Nicht schutzlos ausgeliefert
Momentan fühle sie sich wie erschlagen, klagte eine Kollegin. Sie habe Kopfweh und Gliederschmerzen. Dieses miese Wetter setze ihr zu. „Du bist halt ein Herbstkätzchen,“, nannte sie ihr Opa damals, als sie noch ein kleines Mädchen war, denn sie sei der Natur schutzlos ausgeliefert. Weil ihr Gesprächspartner am Arbeitsplatz den Begriff nicht kannte, erzählte sie von der Vergangenheit.
Vor etwa 40 Jahren wuchs sie in einer Landwirtschaft auf. Viele Katzen bevölkerten die zahlreichen Höfe im Dorf. Damals vermehrten sie sich noch ungestört, da es nicht üblich war, sie kastrieren zu lassen. Zur Plage wurden die Vierbeiner jedoch nicht. Immer wieder verschwanden welche heimlich, vor allem die Kleinen und Schwachen. Die Kinder wunderten sich darüber, weil sie ja nicht wussten, dass die Erwachsenen manchmal kurzen Prozess machten. „Nein ...“, sagte sie plötzlich und lächelte.
Sie werde nun sofort gegen das Dezembergrau kämpfen, denn sie wisse, was sie zu tun habe, um sich besser zu fühlen. Noch heute Abend wolle sie Plätzchen backen und deren frisches Aroma tief inhalieren. Dazu werde sie sich einen schmackhaften Glühwein zubereiten, sich in die Wolldecke kuscheln, eine Duftkerze anzünden und ein gutes Buch lesen. „Nein“, wiederholte sie noch einmal entschieden. Auch wenn sie ein zartes Herbstkätzchen sei – vom Wetter wolle sie sich nicht unterkriegen lassen.