Es ist ein steiler und weiter Weg
Wie aus einem afghanischen Flüchtling ein bayerischer Lehrling geworden ist. Ein positives Beispiel
Neuburg 150 Geflüchtete sind bisher in IHK-Betrieben der Region 10 in Ausbildungsverhältnissen untergekommen. Kein leichtes Unterfangen für die Betriebe, die einige bürokratische Hürden zu umschiffen haben. Und auch für die Flüchtlinge ist es nicht einfach, da erst einmal die deutsche Sprache gelernt werden muss. Positive Beispiele aber lassen hoffen. Von einem dieser positiven Beispiele handelt dieser Bericht.
Freundlich lächelnd sitzt er im Besprechungsraum. Einzig das dauernde Zupfen an den Fingern lässt darauf schließen, dass er nervös ist. Eigentlich hat er frei. Trotzdem ist er aus Schrobenhausen nach Neuburg gekommen. Er möchte seine Geschichte erzählen. Und auch einigen Menschen damit danken. Sajid Shahid stammt aus Afghanistan, ist Flüchtling und Azubi bei der Firma WIPAG.
Seine Geschichte liest sich wie ein Roman, an dessen Ende der Leser froh ist, dass es sich nur um Fiktion handelt. Aber Shahid hat diese Geschichte erlebt: Der Vater, der als Übersetzer für die Amerikaner gearbeitet hatte und von den Taliban als Spion erschossen wurde. Der Onkel, der nach Pakistan geflohen war. Die Mutter, die ältere Schwester und der jüngere Bruder, die lange Zeit verschwunden waren. Sahids Flucht nach Pakistan. Von dort eine Odyssee über den Iran, die Türkei, Bulgarien, Serbien und Ungarn nach Deutschland. Das ist alles über drei Jahre her. Heute ist Shahid 18 Jahre alt. 2014 kam er nach Rosenheim und von dort in das Kinderheim in Schrobenhausen. Über seinen Asylantrag ist noch nicht entschieden.
Aber der junge Afghane hatte auch Glück im Unglück. Zuerst einmal, dass er diese Fluchtodyssee als damals knapp 15-Jähriger überhaupt überlebt hat. Und dann die Tatsache, dass sich in Schrobenhausen Menschen um ihn gekümmert haben. Im Deutschkurs lernte er Anne de Wachter kennen. Die Schrobenhausenerin, die sich ehrenamtlich um die Geflüchteten kümmerte, erkannte das Potenzial sehr schnell, das in Shahid schlummert. Sie beantragte die Vormundschaft für den Minderjährigen und nahm ihn in seiner Familie auf. Wie groß Shahids Potenzial ist, zeigt sein Werdegang in den vergangenen drei Jahren. Nach einem Jahr Deutschkurs kam Shahid in die Integrationsklasse an der Berufsschule. Außerdem absolvierte er mehrere Praktika und Schnupperkurse.
Heute macht Shahid eine Ausbildung zum Verfahrensmechaniker Kunststoff- und Kautschuktechnik bei der Firma WIPAG in Neuburg und besucht im Blockunterricht die dazugehörende Berufsschule in Wasserburg. Er spricht bereits sehr gut Deutsch und kommt im Unterricht gut zurecht. Und das alles, obwohl er in Afghanistan nie eine Schule besucht hatte. Schon früh musste er in seiner Heimat in einer Ziegelei arbeiten. Er konnte weder rechnen noch schreiben oder lesen, als er nach Deutschland kam – auch nicht in seiner Muttersprache. Aber er hatte den Willen, sich in Deutschland zu integrieren. In Schrobenhausen lernte er Simone Wiedemann kennen. Sie arbeitet im elterlichen Unternehmen im Bereich Marketing und Vertrieb. Shahid erhielt einen Vorstellungstermin und daraus resultierend einen Ausbildungsplatz. Im September 2016 ging es los mit einem halben Jahr Qualifizierungsmaßnahmen. Dieses Praktikum sollte später auf die Ausbildungszeit angerechnet werden. Mitte Februar 2017 allerdings wurde die Ausbildungszeit nicht verlängert. Shahid ist in Deutschland nur geduldet und da seine Herkunft wegen fehlender Papiere nicht geklärt war, wurde die Arbeitsgenehmigung nicht verlängert. Ein bürokratischer Hürdenlauf des Unternehmens und des Vormunds begann. Eine Geburtsurkunde wurde aus Afghanistan angefordert, die dann noch beglaubigt werden musste.
Die IHK hält genau für solche Fälle einen Integrationsberater zur Verfügung. Hansjörg Brunhuber ist für die Region 10 zuständig. Seine Aufgabe ist es, Unternehmen bei der Anstellung von Flüchtlingen durch die Untiefen der Bürokratie zu lotsen. Denn diese Bürokratie ist laut Brunhuber neben den fehlenden Deutschkenntnissen der Geflüchteten das größte Hindernis, diese jungen Menschen in Ausbildungen zu bringen. Der Berater der IHK aber hat noch mehr Aufgaben: Er informiert die Flüchtlinge in den Integrationsklassen über ihre Möglichkeiten auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Shahid hat er geholfen, aus Afghanistan eine Geburtsurkunde zu beschaffen. „Wir begleiten bei Bedarf auch über die Ausbildung hinaus und versuchen die Abbrecherquote möglichst gering zu halten.“
Damit hat er bei Sajid Shahid keine Probleme. Der junge Afghane will diese Ausbildung unbedingt abschließen. Und er sieht noch weiter in die Zukunft: „Ich möchte mich weiterbilden. Im Beruf weiterkommen. Und ich will meine Familie in Afghanistan noch mehr unterstützen.“150 Flüchtlinge sind alleine bei IHK-Betrieben in der Region 10 in ein Ausbildungsverhältnis übernommen worden.