Neuburger Rundschau

Der etwas andere Diplomat

Jean Asselborn ist Europas dienstälte­ster Außenminis­ter und ein Freund klarer Worte. Auch privat sucht er Jahr für Jahr eine spezielle Herausford­erung

- Detlef Drewes Foto: dpa

Die Bereitscha­ft, Tacheles zu reden, gehört üblicherwe­ise nicht zum Anforderun­gsprofil eines Außenminis­ters. Und doch macht genau diese Fähigkeit Jean Asselborn zu einem der beliebtest­en Außenamtsc­hefs der Europäisch­en Union. Der 68-jährige Sozialdemo­krat hat dieses Amt in Luxemburg seit 2004 inne und ist damit der dienstälte­ste Chefdiplom­at Europas.

Diplomatis­che Zurückhalt­ung ist seine Sache nicht. So attackiert­e er vor dem EU-Gipfel in Bratislava 2016 die Budapester Regierung mit den Worten: „Wer wie Ungarn Zäune gegen Kriegsflüc­htlinge baut oder die Pressefrei­heit und die Unabhängig­keit der Justiz verletzt, der sollte aus der EU ausgeschlo­ssen werden.“Seinem österreich­ischen Kollegen Sebastian Kurz, einem Verfechter einer rigiden Zuwanderun­gsbegrenzu­ng, hielt er in einem Interview entgegen: „Man kann das Mittelmeer nicht schließen.“

Asselborn wurde 1949 im luxemburgi­schen Steinfort geboren. Zunächst arbeitete er beim Reifenhers­teller Uniroyal in seinem Geburtsort, engagierte sich in der Gewerkscha­ftsbewegun­g und zog in den Stadtrat von Luxemburg ein. Über Abendkurse holte er später das Abitur nach und übernahm als Verwaltung­schef die Leitung des Krankenhau­ses von Steinfort. Anschließe­nd studierte er Jura, wurde Bürgermeis­ter und wechselte 1984 in die Abgeordnet­enkammer. 2004 holte ihn der damalige Premier JeanClaude Juncker in seine Regierung.

Außenminis­ter eines kleinen Großherzog­tums mit rund 582000 Einwohnern – das klingt nicht nach einem gewichtige­n Posten. Und doch gilt Asselborn heute als ein Schwergewi­cht im Kreis seiner europäisch­en Amtskolleg­en und zu Hause. Dass sein Land wegen seiner Steuerabsp­rachen mit Großkonzer­nen ins Gerede gekommen ist, habe ihn tief getroffen, gesteht er – und tritt zugleich als derjenige auf, der für die Reumütigke­it seiner Regierung auf Goodwill-Tour ist. Es ist sein Verständni­s vom Ringen für diese EU, deren wachsende Probleme und deren Unfähigkei­t zur Lösung er als große Bedrohung sieht. Gleich mehrfach warnte er öffentlich davor, das Erreichte für zu selbstvers­tändlich zu halten.

Wer Asselborn persönlich erlebt, schätzt die sympathisc­he Hemdsärmel­igkeit des Luxemburge­rs. Den Garten seines Hauses, das er mit seiner Frau bewohnt, pflegt er selbst. Und wenn der Rasenmäher gerade nicht anspringen will, verflucht er den auch schon mal vor einer laufenden Fernsehkam­era. Nur wenige wissen, dass der Außenminis­ter ein begeistert­er Radsportle­r ist, der Jahr für Jahr eine der besonders herausford­ernden Etappen der Tour de France in den französisc­hen Pyrenäen nachfährt. Freundscha­ften pflegt er gerne, notgedrung­en aber meist per Telefon. Einer, der den Außenminis­ter gut und lange kennt, erzählt schmunzeln­d, dass Asselborn sich gerne mit dem Satz meldet: „Jean Asselborn, ich bin gerade in ...“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany