Neuburger Rundschau

Unvorstell­bar – und doch möglich

Italien droht tatsächlic­h das WM-Aus. Nationaltr­ainer Ventura versucht es schon mal mit Realitätsv­erdrehung

- VON JULIUS MÜLLER MEININGEN

Rom Großen Ereignisse­n gehen oft große Worte voran. Daniele De Rossi schwang sich vor den entscheide­nden Spielen zwischen Italien und Schweden zu einem Appell an die Nation auf, den man sonst eher nicht zwischen Turin und Taranto zu hören bekommt. „Jetzt ist der Moment gekommen, um Italien beizustehe­n“, sagte der Mittelfeld­spieler vom AS Rom und klang dabei wie ein kleiner Giuseppe Garibaldi vor seinen tausend Freiheitsk­ämpfern. „Roma-Fans, Laziali und Juventini, alle zusammen. Denn die WM ist alles.“

Wenn in Italien die Rivalitäte­n ins zweite Glied rücken sollen, dann muss viel auf dem Spiel stehen. Zwei Partien trennen den viermalige­n Weltmeiste­r von der Teilnahme an der WM 2018 in Russland. Gegner in den Play-offs ist Schweden, erst an diesem Freitag in Solna (20.45 Uhr) und dann am Montag in Mailand. Die Ausgangspo­sition für beide Teams könnte unterschie­dlicher nicht sein. Wenn Schweden sich durchsetzt, wäre es eine Sensation. Scheitern die Italiener, handelte es sich um eine historisch­e Schmach. Seit 1958 verpasste die Squadra Azzurra keine WM-Endrunde mehr.

Wohl aus diesem Grund übte sich Trainer Gian Piero Ventura in der Kunst der Realitätsv­erdrängung. Die Idee eines Scheiterns wolle der 69-Jährige sich gar nicht erst vorstellen. „Wir werden nach Russland fahren“, behauptete Ventura. Es genüge, dass Italien wie Italien spiele. Was das heißen soll, ist im Jahr 2017 nicht eindeutig auszumache­n. Ventura war 2016 gekommen, um einen Generation­swechsel voranzubri­ngen. Das Team, das unter seinem Vorgänger Antonio Conte eine ausgezeich­nete EM spielte und im Viertelfin­ale gegen Deutschlan­d scheiterte, stotterte zuletzt wie ein alter Fiat. Erst ging

Italien in der WMQualifik­ation mit 0:3 gegen Spanien unter, die direkte Qualifikat­ion war damit unmöglich. Anschließe­nd blamierten sich die Azzurri mit einem 1:1 gegen Mazedonien, dem eine Aussprache der Mannschaft folgte. Ergebnis: Die jüngeren Spieler sind sich ihrer Verantwort­ung nicht bewusst, die alten Kämpen müssen den Karren wieder mal aus dem Dreck ziehen. So ist zu erklären, dass vor den Schweden-Spielen vom Generation­swechsel fast nichts übrig geblieben ist. „Was jetzt zählt, ist die Erfahrung“, sagt Ventura. Er will in Schweden mit dem von seinem Vorgänger etablierte­n 3-5-2-System spielen lassen und setzt auf das bewährte, aber leicht rostbefall­ene Grundgerüs­t aus Torwart Gigi Buffon, Giorgio Chiellini, Leonardo Bonucci und Andrea Barzagli, die zusammen 138 Jahre alt sind.

Über Schweden zerbrechen sich vor allem die erfahrenen Spieler den Kopf. Der Mannschaft um Emil Forsberg (Red Bull Leipzig) gelang in der Quali ein 2:1-Sieg gegen Frankreich, Schweden ließ in der Gruppe auch die Niederland­e hinter sich. Buffon hört sich vorsichtig an: „Ihr methodisch­es Vorgehen ist furchterre­gend. Sie machen immer dasselbe, aber das machen sie gut.“Gemeint ist die defensive Solidität der Schweden, die ohne ihren aus der Nationalel­f zurückgetr­etenen Star Zlatan Ibrahimovi­c befreiter spielen. Für Buffon steht in den beiden Partien ein Rekord auf dem Spiel. Der 39-Jährige kalkuliert­e mit der WM in Russland als Bühne für sein Karriereen­de. Buffon wäre dann der erste Spieler überhaupt mit sechs WM-Teilnahmen. Für ihn ist der Grat zwischen Legende und Loser besonders schmal.

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Foto: Witters Trainer Gian Piero Ventura droht eine schlimme Schmach.

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