Auf Rädern durch ein erfülltes Leben
Othmar Scherzer saß Zeit seines Berufslebens hinter dem Steuer eines Lastwagens. Mit 90 Jahren hat er den Spaß am Fahren nicht verloren
Bergheim Attenfeld Wenn das Wetter es erlaubt, sieht Othmar Scherzer heute noch nach dem Rechten. Dafür setzt sich der Rentner in sein elektrisches Seniorenfahrzeug und düst los, um den Landwirten in Attenfeld bei der Ernte zuzuschauen. Das Laufen fällt ihm mittlerweile schwer, die Stunden auf seinem Gefährt sind sein Lebenselixier. Wenn er die Felder abfährt, sieht man ihn von Weitem kommen. Über dem Fahrersitz seines roten Fahrzeugs hängt eine quietschgelbe Warnweste. In seinem Dorf kennt man den alten Herrn, der die Straßen Attenfelds rauf und runter saust. Heute feiert er seinen 90. Geburtstag und schaut auf ein Leben zurück, das durch Krieg und harte Arbeit geprägt wurde.
Othmar Scherzer wurde am 13. November 1927 in Kaschnitzfeld im heutigen Tschechien geboren. Seine Eltern waren Bauern. Im Jahr 1944 zog ihn die Wehrmacht im Alter von 17 Jahren in den Krieg ein. An der Ostfront wurde er verwundet, bis heute trägt er einen Granatsplitter in seiner Schulter, der sich bei jedem Wetterwechsel bemerkbar macht.
Nach mehreren Monaten an der Front geriet der Soldat in Gefangenschaft. „Ich musste in Russland fünf Jahre lang in einem Erzbergwerk arbeiten“, erinnert sich der 90-Jährige. Erst bei Murmansk, dann in Montschegorsk, beides in Sibirien. Bis Mai 1950 kehrten aus der Sowjetunion die nicht verurteilten Gefangenen zurück, darunter auch Othmar Scherzer. Doch im vertrauten Kaschnitzfeld war niemand mehr. Wie so viele Sudetendeutsche waren seine Eltern und die noch lebenden Brüder vertrieben worden. „Zum Glück erfuhr ich von einem Cousin, dass meine Eltern in Attenfeld untergekommen sind“, erzählt er. Daraufhin machte er sich auf den Weg.
Othmar Scherzer fand bei einer Bauernfamilie in Attenfeld Unterschlupf. Die Arbeit auf dem Feld war ihm bereits vertraut. Für ein paar Mark lud er die Ernte ein, half beim Kartoffelklauben oder Mähen. 1953 heiratete er seine Frau Stilla. Beide blieben im Dorf, drei Kinder machten die Familie komplett. Von dem Geld, das er auf dem Feld verdiente, machte er den Lastwagenführerschein und arbeitete unter anderem bei einem Transport- und Baustoffunternehmen in Neuburg. Er genoss immer die Freiheit, mit seinem Lastwagen durch den Landkreis zu fahren. Deshalb weiß er auch heute noch die Mobilität zu schätzen, die ihm sein Seniorenfahrzeug bietet.
Heute wohnt Othmar Scherzer mit Tochter Margit und Enkelin Nicole in einem Haus. Seine Söhne Reinhold und Roland haben links und rechts von ihm gebaut. Der Rentner hat fünf Enkel und einen Urenkel. Als Familienoberhaupt habe er immer geholfen, wo er konnte, erzählt seine Tochter. Bis ins hohe Alter. „Er sieht heute noch, was im Haus repariert werden muss und hat auch immer einen Lösungsansatz.“
Nachdem seine Frau Stilla 2012 starb, bekam der 90-Jährige gesundheitliche Probleme. Während seine Tochter erzählt, wie ihr Vater sich nach vier Schlaganfällen zurück ins Leben gekämpft hat, schmunzelt er und sagt knapp: „Und genau der sitzt jetzt da.“
„Der Opa war immer lieb“, sagt seine Enkelin Nicole, die den Großvater immer nach Geschichten aus dem Krieg gefragt hat. Er erzähle gerne, auch wenn die Narben, die sein Einsatz an der Front hinterlassen hat, allgegenwärtig sind. Da sind sich Margit und Nicole Scherzer sicher.
Seinen Geburtstag feiert der 90-Jährige gemeinsam mit seiner Familie in einer Wirtschaft. Othmar Scherzer wünscht sich für die kommenden Jahre nur Gesundheit. Dann kann er weiterhin durch das Dorf fahren und nach dem Rechten sehen.