Ein Idol der Jazz Szene spielt in Neuburg
Lee Konitz ist schon mehrfach im Hofapothekenkeller aufgetreten – immer mit Erfolg. Sein Ton ist inzwischen brüchiger geworden. Doch auch diesmal schafft der Altsaxofonist es wieder, dass das Publikum ihm ehrfürchtig lauscht
Neuburg Ein grandioses Lebenswerk auf der Bühne des Neuburger Birdland: Schon in den Fünfzigern war Lee Konitz das große Idol der damals jungen deutschen Jazz-Szene, die in Frankfurt ihren Kristallisationspunkt hatte. Albert Mangelsdorff eiferte ihm nach, Attilla Zoller ebenso, auch Heinz Sauer und viele andere sahen in seiner Musik ihr eigenes Ideal.
Bevor er jedoch mit den deutschen Kollegen Alben wie ZoKoMa (Zoller Konitz Mangelsdorff) aufnahm, hatte der 1927 in Chicago geborene Altsaxofonist in New York schon Jazzgeschichte geschrieben: Ende der vierziger Jahre hatte Konitz gemeinsam mit Miles Davis, Gil Evans, Lennie Tristano, Wayne Marsh und anderen den „Cool Jazz“entwickelt, einen Stil, der bis heute einen wesentlichen Traditionsstrang der improvisierten Musik prägt. „Cool“bezeichnet dabei eine eher innerliche, überlegte, ruhige, konzertante Haltung des Musizierens. Lee Konitz brachte eine besondere Art der Improvisation ein, die in ihren linearen Tonfolgen und intuitiv erfundenen Melodien als spontane Komposition bezeichnet werden kann.
Neunzig Lenze hat der Großmeister inzwischen gesehen, ungebrochen ist seine Improvisationslust und -kunst. Zu Recht gilt er nach wie vor als einer der sinnigsten, innigsten, kreativsten Improvisationskünstler, auch wenn er seine Ideen über Strecken nicht mehr dem Instrument, sondern seiner noch erstaunlich sattelfesten Stimme anvertraut und auf der Bühne im Neuburger Jazzkeller länger sitzt, als steht. Auf dem Altsaxofon, das er ob seiner Widerspenstigkeit zuweilen „am liebsten an die Wand schleudern würde“, ist sein Ton heute deutlich brüchiger als in jüngeren Jahren, in denen er mehrfach in Neuburg aufgetreten ist und im Dezember 1999 gemeinsam mit Kenny Wheeler eine wunderbare Live at Birdland CD aufgenommen hat. Der puren, geradezu essentiellen Schönheit seines bis in die letzte Schwingung hinein nuancierten Tons, der frappanten ästhetischen Logik seiner Linien und dem Fluss der musikalischen Momente nehmen die Unbilden des Alters gleichwohl nichts.
Seit vielen Jahren tauscht Lee Konitz sich nun schon mit jüngeren Kollegen aus und lebt aktiv die Weitergabe der Tradition. Jazz bleibt eben weniger durch die Akademien als durch die unmittelbare Weitergabe der Erfahrung lebendig. Zugleich zieht der Ältere aus dem Austausch seinerseits Inspiration und Anregung, wie konkret gleich zu Beginn der Konzerts zu spüren, als ihn Pianist Dan Tepper kurz ans Thema heranführt. Das Trio aus Tepper am Flügel, Jeremy Stratton am Bass und George Schuller am Schlagzeug beherrscht meisterhaft die Kunst der maximalen Reduktion, der sensitiven Zurückhaltung, der Pausen, der Räume, der nicht gespielten Noten. Sehr behutsam zelebrieren sie ein geradezu perfektes Zusammenspiel untereinander wie mit dem Altmeister Lee Konitz, dem an diesem denkwürdigen Abend die mit Händen zu greifende Ehrfurcht eines atemlos lauschenden Publikums gilt.