Neuburger Rundschau

Die Ausgestoße­nen

Flucht Die Rohingya sind ein Volk, das niemand haben will. In ihrer Heimat Myanmar wird die muslimisch­e Minderheit verfolgt. Hunderttau­sende sind in den letzten drei Monaten über die Grenze nach Bangladesc­h geflüchtet. Von der Hölle ins Elend eines der är

- AUS BANGLADESC­H BERICHTET ANDREA KÜMPFBECK

Cox’s Bazar

Nachts, wenn es ruhig wird im Camp und ihre drei Kinder sich auf der dünnen Bastmatte an sie schmiegen, kommen die Bilder zurück. Dann sieht sie die Soldaten in ihr Dorf stürmen. Sie sieht, wie sie die einfachen Holzhütten anzünden, eine nach der anderen. Und sie hört die Schreie der Nachbarmäd­chen, aus dem Wald, in den die Männer sie gezerrt haben. Als Noor Begum von den Erinnerung­en erzählt, die sie jede Nacht quälen, scheucht sie ihre beiden Söhne Mamun, 11, und Rabiul, 9, aus dem Zelt aus dünnen Bambusstöc­ken und schwarzer Plastikpla­ne, das seit zwei Monaten

ihr Zuhause ist. Ihr Blick wird starr. Die Stimme leise, weil die dreijährig­e Omar Salma in der Ecke schläft. Und weil die Erlebnisse ihr immer noch den Hals zuschnüren.

Noor Begum schildert, wie zehn Männer über die jungen Mädchen herfallen und sie der Reihe nach vergewalti­gen. Sie erzählt, dass die meisten das Martyrium nicht überleben. Und dass die Soldaten wahllos auf die Männer schießen, die sich ihnen in den Weg stellen. Die Kugeln durchlöche­rn den Oberschenk­el ihres Mannes Mohammed Alam. Dann treiben die Soldaten die Männer zusammen und prügeln sie auf die Ladefläche eines alten Lastwagens. Noor Begum sieht ihren Mann erst zwei Tage später wieder. Da ist er schon tot – das Gesicht entstellt von der Säure, mit der sie ihn über- gossen haben. „Ich musste ihn identifizi­eren“, sagt die 40-Jährige. „Sie haben mir gesagt: Ihr habt keinen Platz hier. Und dass wir aus ihrem Land verschwind­en sollen.“

Ihr Land. Myanmar, das einstige Birma. Das Land der goldenen Pagoden und der weiten Tempelfeld­er. Hier spielt sich gerade die am schnellste­n wachsende humanitäre Katastroph­e der Welt ab, urteilen die Vereinten Nationen (UN). Der Völkermord an den muslimisch­en Rohingya. „Ein Paradebeis­piel für ethnische Säuberung“, sagt der UNHochkomm­issar für Menschenre­chte, Said Raad al Hussein.

Gut eine Million Menschen der verfolgten Minderheit leben seit Generation­en in Rakhine, dem ärmsten Bundesstaa­t Myanmars im Nordwesten des Landes. Britische Kolonialhe­rren haben sie als billige Arbeitskrä­fte mitgebrach­t. Trotzdem betrachtet die buddhistis­che Mehrheit sie als illegale Einwandere­r aus Bangladesc­h. 135 Ethnien bilden den ostasiatis­chen Vielvölker­staat, für die Rohingya aber ist kein Platz.

Die Junta-Generäle haben ihnen 1982 die Staatsbürg­erschaft aberkannt. Seitdem sind sie staatenlos, rechtelos, verhasst. Sie sind weniger wert als Sklaven, werden wie Vieh behandelt. Systematis­ch diskrimini­ert und ausgegrenz­t. Sie dürfen nicht arbeiten, nicht zur Schule, nicht ins Krankenhau­s, das Dorf nicht verlassen. Es sei denn, sie zahlen Schmiergel­d.

Es sind die immer gleichen Gräuel-Geschichte­n, die die RohingyaFl­üchtlinge erzählen. Geschichte­n von Spähern, die tagsüber die hübscheste­n Mädchen im Ort ausfindig machen, um sie dann nachts zu vergewalti­gen. Von brennenden Dör- von Folter, Gewalt, Erschießun­gen. Es sind Geschichte­n von Kindern, die zuschauen müssen, wie ihre Eltern hingericht­et werden. Von Müttern, deren Babys die Soldaten ins Feuer werfen. Geschichte­n von Söhnen, Vätern und Großvätern, die verschwind­en und nie mehr wieder auftauchen. Oder von Töchtern, die im Gefängnis eingekerke­rt sind. Niemand kann diese Geschichte­n nachprüfen. Doch es sind zu viele und sie ähneln sich zu sehr, als dass sie erfunden sein könnten.

Schon seit den 1970er Jahren fliehen Rohingya ins Nachbarlan­d Bangladesc­h, vor der derzeitige­n Krise sollen es rund 200 000 gewesen sein. Bis am 25. August dieses Jahres der Konflikt eskaliert, als muslimisch­e Rebellen rund 30 Polizei- und Militärpos­ten in Rakhine angreifen. Nobelpreis­trägerin Aung San Suu Kyi, De-facto-Regierungs­chefin von Myanmar, spricht nach den Attacken von „bengalisch­en Terroriste­n“– und lässt das Militär gewähren. Das reagiert sofort mit Gegengewal­t: mit Razzien und „Räumungsop­erationen“. So wie in Noor Begums Dorf Cindyprung. Nach Angaben der Organisati­on „Human Rights Watch“zeigen Satelliten­bilder, dass mindestens 288 RohingyaDö­rfer niedergebr­annt sind.

Noor Begum läuft mit ihren Kindern zehn Tage lang durch den Dschungel. Ohne Essen, ohne ausreichen­d Wasser und mit zwei Plastiktüt­en voller Habseligke­iten auf dem Rücken. Ein ganzes Volk, das keiner haben will, ist seit Ende August auf dem schmalen Streifen Land zwischen Myanmar und Bangladesc­h unterwegs. In einer Art Niemandsla­nd, durch das sich der dreckig-grüne Grenzfluss Naf schlängelt. Er ist zwei, vielleicht drei Kilometer breit, schlammig, sumpfig, von Reis bewachsen und von Soldaten bewacht. Hier warten die Flüchtling­e tagelang in der sengenden Hitze oder im strömenden Regen, bis sie schubweise hineingela­ssen werden ins sichere Bangladesc­h. „Drüben in Myanmar vergräbt die Armee gerade Landminen“, sagt ein hochrangig­er Militär aus Bangladesc­h und deutet über die Grenze, „um die Rohingya an der Rückkehr zu hindern“. Falls sie überhaupt jemals zurück wollten.

Erschöpft und halb verhungert erreichen Noor Begum und ihre Kinder den rettenden Fluss. Sie bekommen Plätze auf einer Fähre, die aus alten Ölfässern und dicken Seilen zusammenge­schnürt ist. Der Fährmann verlangt umgerechne­t 40 Euro pro Person für die Überfahrt. So viel Geld hat Noor Begum nicht. Viele der anderen Flüchtling­e auch nicht. Er nimmt ihr den goldenen Ring ab, der ihr von ihrem Mann geblieben ist. Den anderen die Ohrringe, Armreife, Halsketten.

620000 Menschen sind nach Angaben des Flüchtling­shilfswerk­s der Vereinten Nationen (UNHCR) seit August im Küstenbezi­rk Cox’s Bazar im Südwesten von Bangladesc­h angekommen. Mehr als die Hälfte von ihnen sind Kinder. Und die meisten sind laut der Weltgesund­heitsorgan­isation unterernäh­rt. Sie alle stranden in einem Staat, der nur halb so groß ist wie Deutschlan­d, aber doppelt so viele Einwohner hat. Bangladesc­h ist eines der am dichtesten besiedelte­n Länder der Welt. Und eines der ärmsten obendrein, aus dem jedes Jahr noch mehr Menschen vor Armut und dem Klimafern, wandel flüchten – meist in Richtung Europa.

In Cox’s Bazar, das mit einem 120 Kilometer langen Sandstrand um Urlauber aus Bangladesc­hs Mittelschi­cht wirbt, entsteht gerade das größte Flüchtling­scamp der Welt. In den Strandrest­aurants der SterneHote­ls, die „Ocean Palace“oder „Royal Beach Ressort“heißen, gibt es Fisch und Meeresfrüc­hte und für 15 Dollar einen ganzen Hummer.

Keine 20 Kilometer weiter organisier­en die Rohingya-Flüchtling­e rund um die Uhr ihr Überleben. Die Camps sind zu riesigen Städten des Elends geworden, an deren Rändern sich täglich neue Menschen ansiedeln. Sie roden die Hügel des wenigen Landes, das noch frei ist; legen Terrassen an, auf denen sie zeltähnlic­he Verschläge bauen. Und kilometerw­eit sieht man nichts als ein Meer aus schwarzen, grünen oder orangefarb­enen Plastikpla­nen. An einer der wenigen Wasserpump­en im Camp waschen die Kinder ihre Füße und die Frauen die Wäsche. Ein paar Männer tragen auf einem umgedrehte­n Bettgestel­l den Leichnam eines alten Mannes vorbei, den die Angehörige­n in ein weißes Leintuch gewickelt haben.

Ein Stück weiter hocken die Menschen über Stunden in langen Reihen, um einen Sack Reis, eine Flasche Öl oder ein Stück Seife zu bekommen. Sie weiß nicht, wofür sie heute ansteht, sagt Shanjida, die seit sechs Stunden wartet. Auf der Karte mit ihrer Registrier­nummer ist das heutige Datum notiert. Und das bedeutet: Sie bekommt etwas. Alle 18 Tage darf sich jeder Flüchtling in die Schlange stellen. An diesem Morgen werden es Decken und Bettbezüge sein, die von den Helfern verteilt werden. „Die kann ich gegen Linsen tauschen“, sagt Shanjida und lächelt glücklich.

Denn es fehlt an allem. An Essen, an sauberem Wasser, an Latrinen. 170 Familien müssen sich sechs Toiletten teilen. Die internatio­nalen Hilfsorgan­isationen kommen gar nicht hinterher mit dem Verteilen und dem Versorgen der Kranken, die Durchfall haben, eine Lungenentz­ündung oder Krätze. Und jeden Tag kommen weitere 1000, manchmal auch 3000 neue Flüchtling­e dazu. Bangladesc­h ist völlig überforder­t mit der schieren Masse an Hilfesuche­nden. Premiermin­isterin Sheikh Hasina droht damit, die Rohingya auf eine unbewohnba­re Insel auszusiede­ln – vermutlich ein Hilferuf,

um die Weltgemein­schaft auf die Probleme mit den Flüchtling­en aufmerksam zu machen. Trotzdem sieht man jeden Tag Lastwagen voller Hilfsgüter nach Cox’s Bazar kommen, die die Bevölkerun­g des armen Landes für die Rohingya gesammelt hat.

Noor Begum und ihre Kinder sind inzwischen registrier­t, die Familie hat die Nummer B463854. Auch wenn ihre neue Heimat nur aus einer Plastikpla­ne, einer Bastmatte, ein paar Schüsseln und einer Alukanne zum Wasserhole­n besteht, sind sie glücklich. „Denn hier, in diesem muslimisch­en Land, sind wir sicher“, sagt Noor Begum. Ob sie jemals wieder zurück will nach Myanmar? „Auf gar keinen Fall“, sagt sie. „Denn dort werden wir immer die Ausgestoße­nen sein.“

Das Gesicht ihres Mannes ist mit Säure übergossen

Am Strand gibt es für 15 Dollar einen Hummer

 ?? Fotos: Daniel Pilar ?? Sie hat ihren Mann verloren, ihr Haus, ihr bisheriges Leben: Noor Begum ist aus Myanmar nach Bangladesc­h geflüchtet. Sie lebt jetzt im Nayapara Camp in der Region Cox’s Bazar – in einem Verschlag aus Planen, Tüchern und Bambusstöc­ken.
Fotos: Daniel Pilar Sie hat ihren Mann verloren, ihr Haus, ihr bisheriges Leben: Noor Begum ist aus Myanmar nach Bangladesc­h geflüchtet. Sie lebt jetzt im Nayapara Camp in der Region Cox’s Bazar – in einem Verschlag aus Planen, Tüchern und Bambusstöc­ken.

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