt der Film seine integrative Botschaft an einigen Stellen etwas dick auf. Aber letztlich folgt er damit dem Geist des Erstlings, der hinter der Macho-Schale ein großes Herz für die Figuren nur mühsam verstecken konnte. Immerhin schafften es Dagtekin und seine Darstellerin Jella Haase, dass sich mehr als sieben Millionen Zuschauer in die Assi-Braut Chantal verliebten, was eine Integrationsleistung ist, wie sie wohl nur das Kino hervorbringen kann. Aber bei aller Lebensratgeberei und dramaturgischen Abrundungsanstrengungen liegt die eigentliche Qualität erneut in den vielen kleinen dialogischen Details, im Jargon- und Sprachwitz, der sich zumeist aus der sichtbaren Zuneigung zu den Charakteren speist.
Und wenn es am Ende mit Chantals Abi-Ansprache doch zu kitschig wird, ruft Zeynep (Gizim Emre) mal eben ein kräftiges „Chantal, du geile Sau“dazwischen und lässt die Luft wieder aus der Szene raus. Alles in allem ein fast etwas zu würdiger Abschluss, der sich jedoch die anarchistische Spielfreude in kanalisierter Form bewahrt hat – so wie Danger, der seine Wutausbrüche nun an der Kunsthochschule als neuer Jackson Pollock ausleben darf.
» Ein Interview mit Elyas M’Barek lesen Sie am Samstag im Wochenend Journal.