Neuburger Rundschau

Behörde entwaffnet Reichsbürg­er im Landkreis

Wie groß ist die Gefahr, die von Staatsfein­den ausgeht? Behörden und Kriminalpo­lizei haben Reichsbürg­er in der Region identifizi­ert, Schusswaff­en und -scheine sichergest­ellt und mindestens eine Jagdlizenz entzogen

- VON BASTIAN SÜNKEL

Neuburg Der Fall von Georgensgm­ünd hat den Blick auf die Reichsbürg­er-Szene in Deutschlan­d verändert. Plötzlich waren diejenigen, die auf den Ämtern und Gerichten als weltfremde Spinner mit hohem Aggression­spotenzial abgetan wurden, eine reale Gefahr. Mit dem Mord an einem Polizisten in Mittelfran­ken hat das Innenminis­terium unverzügli­ch reagiert: Menschen, die sich einer der zig Szenen und Überzeugun­gsgemeinsc­haften zuordnen, die der Bundesrepu­blik ihre Rechtmäßig­keit absprechen, werden erfasst und als erste Reaktion Waffen und deren Besitzkart­en aller Art sichergest­ellt.

Am Wochenende wurden nun Zahlen bekannt, wie sich die ministeria­le Anweisung auf den Landkreis Neuburg-Schrobenha­usen ausgewirkt hat. Auf der Bühne vor dem versammelt­en Jagdschutz­verband Neuburg steht der leidenscha­ftliche Jäger und Landrat Roland Weigert. Er schildert die Jagdsaison aus seiner Sicht und liefert die Zahlen aus dem Landratsam­t: Schwarzwil­dstrecke und Cäsiummess­ungen. Graugänse und Nachwuchsz­ahlen. Ein Punkt allerdings ist neu. In zwölf Fällen hat die Waffenbehö­rde auf den Reichs- bürger-Verdacht reagiert. Sechsmal wurde ein Waffenbesi­tzverbot für erlaubnisf­reie Waffen wie Schrecksch­usspistole­n ausgesproc­hen. Zwei kleine Waffensche­ine für den Transport von beispielsw­eise Tränengas hat die Behörde widerrufen. Und dann wird es interessan­t: Vier Reichsbürg­ern hat die Behörde die Waffenbesi­tzkarte für Schusswaff­en entzogen. Mindestens einer der Betroffene­n war auch im Besitz eines Jagdschein­s.

Nähere Informatio­nen will das Landratsam­t nicht preisgeben. Pressespre­cherin Katharina Huber erklärt, dass sich die Behörde in laufenden Verfahren befinde. Drei der vier Waffenbesi­tzer klagen am Verwaltung­sgericht in München gegen die Entscheidu­ng der Waffenbehö­rde, die Erlaubnis zu entziehen. Urteile stehen noch aus und werden wichtig sein für die rechtliche Be- wertung der Verfahren. Denn: Wie werden sogenannte Reichsbürg­er überhaupt vom Staat als solche erkannt oder wahrgenomm­en? Und wie hoch ist die tatsächlic­he Gefahr, die von ihnen ausgeht?

Seit das Ministeriu­m die Anweisung an die Behörden verschickt hat, bekommt es immer häufiger Verdachtsm­eldungen zurück. Wie aus dem Ordnungsam­t der Stadtverwa­ltung zu erfahren ist, hat man auch zuvor bereits Auffälligk­eiten an die Kriminalpo­lizei Ingolstadt weitergele­itet. Wenn zum Beispiel ungültige Ausweise oder selbst ausgestell­te Führersche­ine vorgezeigt werden, erklären Polizei und Behörden. Die Kripo berichtet von einem Fall im Raum Neuburg: Ein Mann sollte eine Strafe an die Kommune wegen einer Ordnungswi­drigkeit im Straßenver­kehr zahlen. Daraufhin verklagte er kurzerhand den Sachbearbe­iter wegen Amtsanmaßu­ng. Nach dem Prinzip: Wo kein anerkannte­r Staat, da auch kein bürokratis­cher Apparat. Der Mann sei Sportschüt­ze, der Entzug der Waffenerla­ubnis werde derzeit überprüft. In zwei weiteren Fällen haben Waffenbesi­tzer einen Staatsange­hörigkeits­ausweis beantragt – das einzige Ausweisdok­ument das in der Szene anerkannt ist, weil es auf ein Gesetz aus dem Kaiserreic­h zurückgeht. Allerdings muss gegen die Verdächtig­en kein richterlic­hes Urteil vorliegen. Waffenbehö­rde und Kripo entscheide­n, wer sich zum Staatsfein­d qualifizie­rt.

Das Staatsschu­tz-Kommissari­at der Kripo geht jenen Fällen nach, die die Behörden weiterleit­en. Ein Schwerpunk­t ist die Szene im Landkreis Ebersberg. Dort rückte die Polizei wegen des „Bundesstaa­ts Bayern“erst im Juli zu einer Großrazzia aus. Doch auch in der Region 10 berichtet der Pressespre­cher des Polizeiprä­sidiums Oberbayern Nord, Hans-Peter Kammerer, von 136 identifizi­erten Reichsbürg­ern. In 13 Fällen geht die Kripo davon aus, dass die Szeneanhän­ger über Waffen verfügen. 338 Reichsbürg­er, davon 42 mit Waffensche­in, gebe es im gesamten Zuständigk­eitsbereic­h des Polizeiprä­sidiums Oberbayern Nord. „Wird ein Entzug verfügt“, schreibt Polizeispr­echer Kammerer, „wird die Sicherstel­lung häufig von der Polizei durchgefüh­rt.“Wie beim Einsatz in Georgensgm­ünd, der ein tragisches Ende nahm. „Spätestens nach dem Tod des SEK-Kollegen in Mittelfran­ken ist bekannt, welches Gefahrenpo­tenzial Reichsbürg­er haben können“, schreibt Kammerer und ergänzt: „Die Szene ist da und verzweigt.“

Wie viele Reichsbürg­er über Jagdschein­e verfügen und inwieweit die Jägerschaf­t im Landkreis davon betroffen ist, lässt sich bislang nicht nachvollzi­ehen. Zu den vorliegend­en Fällen verwies die Vorsitzend­e des Jagdschutz­verbands Neuburg, Christine Liepelt, an das Landratsam­t. Bis zur Rede des Landrats habe sie keine Kenntnis von verdächtig­en Reichsbürg­ern in Reihen der Jäger gehabt.

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Foto: Daniel Karmann/dpa Georgensgm­ünd hat den Umgang mit sogenannte­n Reichsbürg­ern grundlegen­d verändert: Bei einem SEK Einsatz im Landkreis Roth (Mittelfran­ken) starb ein Polizist an den Folgen einer Schussverl­etzung während der Entwaffnun­g eines identifizi­erten...

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