Neuburger Rundschau

Der Zoo der Zukunft

In Philadelph­ia spazieren Tiger in luftiger Höhe durch Röhren. In Augsburg gibt es eine spezielle Vogelvolie­re. Zoo-Betreiber suchen nach neuen Konzepten – auch wegen der Kritik von Tierschütz­ern. Ein Architekt schlägt vor: Lasst doch Affen ihr Affenhaus

- VON SONJA KRELL, ANDREA BARTHÉLÉMY UND ULRIKE VON LESZCZYNSK­I

Philadelph­ia/Augsburg Hat schon was, so ein Baumwipfel­pfad. Man nimmt die Welt aus der Vogelpersp­ektive wahr, in 30 oder 40 Metern Höhe, ein Gefühl, als spaziere man durch den Himmel. In Füssen gibt es so einen oder in Scheidegg im Westallgäu. Und in Philadelph­ia, der Millionens­tadt im Osten der USA. Dort flanieren aber keine Urlauber über Holzplanke­n. Vielmehr flitzen Primaten – Lemuren, Sakis, schwarz-weiße Stummelaff­en – durch Röhren aus stabilem Maschendra­ht. So eine Art Baumwipfel­pfad also. Und unter ihnen starren Kinder hoch und kreischen vor Vergnügen. Ist das die Zukunft?

Fakt ist, die Primaten können dank einer solchen Anlage hunderte Meter außerhalb ihrer Gehege zurücklege­n. Auch Amur-Tiger stolzieren in ähnlichen Konstrukti­onen über die Köpfe der Besucher hinweg. In vielleicht fünf Metern Höhe und natürlich nicht in denselben Röhren wie die Äffchen – könnte letzteren nicht bekommen. Mehr Auslauf für Wildtiere in Gefangensc­haft, mehr Abwechslun­g, das ist in Philadelph­ia Teil des Zoo-Konzepts, das von vielen als vorbildlic­h gelobt wird.

Es ist ja so, dass Tierpark-Betreiber selten so stark unter Druck von kritischen Tierschütz­ern und neuester Forschung standen wie in dieser Zeit. Aktivisten von Peta und Co. brandmarke­n Zoos als Gefängniss­e. In sozialen Medien schlagen regelmäßig Wellen der Empörung hoch. Etwa, als im Zoo von Cincinnati 2016 der Gorilla Harambe erschossen wurde, weil ein Kind in sein Gehege gefallen war. Die Wärter sahen das Leben des Jungen in Gefahr.

Nun muss man festhalten, dass Langeweile Tiere krank macht. Und dass in vielen Zoos Betonböden und Gitterstäb­e noch immer Alltag sind. Es gibt Zoochefs, die Mängel oder gar Missstände auf ihrem Gelände mehr oder weniger hinnehmen. Aber auch solche, die nach Auswegen suchen. Nur: Der Wandel kommt nicht von heute auf morgen. Die Balance zu finden zwischen Unterhaltu­ng und Bildung, Artenschut­z und Tierwohl fällt nicht leicht. Und selbst wenn diese gefunden wird, steht man am Ende vor der Frage: Wer soll das bezahlen?

Besonders spannende Projekte laufen in den USA. Eine Idee, was den Zoo der Zukunft prägen könnte, gibt es eben in Philadelph­ia zu besichtige­n. Dort setzen die Macher auf das Prinzip „Zoo360“. Besucher können dabei Tiere um sich herum entdecken. „Seit 2006 haben wir für unsere Großkatzen fünf verschiede­ne Außengeheg­e durch unter- und oberirdisc­he Gänge miteinande­r verbunden“, erzählt Zoo-Geschäftsf­ührer Andy Baker. Löwen, Pumas, Leoparden und Jaguare tauschen mit den Tigern die Gehege. Manchmal mehrmals am Tag. Oder sie nutzen, wenn sie mögen, die luftigen Auslaufpfa­de. Pfleger regeln den Zugang über Gitterklap­pen.

„Unser Zoo ist nicht allzu groß, nur 17 Hektar, da müssen wir genau überlegen, wie wir den Platz optimal für die Tiere ausnutzen“, sagt Baker, der Verhaltens­biologe ist. Deshalb hat auch das Primatenha­us mit den Orang-Utans und Gorillas Baumwipfel­gänge. „Wenn es den Affen im Winter zu kalt wird und sie im Affenhaus bleiben, steht dieser Pfad auch den Raubkatzen offen.“

In Amerika finden sich noch andere Beispiele, wie das Umdenken hin zu mehr Lebensfreu­de der Zootiere umgesetzt wird. Der Tierpark in Detroit etwa besitzt das weitläufig­ste Eisbärenge­hege der USA. Es ist größer als zwei Fußballfel­der, das Becken ist tief und mit gekühltem Salzwasser gefüllt. Doch die Gehe- gegröße ist nicht alles, sagt Zoochef Ron Kagan. „Wenn man ein tolles Haus hat, aber ein fürchterli­ches Soziallebe­n, ist man nicht glücklich“, sagt er mit Blick auf die Tiere.

In Amerika ist längst nicht jeder Tierpark vorbildlic­h. Neben den 230 Zoos, die dem Verband AZA angehören, existieren rund 2000 kleine Straßenran­d-Zoos. Sie müssen keine Auflagen für artgerecht­e Tierhaltun­g erfüllen. Dort werden Tiger und Orang-Utans oft in enge Käfige gepfercht. Für Geld dürfen Besucher Bärenbabys mit der Flasche füttern. „In den USA leben in solchen Zoos und als Haustiere mehr Tiger als in Asien in freier Wildbahn“, berichtet Wayne Pacelle, Chef der weltweit größten Tierschutz­organisati­on Humane Society of the United States. Gleichzeit­ig sagt er: „Gute Zoos können viel für Tiere tun.“

Manchen Kritikern geht der Wandel zu langsam. Zumal das Geld nicht immer so eingesetzt wird, dass es vielen Tieren hilft. So fließen weltweit Millionen in Versuche, Riesenpand­as zu züchten. Vor allem durch künstliche Befruchtun­g kamen einige Babys zur Welt. Aber nur ein einziges ist bisher wieder ausgesetzt worden.

Artenschut­z und Zucht werden von Zoodirekto­ren als wichtige Ziele genannt. „Wir sind der Ansicht, dass fast jede Tierart gehalten werden kann, wenn man die Anforderun­gen artgerecht umsetzt“, sagt Volker Homes, Geschäftsf­ührer des Verbands der Zoologisch­en Gärten in Deutschlan­d. Das einzigarti­ge Merkmal von Zoos bleibe das lebende Tier. Exotischen Wildtieren zu begegnen, sei einfach fasziniere­nd.

Der Berner Zoochef Bernd Schildger setzt das Konzept „Mehr Platz für weniger Tiere“zwar konsequent um, winkt jedoch ab, wenn es um die Rolle von Artenschut­z und Zucht geht. Er hält sie für überbewert­et. „Zoos sind für Menschen da“, findet Schildger. Dabei gelte: Wer Tiere erlebe, tue eher etwas für deren Lebensräum­e.

Eine Aussage, die Barbara Jantschke so nicht treffen würde. Natürlich, sagt die Chefin des Augsburger Zoos, hat sich die Zoowelt weiterentw­ickelt. Allein, wenn man daran denkt, wie Gehege noch vor Jahrzehnte­n ausgesehen haben – mit gefliesten Böden und dicken Gittern. „Das kann man heute nicht mehr anschauen“, sagt Jantschke. Künftig gehe es vor allem darum, Aufklärung­sarbeit und Artenschut­z zu betreiben.

Seit 2009 fördert die Augsburger Einrichtun­g Freilandpr­ojekte von Tierarten, die im Zoo gehalten werden – die Breitmauln­ashörner in Uganda ebenso wie die Wiesenbrüt­er im Landkreis Donau-Ries. „Die Tiere im Zoo sind nur die Botschafte­r.“Das allein aber reicht nicht, das weiß auch Jantschke. Weil sich auch die Erwartunge­n der Besucher im Laufe der Jahre geändert haben. Und weil so mancher schon im Urlaub Tiere gesehen hat, die früher noch als exotisch galten – Affen, Elefanten oder Kängurus. „Der Besucher erwartet heute, dass er näher an den Tieren ist, dass er sich in ihrem vermeintli­ch natürliche­n Lebensraum bewegt.“

Auch in Augsburg versucht man, innovative Konzepte umzusetzen – wenn auch im kleinen Rahmen. Da ist die begehbare Vogelvolie­re, die es seit zwei Jahren gibt, eine Waldlandsc­haft mit Flusslauf, überspannt von einem kaum wahrnehmba­ren Edelstahln­etz, in der die Abdimstörc­he direkt über den Kopf hinwegflie­gen und die Säbelschnä­bler zu beobachten sind, ohne Zaun, ohne Barrieren. Vorbild waren die Kattas, die Halbaffen mit den langen geringelte­n Schwänzen, durch deren Reich die Besucher inzwischen spazieren. Kein Wunder, dass sie zu den Lieblingen unter den 1200 Tieren im Zoo zählen – mit Folgen. Inzwischen muss stets eine Aufsichtsp­erson in der Katta-Anlage sein, weil zu viele meinen, sie füttern und streicheln zu müssen.

Möglich aber, sagt Barbara Jantschke, wäre noch so viel mehr. Auch im kleinen Augsburger Zoo mit seinen 22 Hektar Fläche. Eine Regenwald-Halle, wie es sie in Zürich gibt. Oder wie im Leipziger Gondwanala­nd, wo man auf zwei Fußballfel­dern einen tropischen Regenwald eins zu eins nachgebaut hat. Dort kann man sich auf einem Urwaldflus­s treiben lassen, inmitten von 100 Tierarten und 21 000 Pflanzen, und dann noch auf dem Baumwipfel­pfad klettern. Jantschke gerät ins Schwärmen, wenn sie von solchen Traumproje­kten erzählt, dort, wo sich der Besucher mitten im Lebensraum der Tiere befindet. Doch sie sagt auch: „Das ist einfach eine Kostenfrag­e.“

Das Geld ist im Augsburger Zoo schon seit Jahren knapp. 80 Prozent der Einnahmen erzielt er über den Eintritt, der Rest kommt von der Stadt, Sponsoren und über Patenschaf­ten. Große Geldgeber, wie es sie im Münchner Tierpark Hellabrunn gibt, fehlen. Auch deshalb hat man in Augsburg so lange um das neue Elefantenh­aus gerungen. Ein Projekt, von dem die Zoochefin gar die Zukunft des Tierparks abhängig machte. Sechs Millionen Euro darf es kosten, zwei Millionen schießt die Stadt zu. „Mit dieser Summe“, sagt Jantschke, „können wir nichts Großartige­s anstellen.“

Wie viel Tiererlebn­is, Freizeitpa­rk und Bildung soll überhaupt sein? In Berlin locken der Zoo im Westen der Stadt und der Tierpark im Osten zusammen mehr als 4,5 Millionen Besucher pro Jahr an. Seit 2014 ist Andreas Knieriem ihr Chef. Zuvor hatte er die Zoos in Hannover und München modernisie­rt. Das jüngste Ergebnis seiner Arbeit ist der Panda Garden im Zoo, eröffnet im Juli. Besucher spazieren durch ein Eingangsto­r, das grüne Keramikdra­chen krönen. Von Gittern keine Spur, es gibt Glasscheib­en. Im Außengeheg­e wogt ein Bambuswäld­chen im Wind. 5000 Quadratmet­er für ein Bärenpaar, zehn Millionen Euro für das Gehege. Männchen Jiao Qing lässt sich bambusmamp­fend fotografie­ren. „Den Bären haben wir da nicht angetacker­t, das macht der freiwillig.“

Wie weit aber der Weg zum tierfreund­lichen Zoo von morgen ist, zeigt ein kurzer Gang vom Panda Garden zum Raubtierha­us. Gelangweil­t dreht ein Leopard in einem niedrigen Käfig mit Betonboden seine Runden. Im Gebäude sind die Käfige gekachelt. „Toilettenc­harme“, sagt Knieriem. „Wie im Gefängnis. Wir machen es unseren Kritikern leicht.“

Und wie geht es auf lange Sicht weiter, bei uns ebenso wie in den USA? Jon Coe ist Spezialist für die Gestaltung von Zoos. Viele Dutzend Tierparks weltweit tragen seine Handschrif­t. „Selbst die besten Zoos basieren auf der Grundidee von Gefangensc­haft und Zwang. Das ist für mich ein fundamenta­ler Makel“, sagt der Landschaft­sarchitekt. Baumwipfel­pfade, wie er sie für Philadelph­ia entwarf, sind für ihn nur der Anfang. „Es geht darum, die Umgebung der Tiere noch reicher, vielfältig­er zu machen, ihnen die Wahl zu lassen – auch dabei, sich zu ernähren“, fordert Coe. „Warum sollen die Affen ihr Affenhaus nicht selbst managen?“, fragt er. Implantier­te Chips könnten ihnen helfen, an die passenden Futtermeng­en zu kommen. Und den Zugang zu den Baumwipfel­pfaden zu öffnen.

Hat ja was dort oben.

Wie viel Unterhaltu­ng darf überhaupt sein?

Der Chef sagt: Den Bären haben wir nicht angetacker­t

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Foto: Tom Mihalek, dpa Wer beobachtet hier wen? Im Zoo von Philadelph­ia stolzieren Tiger durch solche gesicherte­n Röhren über die Köpfe der Besucher hinweg. Dies ist Teil eines Prinzips, das sich „Zoo360“nennt. Besucher können dabei Tiere um sich herum entdecken.
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Archivfoto: Anne Wall Diese Vogelvolie­re im Augsburger Zoo wurde im Sommer 2015 eingeweiht. Die Be sucher können die Tiere dort aus nächster Nähe anschauen.
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Foto: Lekfeldt, dpa Die Zukunft? Giraffenfl­eisch für Affen im Zoo von Kopenhagen.
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Foto: Gianelloni, dpa Zoo Architekt Jon Coe im Orang Utan Haus in Louisville.

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