Neuburger Rundschau

Der Schmerz bleibt – auch nach dem Urteil

Die Frage, warum zwei Frauen in Hirblingen sterben mussten, ist für die Juristen geklärt – nicht jedoch für Angehörige

- VON MAXIMILIAN CZYSZ

Hirblingen/Augsburg Nach 13 Verhandlun­gstagen mit 64 Zeugen und acht Sachverstä­ndigen fiel gestern das Urteil: Waldemar Neustett muss lebenslang in Haft. Mindestens 25 Jahre bleibt er hinter Gittern, weil er nach Ansicht des Schwurgeri­chts vor einem Jahr zwei Nachbarinn­en aus Habgier ermordet hat. Hilft der Richterspr­uch den Angehörige­n und Freunden in ihrem Schmerz? „Er ist ein Baustein von vielen, die helfen, so ein Verbrechen zu verarbeite­n“, sagt Gabriele Schmidthal­sPluta vom Gersthofen­er Verein Sicheres Leben. „Das Urteil ist auch eine Genugtuung“, meint ein Freund der ermordeten Beate N. „Aber befriedige­nd ist es trotzdem nicht. Mir wäre es lieber, wenn sie noch am Leben wäre.“

Vor Jahren stieß Beate N. zur Band B’Irish Folk aus Neuburg. Ihre Musikerkol­legen schätzten das versierte Akkordeons­piel der Hirblinger­in, die als lebenslust­ig, zielstrebi­g, ehrgeizig, pflichtbew­usst, gewissenha­ft und zuverlässi­g beschriebe­n wird. Umso komischer kam es den Musikern vor, als sie am 10. Dezember 2016 nicht wie vereinbart zum Konzert auf dem Neuburger Weihnachts­markt erschien. Zwei Abende vorher hatte „B’Irish Folk“noch gemeinsam geprobt. „Ein gelungener Abend“, jeder hatte sich auf den Auftritt gefreut“, erinnert sich einer der Musiker. Doch von Beate N. gibt es vor dem Konzert kein Lebenszeic­hen. Die Akkordeons­pielerin ist verschwund­en.

Die Musiker treten zu fünft auf, passen ihr Programm an, fangen eine halbe Stunde später an zu spielen. Das seltsame Gefühl verschwind­et während des Auftritts nicht. Einige Tage später wird aus dem Gefühl traurige Gewissheit: Die 49-Jährige wurde in ihrem Haus genauso wie ihre Lebensgefä­hrtin Elke W. ermordet. „Die Nachricht war ein tiefer Schlag“, sagt einer der Musiker. Die lange anhaltende Schockstar­re habe schließlic­h zur Frage geführt: „Machen wir mit der Band überhaupt weiter?“Monate später entschiede­n sich die Musiker, dass es „B’Irish Folk“auch in Zukunft geben soll. „Wir hatten so viel Zeit in die Band investiert“, sagt ein Bandmitgli­ed, „Bea hätte es bestimmt auch so gewollt.“

Ein Jahr danach sind den Musiker-Kollegen viele Erinnerung­en an Beate N. geblieben. Schöne Augenblick­e beim Geburtstag­skonzert in Hirblingen, die gemeinsame­n Proben in Neuburg und die Auftritte. Geblieben ist auch eine Frage, auf die es für viele keine Antwort gibt: Warum mussten die Frauen sterben? „Es ist so sinnlos“, sagt der Freund von Beate N., der seinen Namen in der Zeitung nicht lesen will. Gabriele Schmidthal­sPluta vom Verein Sicheres Leben versteht das: „Die Sinnhaftig­keit fehlt, das macht es für die Zurückgebl­iebenen oft so schwer.“Ähnlich äußerte sich gestern die Opferanwäl­tin Marion Zech, die zwei Schwestern der ermordeten Elke W. in der Nebenklage vertreten hatte.

Sie bedauerte, dass für die Hinterblie­benen noch Fragen offen seien. Für ihre Mandantinn­en sei das eine große Belastung gewesen, sagte Zech, die sich auch als Stellvertr­etende Außenstell­enleiterin des Weißen Rings für die Stadt und den Landkreis Augsburg engagiert. Der Verein ist eine Anlaufstel­le für Opfer von Kriminalit­ät und will mit seinem Netzwerk unterstütz­en und vermitteln. Wichtigste­s Element ist die immateriel­le Hilfe: Opfer einer Straftat sollen das Gefühl haben, nicht vergessen worden zu sein. Gabriele Schmidthal­s-Pluta fasst es in drei Worte: „Dasein und zuhören.“So können Freunde, Angehörige und Bekannte helfen. „Manchmal genügt auch ein tröstendes Wort. Manchmal ist es auch einfach nur gut, sein gegenüber in den Arm zu nehmen. Und manchmal muss man auch gar nichts sagen“, sagt sie.

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Fotos: Marcus Merk Weil er nach Ansicht des Augsburger Schwurgeri­chts seine beiden Nachbarin nen ermordet hat, muss Waldemar Neu– stett (links, mit Verteidige­r Walter Ru bach) lebenslang ins Gefängnis.

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