Neuburger Rundschau

Der Wald der Toten

Immer mehr Menschen interessie­ren sich für Naturbesta­ttungen. Warum es viele von ihnen, wie erst kürzlich den Neuburger Prof. Dr. Vallabh Patel, ins mittelfrän­kische Pappenheim zieht und wie Neuburg auf den Trend reagiert

- VON THOMAS BALBIERER

Es ist erst gut fünf Wochen her, dass im Friedwald in Pappenheim eine geschätzte Persönlich­keit aus Neuburg seine ewige Ruhe fand. Prof. Vallabh Patel, 83, uneigennüt­ziger Menschenfr­eund, Arzt, Künstler, Autor sowie langjährig­er Stadt-und Kreisrat wurde dort begraben. Was es mit dem Friedwald in Pappenheim und überhaupt dem Wunsch nach Bestattung­en in der Natur auf sich hat, erzählt unser Mitarbeite­r Thomas Balbierer in seiner Reportage. Pappenheim/Neuburg Eckhard Freist bahnt sich mit seinen braunhaari­gen Wachtelhun­den Pira und Rika einen Weg durch den Wald. Es ist Donnerstag­nachmittag, die Sonne fällt durch die Baumkronen und wirft lange Schatten. Unter Freists Schuhen raschelt nasses Herbstlaub. Kleine Äste zerbrechen, wenn die Hunde durchs Unterholz streifen. Freist trägt eine grüne Jacke, darunter ein Flanellhem­d. Seine Arbeitshos­e hat Erdflecken, genauso wie seine Schuhe. Der 53-Jährige sieht aus wie jeder andere Förster bei der Arbeit. Und doch ist Eckhard Freist kein ganz normaler Förster. Denn sein Wald in Pappenheim (Landkreis Weißenburg-Gunzenhaus­en) beheimatet nicht nur Buchen, Fichten und Eichhörnch­en, sondern auch die Asche von fast fünfhunder­t toten Menschen. Jeder von ihnen wurde am Stamm eines Baumes beigesetzt.

Der Wald von Pappenheim ist einer von 60 Standorten der Friedwald GmbH. Es werden jährlich mehr. Im Friedwald können Menschen noch zu Lebzeiten einen Baum auswählen, an dem sie eines Tages begraben werden wollen. Die Bestattung erfolgt in Form einer biologisch abbaubaren Urne, die am Fuße eines Baumes 80 Zentimeter unter der Erdoberflä­che begraben wird. Knapp 90 000 Menschen wurden nach Angaben von Friedwald bisher auf diese Weise beigesetzt. In Pappenheim gab es seit der Eröffnung vor vier Jahren 477 Bestattung­en. Weitere eineinhalb Tausend Menschen haben bereits einen Baum erworben.

Auch Tanja und Klaus Bauer aus Ortlfing stehen kurz davor, sich eine Ruhestätte in Pappenheim zu reserviere­n. Den Wunsch, irgendwann im Wald beigesetzt zu werden, haben sie bereits ihren Kindern mitgeteilt. Sie, 42, und er, 50, haben sich früh mit der eigenen Beerdigung beschäftig­t. „Man macht sich so seine Gedanken, wenn in der Familie Todesfälle auftreten“, sagt Klaus Bauer. „Man kann ja nie wissen, wann es so weit ist.“Das Ehepaar wollte für alle Fälle vorbereite­t sein und informiert­e sich im Internet. Die Wahl fiel auf den Friedwald in Pappenheim.

Eine pragmatisc­he Entscheidu­ng. Die Baumgräber muss man nicht pflegen. Es gibt keine Kerzen, keine Blumen und keinen Grabstein. An ihre Stelle treten Moos, Laub und Wildblumen. Auf Wunsch kennzeichn­et eine Namenstafe­l, etwas größer als eine Zigaretten­schachtel, das Grab. Gerade diese Schlichthe­it ist, was das Ehepaar Bauer sucht. Sie wollen ihren Kindern später eine zeitintens­ive Grabpflege und zusätzlich­e Kosten ersparen. Außerdem, so Klaus Bauer, wisse man ja nicht, wo die Kinder irgendwann mal leben würden. „Wir wollen nicht, dass die ganze Arbeit an einem hängen bleibt.“

In den vergangene­n 15 Jahren hat sich die deutsche Beerdigung­skultur tief greifend gewandelt. Die klassische Erdbestatt­ung mit Sarg und Grabstein ist dramatisch zurückgega­ngen. Laut einer Befragung der Verbrauche­rinitiativ­e Aeternitas bevorzugte­n 2004 noch 39 Prozent der Bundesbürg­er das klassische Sarggrab. 2016 waren es nur noch 24 Prozent. Dafür sind Feuerbesta­ttungen immer beliebter geworden. Sie umfassen neben herkömmlic­hen Urnenwände­n auch alternativ­e Bestattung­en, zum Beispiel in Waldfriedh­öfen. 47 Prozent der Bundesbürg­er favorisier­en laut Aeternitas diese pflegeleic­hte Art der Beisetzung.

Auch der Großvater von Julia Mair aus Neuburg wurde am Fuße Baumes beigesetzt. Er starb am 21. Dezember 2016. Die Familie entschied, seine Urne in einer kleinen Baumlandsc­haft auf dem Grundstück des Schrobenha­usener Friedhofs zu begraben, der ebenfalls Baumbestat­tungen anbietet. Anfangs war die 24-jährige Enkelin von der Idee begeistert. Doch heute bedauert sie die Entscheidu­ng. Die Grabstelle ist mit einer flachen Steinplatt­e gekennzeic­hnet, auf der weder Geburtsdat­um noch Todestag vermerkt sind. Manchmal treten Fußgänger auf die Platte, weil schon Gras darüber wächst. „Wenn ich vor dieser kleinen Platte stehe und darauf starre, fühle ich nichts. Aber ein Grab sollte doch ein Ort der Erinnerung sein“, sagt Julia Mair. Sie vermisst das Persönlich­e: Blumen, Kerzen, ein Bild. Deshalb bringt die 24-Jährige zu Besuchen ein eigenes Foto ihres Großvaters mit und legt es neben den Baum, solange sie da ist. „Dann fühle ich mich meinem Opa mehr verbunden.“

Förster Eckhard Freist hat in seinem Pappenheim­er Wald etwas entdeckt. Durch Matsch und Laub watet er zielstrebi­g auf einen Baum zu. Davor breitet sich ein schmuckvol­les Grabmal aus. Jemand hat Steine kreisförmi­g auf den Boden gelegt, den Kreis mit Erde gefüllt und rote Rosen drapiert. In der Mitte liegen kleinere Steine in Form eines Herzen. Freist ist überrascht: „Das haben wir doch schon vor drei Tagen entfernt“, sagt der Förster und zieht sein Handy aus der Tasche. Er geht zum Baum und fotografie­rt das Namensschi­ld, später will er das Foto an Friedwald schicken, damit die Zentrale den Angehörige­n informiert. „Das geht so nicht“, sagt Freist. Grabschmuc­k wie Kerzen oder große Blumengede­cke sind im Friedwald verboten. Häufig sieht man jedoch einzelne Blümchen zwischen den Bäumen – das ist für den Förster kein Problem. Aber ein ganzes Grabmal gehe zu weit. „Das widerspric­ht dem Konzept von Friedwald.“

Auch in Neuburg können sich Menschen in Baumgräber­n bestatten lassen. Am städtische­n Friedhof an der Grünauer Straße wurden laut Gabriele Kumpfe, Betriebsle­iterin der Friedhofsv­erwaltung, erst im Frühjahr neue Bäume eingesetzt. Insgesamt 40 Grabstätte­n sollen es in Zukunft sein. Die Nachfrage ist jedoch gering: 2016 fanden nur drei Baumbegräb­nisse statt. Bei insgesamt 293 Beisetzung­en im vergangene­n Jahr ist der Anteil marginal. Deshalb plant die Stadt derzeit keine weiteren Standorte. Selbst die Marke Friedwald entfaltet in Neuburg bislang nur wenig Strahlkraf­t. Friedwald teilt mit, dass in Pappenheim im vergangene­n Jahr drei bis fünf Personen aus dem Neuburger Raum einen Baum erworben haben, im Vorjahr nur ein bis zwei. Genauere Daten würden nicht vorliegen.

Der günstigste Platz im Friedwald beginnt bei knapp 500 Euro. Große Familiengr­äber können aber auch mal über 6000 Euro kosten. Der Burgheimer Bestatter Stephan Glaß berichtet, dass sich inzwischen 20 Prozent seiner Kunden für Baumgräber interessie­rten. „Hauptgrund sind die Kosten. Die Baumbestat­tung ist eine der günstigste­n Bestattung­sformen. Außerdem ist sie unkomplizi­ert, da die Grabpflege entfällt“, sagt Stephan Glaß. Sein Neuburger Kollege Mathias Faller vom gleichnami­gen Beeines stattungsu­nternehmen betont: „Das ist eine Frage der persönlich­en Einstellun­g.“Da gebe es die Naturverbu­ndenen, die das Gedenken an den Verstorben­en in der Natur lebendig halten wollen. Für andere sei der Wegfall der Grabpflege entscheide­nd. „Viele Angehörige leben in anderen Städten und können nicht jede Woche zum Gießen kommen“, erklärt der Experte.

Steffen Schiller sieht den Wandel der Friedhofsk­ultur kritisch. Der Pfarrer der Neuburger Christuski­rche glaubt, dass der Bedeutungs­verlust des klassische­n Sarggrabs eine Haltung in der Gesellscha­ft widerspieg­ele: „Trauer und Abschiedne­hmen haben heute immer weniger Raum im Leben der Menschen. Der Tod wird aus der Gesellscha­ft gedrängt.“Früher sei es ganz normal gewesen, nach dem Tod des Ehepartner­s ein Jahr in Trauer zu leben. Heute beobachtet Schiller eine Verschiebu­ng von Prioritäte­n: „Man will nicht mehr mit dem Tod konfrontie­rt werden.“

Ganz anders sieht das der Friedwald-Förster Eckhard Freist. „Wir sind ja kein Gegner der Friedhofsk­ultur“, so der 53-Jährige. „Wir bieten nur eine Alternativ­e zum herkömmlic­hen Friedhof an.“Trauern könne man im Wald genauso gut wie auf dem herkömmlic­hen Friedhof. Die Beerdigung­en seien oft emotional, manchmal sogar fröhlich.

In Bayern müssen Friedhöfe wie in den meisten anderen Bundesländ­ern von Kommunen oder Kirchen getragen werden. Der Friedwald in Pappenheim liegt in der Trägerscha­ft der dortigen evangelisc­hen Kirchengem­einde. Die GmbH tritt als Anbieter, Verwalter und Ansprechpa­rtner für Kunden auf. Außerdem beauftragt sie Förster wie Eckhard Freist, die vor Ort den Kundenkont­akt pflegen und Beisetzung­en vorbereite­n.

Freist selbst stammt aus Niedersach­sen, arbeitet aber schon seit 27 Jahren in Pappenheim. Von ihm stammt die Idee, den Wald im mittelfrän­kischen Jura umzuwidmen. Sein Vater brachte ihn darauf, als der sich schon vor vielen Jahren für einen Baum in einem niedersäch­sischen Friedwald entschied. Dort wollte eigentlich auch Eckhard Freist eines Tages beigesetzt werden.

Aber seit es den Pappenheim­er Waldfriedh­of gibt, ist für ihn klar: „Hier will ich begraben werden.“Noch hat er keinen passenden Baum gefunden. „Manchmal sucht sich der Baum auch dich aus.“

 ?? Fotos: Thomas Balbierer ?? Baumgräber sind auch deshalb beliebt, weil bei ihnen die Grabpflege komplett entfällt. Kritiker sehen aber in den schlichten Stätten einen Verlust der Friedhofsk­ultur.
Fotos: Thomas Balbierer Baumgräber sind auch deshalb beliebt, weil bei ihnen die Grabpflege komplett entfällt. Kritiker sehen aber in den schlichten Stätten einen Verlust der Friedhofsk­ultur.
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Im Friedwald gibt es keine Grabsteine. Nur eine kleine Na menstafel erinnert bei Wunsch an Verstorben­e.
 ??  ?? Die biologisch abbaubare Urne wird an einem Baumstamm 80 Zentimeter unter der Erdoberflä­che beerdigt.
Die biologisch abbaubare Urne wird an einem Baumstamm 80 Zentimeter unter der Erdoberflä­che beerdigt.

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