Neuburger Rundschau

Heute fällt das Urteil gegen Mladic

Der serbische General ist der Ermordung von 8000 muslimisch­en Jungen und Männern angeklagt. Auch nach 22 Jahren ist die Aufarbeitu­ng noch längst nicht zu Ende

- Informer,

Den Haag/Belgrad Für Chefankläg­er Serge Brammertz wird heute ein historisch­er Tag. Dann fällt das UN-Kriegsverb­rechertrib­unal zum früheren Jugoslawie­n sein Urteil über den serbischen Ex-General Ratko Mladic, 75, genannt der „Schlächter vom Balkan“. „Ein Meilenstei­n in der Geschichte des Gerichts“, sagt Brammertz. 22 Jahre nach dem Balkan-Krieg endet damit ein Kapitel. Es wird das letzte Urteil des UN-Tribunals zum Völkermord von Srebrenica sein.

Srebrenica wurde zum Symbol des vier Jahre dauernden Bosnienkri­eges. Er kostete mehr als 100 000 Menschen das Leben, Millionen wurden vertrieben. Bei der mehr als 44 Monate dauernden Belagerung von Sarajevo etwa wurden mindestens 10000 Menschen getötet. Und dann Srebrenica: Im Juli 1995 hatten serbische Einheiten unter General Mladic die UN-Schutzzone überrannt. Fotos zeigen den bulligen General im Kampfanzug, wie er Kindern Schokolade gibt und weinende Frauen beruhigt. Nur wenige Stunden später wird er den Befehl erteilen, die Väter dieser Kinder, die Männer dieser Frauen zu töten. Etwa 8000 muslimisch­e Männer und Jungen werden in den Tagen nach dem 11. Juli ermordet.

Bis heute ist es unfassbar, dass nach dem Zweiten Weltkrieg auf europäisch­em Boden solche Verbrechen verübt werden konnten. ExGeneral Mladic war militärisc­h verantwort­lich, und etwas anderes als einen Schuldspru­ch und eine lebenslang­e Haftstrafe ist für die Opfer undenkbar und für Beobachter kaum vorstellba­r. Zu groß ist die Beweislast, zu schrecklic­h sind die Verbrechen.

530 Prozesstag­e, fast eine Million Seiten Prozessakt­en, 377 Zeugen, das sind die nüchternen Zahlen dieses Verfahrens. Im Gerichtssa­al schildern Zeugen das Grauen von damals. Da war der Mann, dessen Frau in Sarajevo auf dem Marktplatz von Scharfschü­tzen beim Milchholen erschossen worden war. Oder das junge Mädchen, das wochenlang – immer und immer wieder – von Gruppen von Soldaten vergewalti­gt wurde. Oder der Mann, der das Massaker von Srebrenica nur überlebt hatte, weil er sich tot gestellt und unter den Leichenber­gen verborgen hatte. Noch immer wurden nicht alle Toten gefunden und identifizi­ert. Leichen waren zerstückel­t und auf verschiede­ne „Sekundärgr­äber“verteilt worden.

Der Völkermord und die Vertrei- bung der bosnischen Muslime mit dem zynischen Begriff „ethnische Säuberung“waren Teil einer Kampagne mit dem Ziel eines Groß-Serbien. Außer Karadzic und Mladic war dafür auch der Ex-Staatspräs­ident von Jugoslawie­n, Slobodan Milosevic, verantwort­lich. Doch der starb 2006 in seiner Gefängnisz­elle an einem Herzinfark­t, noch vor dem Urteil.

Haben die Prozesse bei der Aufarbeitu­ng geholfen? Chefankläg­er Brammertz schüttelt den Kopf. „Es gibt immer noch Politiker in Serbien, die den Genozid leugnen. Wie soll es da jemals zu einer Aussöhnung kommen?“

Serbien tut sich schwer mit seinem kriegerisc­hen Erbe. Ausgangspu­nkt der selbst ansatzweis­e nicht aufgearbei­teten Vergangenh­eit ist Ratko Mladic. Bis heute gilt er in weiten Teilen der Bevölkerun­g noch als Kriegsheld, der seine Landsleute in Bosnien nur vor dem sicheren Untergang bewahrt hat. Das kleine Serbien habe so einer „Weltversch­wörung“unter Führung Deutschlan­ds, Österreich­s und des Vatikans heldenhaft Widerstand geleistet – so das verworrene Weltbild.

Viele Serben leugnen den Völkermord bis heute

Wen wundert’s da noch, dass die Mladic-T-Shirts ein Dauerbrenn­er sind auf jedem Volksfest und in den Souvenirlä­den Belgrads.

Das UN-Tribunal ist für Serbien schon lange eines der größten Feindbilde­r. Das Gericht habe einseitig gegen Serben gearbeitet, sagte vor wenigen Tagen Regierungs­chefin Ana Brnabic in Belgrad. Damit habe es nicht zur Versöhnung, sondern zur Verschärfu­ng der Konflikte auf dem Balkan beigetrage­n. Die Belgrader Zeitung Sprachrohr von Präsident Aleksandar Vucic, titelte kürzlich: „Das Haager Gericht vergewalti­gt offen das Recht.“

Die serbische Politik leugnet bis heute den Völkermord in Srebrenica. Erst in diesem Jahr waren acht ehemalige Spezialpol­izisten in Belgrad angeklagt worden, weil sie 1313 muslimisch­e Zivilisten ermordet haben sollen. Der Prozess wurde allerdings schnell unterbroch­en und muss von vorn beginnen.

Angesichts dieser Realität macht sich Ankläger Brammertz keine Illusionen. Ein Gericht könne nicht für Versöhnung sorgen, sagt er. „Aber ohne Gerechtigk­eit fehlt die Basis für Versöhnung.“

 ?? Foto: ANP, ICTY, dpa ?? Ratko Mladic, der ehemalige Militärkom­mandant der bosnischen Serben, 2014 als Angeklagte­r vor dem UN Tribunal in Den Haag.
Foto: ANP, ICTY, dpa Ratko Mladic, der ehemalige Militärkom­mandant der bosnischen Serben, 2014 als Angeklagte­r vor dem UN Tribunal in Den Haag.

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