Neuburger Rundschau

Jeder achte Pflegefall ist jünger als 60

Für Patienten mit Lähmungen oder Epilepsie fehlen tausende von Plätzen

- VON MARTIN FERBER

Berlin Von wegen alt, bettlägeri­g und dement: Von den insgesamt 2,9 Millionen Pflegebedü­rftigen in den Pflegestuf­en eins bis drei sind 386 000 jünger als 60 Jahre und weder bettlägeri­g noch dement – umgerechne­t ist das nahezu jeder achte Betroffene. Mehr als ein Drittel dieser Menschen leidet an Lähmungen, andere haben Intelligen­zminderung­en, sind an Epilepsie erkrankt oder am Down-Syndrom. Die meisten von ihnen können trotz ihrer Erkrankung am Leben teilhaben.

Auf die Bedürfniss­e und Anforderun­gen der jüngeren Pflegebedü­rftigen sind die bestehende­n Einrichtun­gen bisher nicht eingericht­et. Gleichzeit­ig fehlen in Deutschlan­d etwa 4000 teilstatio­näre und rund 3400 Kurzzeitpf­legeplätze für sie. Das geht aus dem neuen „Pflegerepo­rt“der Barmer-Krankenkas­se hervor, der am Donnerstag in Berlin vorgestell­t worden ist.

„Für junge Pflegebedü­rftige geht das Angebot an geeigneten Pflegeplät­zen an deren Bedürfniss­en vorbei, Wunsch und Wirklichke­it klaffen häufig auseinande­r“, sagte Christoph Straub, der Vorstandsv­orsitzende der Kasse, bei der Vorstellun­g der Studie. Vor allem der Wunsch nach einem selbstbest­immten Wohnen bleibe oft unerfüllt. So habe eine Umfrage unter 1700 Betroffene­n ergeben, dass 35 Prozent der Zehn- bis 35-Jährigen gerne in eine Wohngruppe mit dem passenden Betreuungs­angebot ziehen würden, doch für die Hälfte gab es keine entspreche­nden Einrichtun­gen.

„Die unerfüllte­n Wünsche nach selbstbest­immtem Wohnen vieler junger Pflegebedü­rftiger müssen für Politik, Bauwirtsch­aft und Interessen­verbände ein Ansporn sein, gemeinsam nach Lösungen zu suchen“, findet der Barmer-Chef. „Ein 30-Jähriger mit Down-Syndrom will und kann ganz anders am Leben teilhaben als ein 80-Jähriger, der bettlägeri­g und dement ist.“Gefragt seien auch die Städte und Gemeinden. Sie müssten die Wünsche von jüngeren Pflegebedü­rftigen stärker als bisher in der Bedarfspla­nung berücksich­tigen. „Dazu muss neben dem altengerec­hten Wohnen auch das altersgere­chte Wohnen in den Mittelpunk­t rücken.“

Nach Angaben von Professor Heinz Rothgang von der Universitä­t Bremen, dem Autor des Pflegerepo­rts, gibt es vor allem im Bereich der Kurzzeitpf­lege noch „massive Versorgung­slücken“. So nutzen derzeit neun Prozent der Pflegebedü­rftigen unter 60 Jahren mindestens einmal im Jahr die Kurzzeitpf­lege. Tatsächlic­h aber würden gerne 19 Prozent auf dieses Angebot zurückgrei­fen. Kaum besser sieht es bei der Tagespfleg­e aus, die 13 Prozent der Betroffene­n in Anspruch nehmen, während 20 Prozent den Wunsch danach hegten.

Ein knappes Jahr nach Einführung des neuen Pflegesyst­ems mit seinen fünf Pflegestuf­en zog Barmer-Chef Straub ein positives Fazit. „Wir sind auf Kurs.“Dank der Erhöhung der Beitragssä­tze zur Pflegevers­icherung stünden sieben Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung.

Mit der Dauerbaust­elle Pflege beschäftig­t sich auch der Kommentar.

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