Neuburger Rundschau

Es ist ein steiler und weiter Weg

Wie aus einem afghanisch­en Flüchtling ein bayerische­r Lehrling geworden ist. Ein positives Beispiel

- VON MANFRED DITTENHOFE­R

Neuburg 150 Geflüchtet­e sind bisher in IHK-Betrieben der Region 10 in Ausbildung­sverhältni­ssen untergekom­men. Kein leichtes Unterfange­n für die Betriebe, die einige bürokratis­che Hürden zu umschiffen haben. Und auch für die Flüchtling­e ist es nicht einfach, da erst einmal die deutsche Sprache gelernt werden muss. Positive Beispiele aber lassen hoffen. Von einem dieser positiven Beispiele handelt dieser Bericht.

Freundlich lächelnd sitzt er im Besprechun­gsraum. Einzig das dauernde Zupfen an den Fingern lässt darauf schließen, dass er nervös ist. Eigentlich hat er frei. Trotzdem ist er aus Schrobenha­usen nach Neuburg gekommen. Er möchte seine Geschichte erzählen. Und auch einigen Menschen damit danken. Sajid Shahid stammt aus Afghanista­n, ist Flüchtling und Azubi bei der Firma WIPAG.

Seine Geschichte liest sich wie ein Roman, an dessen Ende der Leser froh ist, dass es sich nur um Fiktion handelt. Aber Shahid hat diese Geschichte erlebt: Der Vater, der als Übersetzer für die Amerikaner gearbeitet hatte und von den Taliban als Spion erschossen wurde. Der Onkel, der nach Pakistan geflohen war. Die Mutter, die ältere Schwester und der jüngere Bruder, die lange Zeit verschwund­en waren. Sahids Flucht nach Pakistan. Von dort eine Odyssee über den Iran, die Türkei, Bulgarien, Serbien und Ungarn nach Deutschlan­d. Das ist alles über drei Jahre her. Heute ist Shahid 18 Jahre alt. 2014 kam er nach Rosenheim und von dort in das Kinderheim in Schrobenha­usen. Über seinen Asylantrag ist noch nicht entschiede­n.

Aber der junge Afghane hatte auch Glück im Unglück. Zuerst einmal, dass er diese Fluchtodys­see als damals knapp 15-Jähriger überhaupt überlebt hat. Und dann die Tatsache, dass sich in Schrobenha­usen Menschen um ihn gekümmert haben. Im Deutschkur­s lernte er Anne de Wachter kennen. Die Schrobenha­usenerin, die sich ehrenamtli­ch um die Geflüchtet­en kümmerte, erkannte das Potenzial sehr schnell, das in Shahid schlummert. Sie beantragte die Vormundsch­aft für den Minderjähr­igen und nahm ihn in seiner Familie auf. Wie groß Shahids Potenzial ist, zeigt sein Werdegang in den vergangene­n drei Jahren. Nach einem Jahr Deutschkur­s kam Shahid in die Integratio­nsklasse an der Berufsschu­le. Außerdem absolviert­e er mehrere Praktika und Schnupperk­urse.

Heute macht Shahid eine Ausbildung zum Verfahrens­mechaniker Kunststoff- und Kautschukt­echnik bei der Firma WIPAG in Neuburg und besucht im Blockunter­richt die dazugehöre­nde Berufsschu­le in Wasserburg. Er spricht bereits sehr gut Deutsch und kommt im Unterricht gut zurecht. Und das alles, obwohl er in Afghanista­n nie eine Schule besucht hatte. Schon früh musste er in seiner Heimat in einer Ziegelei arbeiten. Er konnte weder rechnen noch schreiben oder lesen, als er nach Deutschlan­d kam – auch nicht in seiner Mutterspra­che. Aber er hatte den Willen, sich in Deutschlan­d zu integriere­n. In Schrobenha­usen lernte er Simone Wiedemann kennen. Sie arbeitet im elterliche­n Unternehme­n im Bereich Marketing und Vertrieb. Shahid erhielt einen Vorstellun­gstermin und daraus resultiere­nd einen Ausbildung­splatz. Im September 2016 ging es los mit einem halben Jahr Qualifizie­rungsmaßna­hmen. Dieses Praktikum sollte später auf die Ausbildung­szeit angerechne­t werden. Mitte Februar 2017 allerdings wurde die Ausbildung­szeit nicht verlängert. Shahid ist in Deutschlan­d nur geduldet und da seine Herkunft wegen fehlender Papiere nicht geklärt war, wurde die Arbeitsgen­ehmigung nicht verlängert. Ein bürokratis­cher Hürdenlauf des Unternehme­ns und des Vormunds begann. Eine Geburtsurk­unde wurde aus Afghanista­n angeforder­t, die dann noch beglaubigt werden musste.

Die IHK hält genau für solche Fälle einen Integratio­nsberater zur Verfügung. Hansjörg Brunhuber ist für die Region 10 zuständig. Seine Aufgabe ist es, Unternehme­n bei der Anstellung von Flüchtling­en durch die Untiefen der Bürokratie zu lotsen. Denn diese Bürokratie ist laut Brunhuber neben den fehlenden Deutschken­ntnissen der Geflüchtet­en das größte Hindernis, diese jungen Menschen in Ausbildung­en zu bringen. Der Berater der IHK aber hat noch mehr Aufgaben: Er informiert die Flüchtling­e in den Integratio­nsklassen über ihre Möglichkei­ten auf dem deutschen Arbeitsmar­kt. Shahid hat er geholfen, aus Afghanista­n eine Geburtsurk­unde zu beschaffen. „Wir begleiten bei Bedarf auch über die Ausbildung hinaus und versuchen die Abbrecherq­uote möglichst gering zu halten.“

Damit hat er bei Sajid Shahid keine Probleme. Der junge Afghane will diese Ausbildung unbedingt abschließe­n. Und er sieht noch weiter in die Zukunft: „Ich möchte mich weiterbild­en. Im Beruf weiterkomm­en. Und ich will meine Familie in Afghanista­n noch mehr unterstütz­en.“150 Flüchtling­e sind alleine bei IHK-Betrieben in der Region 10 in ein Ausbildung­sverhältni­s übernommen worden.

 ?? Foto: Manfred Dittenhofe­r ?? Sajid Shahid lernt bei der Firma WIPAG in Neuburg den Umgang mit Kunststoff­en und den entspreche­nden Maschinen kennen.
Foto: Manfred Dittenhofe­r Sajid Shahid lernt bei der Firma WIPAG in Neuburg den Umgang mit Kunststoff­en und den entspreche­nden Maschinen kennen.

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