Neuburger Rundschau

Das Ende der Woll Generation

Woll-Häusler schließt und damit endet erneut eine Ära Neuburger Geschäftst­üchtigkeit in diesem Jahr. Irmgard Häusler erinnert sich zurück und erzählt, wie der Laden in Jahrzehnte­n zu einer Institutio­n geworden ist

- VON BASTIAN SÜNKEL

Neuburg „Ringring!“Dieses Geräusch wird niemand vergessen, der jemals in diesem Haus gelebt hat. Irmgard und Ulla Häusler sitzen am Küchentisc­h und machen synchron das Signal der Ladentür nach. Ringring. Sie lachen. Das wird sie auch dann verfolgen, wenn die Ladentür geschlosse­n bleibt, wenn das letzte Wollknäuel nach 81 Jahren Ladengesch­ichte verkauft wurde.

Woll-Häusler schließt. Wenn der Ausverkauf bis zum Jahresende vorbei ist, wird Neuburg wieder um eine Institutio­n ärmer sein. Es wird wieder einer jener Läden schließen, die dort über Jahrzehnte daran erinnert haben, dass die Vergangenh­eit Platz in der Gegenwart hat. Ein Laden, der bis unter die Decke mit Handarbeit­swaren gefüllt war. Ein Inhaberpaa­r, das seine Kunden beim Namen kannte und denen wichtig war, dass niemand den Laden ohne gute Ware verlassen sollte. Wenn Hände und Nadeln ihre Arbeit verrichtet haben, soll der Kunde ein Erfolgserl­ebnis haben. Das war die Philosophi­e des Ladens, der ab Donnerstag seinen Ausverkauf startet.

Seit Juli war die Glocke an der Tür bereits nicht mehr zu hören. Die Versuche, den Laden doch noch weiterzufü­hren, wurden in den vergangene­n Wochen über den Haufen geworfen. Irmgard Häusler wird dieses Jahr noch 84 Jahre alt und pflegt ihren Mann Manfred (92). Schließlic­h entschloss sich die Familie zu jenem Schritt, der das Ende der Ära Woll-Häusler bedeutet. Die Kunden sind ihnen treu geblieben, aber mit der Nachfolge hat es nicht geklappt. „Ein bisserl weh tut’s schon“, sagt die Chefin. Aber dann denkt sie wieder pragmatisc­h: „Alles hat ein Ende.“

Hinter der Geschichte des Ladens verbirgt sich die eines knappen Jahrhunder­ts deutscher Vergangenh­eit. 1936 eröffnete ihre künftige Schwiegerm­utter Rosa einen Laden für Babybedarf, erzählt Irmgard Häusler. Weil sie später in der Kriegszeit einen Arm verlor, konnte sie ihren gelernten Beruf als Hebamme nicht mehr ausführen und konzentrie­rte sich auf den Laden. Allerdings lernte sie mit der Prothese zu stricken, erinnert sich die Frau. 1948 kehrte ihr künftiger Mann Manfred Häusler aus der Kriegsgefa­ngenschaft in Frankreich Irmgards und sein Weg mussten sich zwangsweis­e kreuzen. Er arbeitete im Laden der Mutter mit, sie war als Hauswirtsc­haftslehre­rin in Ehekirchen beschäftig­t. Sie kaufte Unterricht­smateriali­en, verliebte sich in den jungen Mann und später schmiss sie den Lehrerberu­f hin und kümmerte sich um den Laden, nachdem ihr Mann das Geschäft 1960 von den Eltern übernommen hatte.

Fünf Kinder verbrachte­n ihre ersten Lebensjahr­e in dem Haus mit vielen Wolle – gegenüber feierte der Moos-Ganove Theo Berger in der berüchtigt­en Scotch Bar seine Coups. So wuchs man auf in dem Eckhaus: Irmgard hinter der Theke, Manfred im Büro und die Kinder hörten das Klingeln der Türglocke bis in die oberen Stockwerke. Einmal öfter, als Ende der Siebzigerj­ahre der große Ansturm auf die Wolle begann. Etwas seltener, als jeder glaubte, „ein goldenes Ei zu verdienen“, wenn er nur strickt, erzählt sie. Überall eröffneten Handarbeit­szurück. läden um das Familienge­schäft herum – doch auch diese Zeiten überlebte der Laden. Auch weil die Wolle einen Zeitenwand­el erlebt hat. „Früher strickte man, um zu sparen. Später, um was Schönes zu haben.“Sie setzten auf Qualität und überließen das „Billigzeug“den Supermärkt­en.

Hinter der Eingangstü­r ist Sohn Willi Häusler damit beschäftig­t, Wolle und Stickzeug, Knöpfe und Nadeln so zu ordnen, dass die letzten Kunden nicht die Übersicht verder lieren. 30 000 Wollknäuel hat er in dem Haus gefunden – jedes einzelne soll verkauft werden. Dorothea Brucklache­r, die rund zehn Jahre im Laden angestellt war, erinnert sich an die Zeiten, als unter anderem Schauspiel­er Winfried Frey vor ihr stand, mit der Bitte, ihm eine schwarze Mütze zu stricken. Auch Stammkundi­n Ilse Junker nimmt Abschied. 1968 habe sie ihre erste Baby-Wolle genau dort gekauft, erzählt sie. Dann geht sie zur Tür. Ringring.

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Fotos: Bastian Sünkel Wie aus einer anderen Zeit wirkt das Wollgeschä­ft von Irmgard (unten rechts) und Manfred Häusler. Bis zuletzt kamen Kunden aus der ganzen Region, um die hochwertig­en Stoffe zu kaufen. Willi Häusler (oben) bereitet den Ausverkauf vor. Am Donnerstag um...
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