Jamaika wird zum Berliner Sonntagskrimi
CDU, CSU, FDP und Grüne verhandeln bis in die Nacht. Steinmeier mahnt
Berlin Unter hohem Zeit- und Einigungsdruck haben CDU, CSU, FDP und Grüne am Sonntag über Stunden in der voraussichtlich entscheidenden Jamaika-Sondierungsrunde weiter um Kompromisse gerungen. Die Verhandlungen sollten bis zum Sonntagabend abgeschlossen werden. Bis 23.30 Uhr wurden jedoch keine Fortschritte erkennbar. Selbst die Meldung, wonach der Solidaritätszuschlag bis 2021 abgeschafft werden soll, wurde wieder dementiert. Eine Einigung in den strittigen Punkten ist Voraussetzung für die Aufnahme formeller Koalitionsverhandlungen. Ein Durchbruch galt bis zuletzt als fraglich; es gab Streit in zentralen Fragen wie Migration, Klimaschutz und Energie.
Für den Fall eines Scheiterns lehnte der SPD-Vorsitzende Martin Schulz erneut eine Regierungsbeteiligung seiner Partei ab. „Der Wähler hat die Große Koalition abgewählt“, sagte er bei einer SPD-Konferenz. Bundespräsident FrankWalter Steinmeier rief alle Seiten auf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Es bestehe kein Anlass für „panische Neuwahldebatten“. Der
Welt am Sonntag sagte Steinmeier: „Wenn jetzt von den Jamaika-Verhandlern hart um große Fragen wie Migration und Klimaschutz gerungen wird, muss das kein Nachteil für die Demokratie sein.“
Die Unterhändler von CDU, CSU, FDP und Grünen unterstrichen ihre Bereitschaft, Verantwortung für das Land zu übernehmen. CSU-Chef Horst Seehofer betonte, seine Partei sei „willens, eine stabile Regierung zu bilden“. Grünen-Chef Cem Özdemir mahnte die JamaikaPartner mit Blick auf die weltweiten Krisen und den stärker werdenden Rechtspopulismus in Europa, man müsse bereit sein, sich zu bewegen, aus Verantwortung oder auch „Patriotismus für das Land“.
Lange Zeit galt die Lage als verfahren. Immer wieder wurden tatsächliche oder angebliche Kompromissvorschläge gemacht, die dann zum Teil wieder infrage gestellt wurden. Nach einigen Runden hieß es, beim Streitpunkt Migration hänge es vor allem an der Regelung für den Familiennachzug von Flüchtlingen. Wenn hier eine Lösung gefunden werden könne, seien auch die Themen Klimaschutz und Energiepolitik lösbar.
Letztere sind für die Grünen besonders wichtig, die Begrenzung der Zuwanderung für die CSU. Die Grünen hätten sich in den Verhandlungen über die Schmerzgrenze hinaus bewegt, betonte Özdemir. Dem Vernehmen nach hatten die Grünen der CSU beim Thema Zuwanderung ein Kompromissangebot gemacht. Demnach soll die Zahl von 200 000 Flüchtlingen pro Jahr als flexibler Rahmen gelten. Dieses Angebot gelte aber nur, wenn sich auch die CSU bewege. Der Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus dürfe nicht ausgeschlossen werden, wie dies bislang vor allem die CSU fordert.
Walter Roller zeigt sich im Leitar tikel skeptisch, dass eine JamaikaRegierung die Steuerzahler spürbar entlasten könnte. In der Politik lesen Sie, warum der Familiennachzug zur Jamaika-Schlüsselfrage geworden ist.