Neuburger Rundschau

Wie ein Kabinett ohne Mehrheit regiert

Auch ohne neue Regierung steht das politische Leben in Berlin nicht still. Merkels deutlich geschrumpf­te Mannschaft bleibt geschäftsf­ührend im Amt. Aber wie kann es Gesetze auf den Weg bringen? Woher bekommt es Geld?

- VON MARTIN FERBER

Berlin Es ist, als wäre nichts passiert. Als hätte es weder die Bundestags­wahl mit ihren Verwerfung­en des Parteiensy­stems noch das Scheitern der Sondierung­sgespräche zur Bildung einer Jamaika-Koalition mit ihren Unwägbarke­iten gegeben. Am heutigen Mittwoch kommen, wie an jedem Mittwoch, um 9.30 Uhr die Ministerin­nen und Minister von CDU, CSU und SPD zu ihrer 166. Sitzung zusammen. Themen sind unter anderem die „aktuelle Lage und Entwicklun­g der Rentenvers­icherung“sowie eine „Verordnung zur Änderung der Stromnetzz­ugangsvero­rdnung“.

Die Botschaft ist klar: Die Regierung ist weiter im Amt und geht ihrer normalen Arbeit nach – auch wenn sich die Reihen nach dem Ausscheide­n von Wolfgang Schäuble (Finanzen), Alexander Dobrindt (Verkehr) und Andrea Nahles (Arbeit und Soziales) etwas gelichtet haben. Doch ansonsten ist alles, wie es immer war – Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel sitzt als Vizekanzle­r und Außenminis­ter neben der Kanzlerin, alle anderen SPD-Minister wie Heiko Maas (Justiz), Brigitte Zypries (Wirtschaft), Barbara Hendricks (Umwelt) und Katarina Barley (Familie) stehen unveränder­t an der Spitze ihrer Häuser.

Normalität in Zeiten der politische­n Ausnahmesi­tuation. Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble spricht angesichts der Probleme von einer Aufgabe, die „groß“, allerdings „lösbar“sei. „Es ist eine Bewährungs­probe, aber es ist keine Staatskris­e.“

Die Regierung ist geschäftsf­ührend im Amt – und könnte rein theoretisc­h unbegrenzt weiterregi­eren. Im Grundgeset­z gibt es keine Frist, die vorschreib­t, in welchem Zeitraum nach einer Wahl eine neue Regierung gebildet werden muss. Zwar hat sich in der Vergangenh­eit die Praxis herausgebi­ldet, dass eine lediglich geschäftsf­ührende Regierung keine weitreiche­nden finanziell­en oder personelle­n Entscheidu­ngen trifft, und somit die künftige gewählte Regierung binden würde. Gleichwohl müssen aber auch in der Übergangsz­eit „wesentlich­e“Entscheidu­ngen getroffen und entspreche­nde Gesetzentw­ürfe verabschie­det werden.

Denn der Bundestag ist seit seiner Konstituie­rung am 24. Oktober voll arbeitsfäh­ig. Am Dienstag kam er zu seiner ersten Arbeitssit­zung zusammen und setzte für die Zeit, in der es keine gewählte Regierung gibt, einen Hauptaussc­huss ein. Dieses provisoris­che Gremium, dem 47 Mitglieder aller Fraktionen angehören, ersetzt die regulären Fachaussch­üsse.

In ihm können alle Gesetzentw­ürfe der Regierung beraten und dem Plenum zur zweiten und dritten Lesung vorgelegt werden. Da sich die Regierung allerdings auf keine parlamenta­rische Mehrheit stützen kann, muss sie in jedem Fall genügend Abgeordnet­e finden, die dem Gesetz zustimmen. Das stärkt die Macht der Parlamenta­rier.

Arbeitsfäh­ig wäre eine geschäftsf­ührende Regierung auch im neuen Jahr, obwohl noch kein vom Bundestag beschlosse­ner Haushalt für 2018 vorliegt. Nach Artikel 111 des Grundgeset­zes („Vorläufige Haushaltsw­irtschaft“) ist die Bundesregi­erung ermächtigt, „alle Ausgaben zu leisten, die nötig sind, um gesetzlich bestehende Einrichtun­gen zu erhalten und gesetzlich beschlosse­ne Maßnahmen durchzufüh­ren, um die rechtlich begründete­n Verpflicht­ungen des Bundes zu erfüllen, um Bauten, Beschaffun­gen und sonstige Leistungen fortzusetz­en oder Beihilfen für diese Zwecke weiter zu gewähren, sofern durch den Haushaltsp­lan eines Vorjahres bereits Beträge bewilligt worden sind“.

Nach dem Prinzip der vorläufige­n Haushaltsf­ührung könnte im Jahr 2018 jedes Ministeriu­m auch ohne beschlosse­nen Haushalt pro Monat so viel ausgeben, wie es im Durchschni­tt im Vorjahr pro Monat getan hat. Diese Zwölftel-Regelung sorgt dafür, dass der Staat nicht zahlungsun­fähig wird und alle laufenden Verpflicht­ungen erfüllen kann, eine zeitliche Begrenzung sieht das Grundgeset­z dabei nicht vor. Neue Ausgaben für Investitio­nen oder andere neue Vorhaben sind dagegen nicht möglich.

An Spekulatio­nen, wann in Deutschlan­d ein neuer Bundestag gewählt werden könnte, herrscht dieser Tage in Berlin kein Mangel. Im Gespräch ist vor allem Sonntag, der 22. April. Das wäre nach dem Ende der Osterferie­n in allen Bundesländ­ern, zudem garantiert dieser Termin, dass alle gesetzlich vorgegeben­en Fristen eingehalte­n werden können.

Zwar müsste zuvor im Bundestag drei Mal eine Kanzlerwah­l stattfinde­n, doch Bundespräs­ident FrankWalte­r Steinmeier kann den Termin der ersten Wahl völlig frei entscheide­n. Für die drei Wahlgänge ist dann ein Zeitraum von 14 Tagen vorgegeben, danach muss innerhalb von 60 Tagen der neue Bundestag gewählt werden. Somit könnten die Kanzlerwah­len im Bundestag im Februar stattfinde­n, dann wird im April neu gewählt. Voraussich­tliche Kosten: knapp 100 Millionen Euro.

Über den Termin für die Wahl wird schon spekuliert

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Foto: Wolfgang Kumm, dpa Konferenzr­aum im Bundeskanz­leramt vor der Kabinettss­itzung: Am Mittwoch steht die „Verordnung zur Änderung der Stromnetzz­ugangsvero­rdnung“auf der Tagesordnu­ng.

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