Schlafen wir uns schlau?
Warum wir nachts ruhen müssen, was unser Gehirn dann macht und was jeder für einen guten Schlaf tun kann. All das weiß der Gedächtnisforscher Jan Born
Herr Born, warum schlafen wir?
Jan Born: Gute Frage! Die Forschung hat da keine klare Antwort. Wir brauchen Schlaf, das ist sicher. Wenn wir nicht schlafen, sterben wir. Das heißt: Schlaf ist notwendig. Unsere Antwort als Neurowissenschaftler heißt, dass wir vor allem deswegen schlafen, um ein langfristiges Gedächtnis zu bilden. Das scheint eine der wesentlichen Funktionen des Schlafes zu sein, die auch erklären könnte, warum man im Schlaf im Grunde genommen das Bewusstsein verliert. Das Gehirn schaltet in einen anderen Modus. Und dieser Modus ist förderlich für die Gedächtnisbildung.
Bewusstsein verlieren – das klingt erst einmal nicht gut.
Born: Wenn ein Tier schläft, ist es angreifbar und eine leichte Beute von Raubtieren. Evolutionär gesehen ist der Schlaf also erst einmal keine gewinnbringende Anpassung für die Arten. Aber der Gewinn ist eben, dass Gedächtnis von wichtigen Dingen gebildet werden kann. Und mit diesem Gedächtnis können sich die Tiere und auch der Mensch längerfristig und besser an ihre Umwelt anpassen, besser überleben.
Gibt es in der Tierwelt einen Zusammenhang zwischen Größe des Gehirns und Schlaf?
Born: Nur grob. Die Größe als solche ist eher weniger bedeutend. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Intelligenz und intelligenten Leistungen des Gehirns und Schlaf. Wir Menschen haben die höchsten komplexen kognitiven Fähigkeiten. Und wir zeigen, wenn man es physiologisch betrachtet, den tiefsten Schlaf. Nicht unbedingt die Dauer ist entscheidend, sondern vor allem die Natur des Schlafs. Der tiefe Schlaf, der Deltaschlaf, ist bei uns Menschen wirklich sehr ausgeprägt und am weitesten entwickelt. Ich neige dazu zu sagen: Der Schlaf des Menschen ist der schönste Schlaf.
Was ist denn aus wissenschaftlicher Sicht ein tiefer Schlaf?
Born: Man kann Schlaf mit dem EEG, mit den Hirnstrom-Kurven, messen. Und da sieht man im Stadium des Tiefschlafs oder Deltaschlafs langsame Wellen. Und diese langsamen Wellen sind beim Menschen eben besonders hoch und besonders andauernd. Man sieht sie auch bei der Ratte oder der Katze. Aber wenn man die Arten vergleicht, ist ganz klar, dass der Mensch den tiefsten Schlaf zeigt. Wenn man auf die Evolution schaut: Es gibt schlafähnliche Zustände auch bei ganz einfachen Lebewesen wie Würmern. Ein Wurm schläft auch, und erstaunlicherweise nur in Phasen seines Lebens, in denen er viel lernen, viel Gedächtnis bilden muss.
Wann muss ein Wurm viel lernen? Born: Etwa am Anfang seines Lebens, quasi nach seiner Geburt. Das ist ja auch beim Menschen so. Säuglinge und Kinder schlafen viel.
Weil sie den Schlaf brauchen?
Born: Man kann vermuten, dass ein Säugling, wenn er auf die Welt kommt, an einer Überstimulation, einer Informationsflut, leidet. Wenn die neuronalen Netzwerke voll sind, die er braucht, um etwas aufzunehmen, dann versinkt er erst einmal in Schlaf, um die Informationen zu verarbeiten. So einfach ist es. Und bei diesem Wiederverarbeiten der Information im Schlaf bildet er Gedächtnisstrukturen aus.
Was genau heißt das?
Born: Es geht um das Herausfiltern, um das Bilden von fixen Strukturen, die immer wieder auftauchen. Das ist das Wichtigste: Gedächtnisbildung beschränkt sich nicht darauf, etwas längerfristig abrufbar zu halten im Gehirn. Sondern es zu strukturieren, zu ordnen, ein System hineinzubringen, um etwas wiedererkennen zu können. Es ist sogar so, dass der Schlaf Gedächtnis bildet, also wirklich schafft. In dem Sinne, dass etwas erst nach dem Schlaf abrufbar wird, was vorher nicht abrufbar war.
Hat und braucht man im Alter eigentlich einen tiefen Schlaf?
Born: Mit dem 40. Lebensjahr nimmt der Tiefschlaf ab. Damit schwindet die Fähigkeit, neues Gedächtnis zu bilden. Ich weiß es aus eigener Erfahrung: Wenn Sie als wenig Sprachbegabter eine neue Sprache lernen wollen, fällt Ihnen das mit zunehmendem Alter wirklich schwer. Der Grund ist, dass im Schlaf dann nicht mehr so gut neue Strukturen herausgebildet werden können. Nun ist beim älteren Menschen diese Gedächtnisbildung aber auch nicht mehr so notwendig. Ein älterer Mensch hat ja extrem viele übergeordnete Strukturen in seinem Langzeitgedächtnis und kann neues Material mehr oder weniger ad hoc an bestehende Strukturen anpassen.
Kann man sagen: Wer viel schläft, ist schlauer?
Born: Wer gut schläft, ist schlauer. So würde ich sagen.
Was ist guter Schlaf?
Born: Viel Tiefschlaf. Und ein Schlaf mit wenigen Unterbrechungen.
Kann man dafür etwas tun?
Born: Kräftige mentale und physische Aktivität tagsüber. Und Lichteinfluss während des Tages. Zudem sollte man vermeiden, kurz vorm Schlafen besonders aktiv zu sein. Abends lernen, Sport treiben – das ist nicht gut.
Jan Born ist Neurowissen schaftler an der Uni Tü bingen. Kürzlich erhielt der 59 jährige Professor den Oswald Külpe Preis.