Sie kommen, wenn die Seele Hilfe braucht
Seit fast drei Jahren ist das Kriseninterventionsteam im Landkreis aktiv. Drei Mitglieder erzählen, mit welchen Fällen die ehrenamtlichen Männer und Frauen zu tun haben und wie sie verzweifelten Menschen helfen können
Neuburg Schrobenhausen nur? Helga Meier Warum
kann es nicht fassen. Erst vor zwei Tagen hatte sie noch mit ihrem Sohn telefoniert. Und jetzt soll er tot sein, gestorben in seiner Wohnung. Die Polizei hatte ihr und ihrem Mann die schreckliche Nachricht überbracht. Doch Helga Meier kann und will es einfach nicht glauben. Warum nur?
Diese Frage stellt sie nun immer und immer wieder auch Pfarrerin Cornelia Dölfel. Zusammen mit einer Kollegin ist sie zu Helga Meier ins Krankenhaus gekommen, wohin sie der Rettungsdienst nach dem psychischen Zusammenbruch gebracht hatte. Cornelia Dölfel hört ihr zu und lässt die verzweifelte Mutter reden – von dem Gespräch, das sie mit ihrem Sohn zuletzt hatte. Von dem Moment, als die Polizei vor der Türe stand. Von dem Abgrund, der sich vor ihr auftat. Manchmal wird es ganz still im Raum, weil man das, was gerade geschehen ist, nicht in Worte fassen kann. Dann wieder dringt verzweifeltes Weinen durch die Krankenhaustür. Cornelia Dölfel lässt alles geschehen: Sie hört zu, wenn es etwas zu sagen gibt. Sie schweigt, wenn Sprachlosigkeit angebracht ist. Doch in erster Linie möchte sie Menschen wie Helga Meier aus der Schockstarre herausholen, damit sie die Situation begreifen und in der Lage sind, ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen. Denn das ist die Aufgabe der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV), die sich im Landkreis aus dem Kriseninterventionsdienst des BRK (kurz KID) und der Notfallseelsorge der katholischen und evangelischen Kirche zusammensetzt.
Die Ludwigsmooser Pfarrerin ist per se Notfallseelsorgerin. Doch seit im April 2015 das Kriseninterventionsteam im Landkreis NeuburgSchrobenhausen gegründet wurde, ist sie ein Teil davon. Das setzt sich aktuell aus 28 Mitgliedern des Bayrischen Roten Kreuzes und aus elf Mitgliedern der beiden Kirche zusammen.
Etwa 70 bis 80 Einsätze hat die PSNV jedes Jahr. Der Dienst ist rund um die Uhr das ganze Jahr über besetzt. Dafür sorgen die rund 40 ehrenamtlichen Mitglieder. Sie stehen auch mitten in der Nacht auf und machen sich auf den Weg, wenn irgendwo im Landkreis ein Mensch bei einem Unfall ums Leben kommt oder unerwartet verstirbt, wenn jemand vermisst wird oder Ersthelfer nach Unglücksfällen selbst unter Schock stehen. Wenn Not am Mann ist, helfen sie auch im Ingolstädter Raum aus. Mit dem dortigen KIDTeam gibt es einen kollegialen Austausch.
Die ehrenamtlichen Helfer sind alle entsprechend geschult. Die
ist zeitaufwendig und anspruchsvoll und muss regelmäßig durch Fortbildungen ergänzt werden. In denen geht es dann etwa um die Betreuung von Kindern bei To- oder um Einsätze nach Terroranschlägen. Wichtig dabei ist: Die Notfallversorgung ist kein psychologischer oder psychiatrischer Dienst, sondern eine „seeliAusbildung sche Ersthilfe“, die unmittelbar nach einem belastenden Ereignis angeboten wird.
Das Kriseninterventionsteam kommt, wenn Polizei und Rettungsdesfällen dienst gegangen sind. Wenn die Nachricht übermittelt wurde, das Unfassbare aber bleibt. Die Mitarbeiter, die ausschließlich in Zweierteams arbeiten, schaffen dann eine ruhige Atmosphäre, spenden Trost, begleiten beim Abschiednehmen und unterstützen mit wichtigen Informationen. Das Wichtigste aber ist: Sie helfen beim Begreifen und sie lösen die Schockstarre, indem sie die Menschen aktivieren. „Wir werden oft gebeten, Tätigkeiten oder Anrufe zu übernehmen, vor der die Betroffenen Angst haben. Unsere Aufgabe ist es dann, sie zu bestärken, es selbst zu tun“, sagt Margot Koschmieder, die das KID-Team im Landkreis leitet. Denn nur wer es schafft, sich nach einer unerwarteten Todesnachricht nicht von der Situation lähmen zu lassen, kann auch die Aufgaben bewältigen, die unweigerlich damit zusammenhängen. So muss beispielsweise die Familie informiert, der Bestatter gerufen und die Beerdigung vorbereitet werden. Diese Dinge selbst zu übernehmen gehört mit zur Trauerbewältigung.
Zwischen einer Stunde und zehn Stunden haben die Einsätze der PSNV bislang gedauert. „Wir gehen nur, wenn die Menschen versorgt sind und wir ein gutes Gefühl haben“, sagt Brigitte Bour, die ebenfalls von Anfang an dabei ist. Das war allerdings 2016 in Simbach nicht möglich. Zusammen mit Inge Spangler unterstützte sie das Kriseninterventionsteam aus Ingolstadt nach der verheerenden Hochwasserkatastrophe in Niederbayern bei einem knapp zweitägigen Einsatz. Dort liefen sie durch die Straßen, klopfen an Türen oder riefen: „Brauchen Sie Hilfe?“Natürlich brauchten die Menschen Hilfe. Sie hatten ihr Hab und Gut verloren und wussten nicht, wie es weitergehen soll. Brigitte Bour erinnert sich an ein Ehepaar, das nichts mehr hatte außer einem Fotoalbum, das sie aus den verschlammten Resten ihrer Existenz gerettet hatten. „Wir konnten nicht direkt helfen, aber wir konnte die Sorgen aufnehmen und weitergeben“, erzählt sie. Und sie konnten zuhören. „Die Menschen hatten so viel Redebedarf. Da war niemand, der sagte: Was wollt ihr denn hier.“
So zogen sie von Haus zu Haus und sprachen mit den Leuten über deren Ängste und Verzweiflung. Wie viele es waren, weiß Brigitte Bour nicht mehr. Dafür erinnert sie sich an die Dankbarkeit der Menschen – etwa von jener Frau, die auf einem Stuhl in ihrem Haus saß. Dort gab es nichts mehr außer Schlamm und die Erinnerung an ein Zuhause, das einfach weggespült worden war. Das Trösterbärchen, das ihr die KID-Mitarbeiter gegeben hatten, drückte sie fest in der Hand und sagte: „Danke, danke, dass sie da waren.“