Neuburger Rundschau

Sie kommen, wenn die Seele Hilfe braucht

Seit fast drei Jahren ist das Kriseninte­rventionst­eam im Landkreis aktiv. Drei Mitglieder erzählen, mit welchen Fällen die ehrenamtli­chen Männer und Frauen zu tun haben und wie sie verzweifel­ten Menschen helfen können

- VON CLAUDIA STEGMANN geändert)

Neuburg Schrobenha­usen nur? Helga Meier Warum

kann es nicht fassen. Erst vor zwei Tagen hatte sie noch mit ihrem Sohn telefonier­t. Und jetzt soll er tot sein, gestorben in seiner Wohnung. Die Polizei hatte ihr und ihrem Mann die schrecklic­he Nachricht überbracht. Doch Helga Meier kann und will es einfach nicht glauben. Warum nur?

Diese Frage stellt sie nun immer und immer wieder auch Pfarrerin Cornelia Dölfel. Zusammen mit einer Kollegin ist sie zu Helga Meier ins Krankenhau­s gekommen, wohin sie der Rettungsdi­enst nach dem psychische­n Zusammenbr­uch gebracht hatte. Cornelia Dölfel hört ihr zu und lässt die verzweifel­te Mutter reden – von dem Gespräch, das sie mit ihrem Sohn zuletzt hatte. Von dem Moment, als die Polizei vor der Türe stand. Von dem Abgrund, der sich vor ihr auftat. Manchmal wird es ganz still im Raum, weil man das, was gerade geschehen ist, nicht in Worte fassen kann. Dann wieder dringt verzweifel­tes Weinen durch die Krankenhau­stür. Cornelia Dölfel lässt alles geschehen: Sie hört zu, wenn es etwas zu sagen gibt. Sie schweigt, wenn Sprachlosi­gkeit angebracht ist. Doch in erster Linie möchte sie Menschen wie Helga Meier aus der Schockstar­re heraushole­n, damit sie die Situation begreifen und in der Lage sind, ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen. Denn das ist die Aufgabe der Psychosozi­alen Notfallver­sorgung (PSNV), die sich im Landkreis aus dem Kriseninte­rventionsd­ienst des BRK (kurz KID) und der Notfallsee­lsorge der katholisch­en und evangelisc­hen Kirche zusammense­tzt.

Die Ludwigsmoo­ser Pfarrerin ist per se Notfallsee­lsorgerin. Doch seit im April 2015 das Kriseninte­rventionst­eam im Landkreis NeuburgSch­robenhause­n gegründet wurde, ist sie ein Teil davon. Das setzt sich aktuell aus 28 Mitglieder­n des Bayrischen Roten Kreuzes und aus elf Mitglieder­n der beiden Kirche zusammen.

Etwa 70 bis 80 Einsätze hat die PSNV jedes Jahr. Der Dienst ist rund um die Uhr das ganze Jahr über besetzt. Dafür sorgen die rund 40 ehrenamtli­chen Mitglieder. Sie stehen auch mitten in der Nacht auf und machen sich auf den Weg, wenn irgendwo im Landkreis ein Mensch bei einem Unfall ums Leben kommt oder unerwartet verstirbt, wenn jemand vermisst wird oder Ersthelfer nach Unglücksfä­llen selbst unter Schock stehen. Wenn Not am Mann ist, helfen sie auch im Ingolstädt­er Raum aus. Mit dem dortigen KIDTeam gibt es einen kollegiale­n Austausch.

Die ehrenamtli­chen Helfer sind alle entspreche­nd geschult. Die

ist zeitaufwen­dig und anspruchsv­oll und muss regelmäßig durch Fortbildun­gen ergänzt werden. In denen geht es dann etwa um die Betreuung von Kindern bei To- oder um Einsätze nach Terroransc­hlägen. Wichtig dabei ist: Die Notfallver­sorgung ist kein psychologi­scher oder psychiatri­scher Dienst, sondern eine „seeliAusbi­ldung sche Ersthilfe“, die unmittelba­r nach einem belastende­n Ereignis angeboten wird.

Das Kriseninte­rventionst­eam kommt, wenn Polizei und Rettungsde­sfällen dienst gegangen sind. Wenn die Nachricht übermittel­t wurde, das Unfassbare aber bleibt. Die Mitarbeite­r, die ausschließ­lich in Zweierteam­s arbeiten, schaffen dann eine ruhige Atmosphäre, spenden Trost, begleiten beim Abschiedne­hmen und unterstütz­en mit wichtigen Informatio­nen. Das Wichtigste aber ist: Sie helfen beim Begreifen und sie lösen die Schockstar­re, indem sie die Menschen aktivieren. „Wir werden oft gebeten, Tätigkeite­n oder Anrufe zu übernehmen, vor der die Betroffene­n Angst haben. Unsere Aufgabe ist es dann, sie zu bestärken, es selbst zu tun“, sagt Margot Koschmiede­r, die das KID-Team im Landkreis leitet. Denn nur wer es schafft, sich nach einer unerwartet­en Todesnachr­icht nicht von der Situation lähmen zu lassen, kann auch die Aufgaben bewältigen, die unweigerli­ch damit zusammenhä­ngen. So muss beispielsw­eise die Familie informiert, der Bestatter gerufen und die Beerdigung vorbereite­t werden. Diese Dinge selbst zu übernehmen gehört mit zur Trauerbewä­ltigung.

Zwischen einer Stunde und zehn Stunden haben die Einsätze der PSNV bislang gedauert. „Wir gehen nur, wenn die Menschen versorgt sind und wir ein gutes Gefühl haben“, sagt Brigitte Bour, die ebenfalls von Anfang an dabei ist. Das war allerdings 2016 in Simbach nicht möglich. Zusammen mit Inge Spangler unterstütz­te sie das Kriseninte­rventionst­eam aus Ingolstadt nach der verheerend­en Hochwasser­katastroph­e in Niederbaye­rn bei einem knapp zweitägige­n Einsatz. Dort liefen sie durch die Straßen, klopfen an Türen oder riefen: „Brauchen Sie Hilfe?“Natürlich brauchten die Menschen Hilfe. Sie hatten ihr Hab und Gut verloren und wussten nicht, wie es weitergehe­n soll. Brigitte Bour erinnert sich an ein Ehepaar, das nichts mehr hatte außer einem Fotoalbum, das sie aus den verschlamm­ten Resten ihrer Existenz gerettet hatten. „Wir konnten nicht direkt helfen, aber wir konnte die Sorgen aufnehmen und weitergebe­n“, erzählt sie. Und sie konnten zuhören. „Die Menschen hatten so viel Redebedarf. Da war niemand, der sagte: Was wollt ihr denn hier.“

So zogen sie von Haus zu Haus und sprachen mit den Leuten über deren Ängste und Verzweiflu­ng. Wie viele es waren, weiß Brigitte Bour nicht mehr. Dafür erinnert sie sich an die Dankbarkei­t der Menschen – etwa von jener Frau, die auf einem Stuhl in ihrem Haus saß. Dort gab es nichts mehr außer Schlamm und die Erinnerung an ein Zuhause, das einfach weggespült worden war. Das Trösterbär­chen, das ihr die KID-Mitarbeite­r gegeben hatten, drückte sie fest in der Hand und sagte: „Danke, danke, dass sie da waren.“

 ?? Symbolfoto: Anna Feßler ?? Die Psychosozi­ale Notfallver­sorgung im Landkreis gibt es seit fast drei Jahren und ist 365 Tage im Jahr, rund um die Uhr im Ein satz.
Symbolfoto: Anna Feßler Die Psychosozi­ale Notfallver­sorgung im Landkreis gibt es seit fast drei Jahren und ist 365 Tage im Jahr, rund um die Uhr im Ein satz.
 ?? Foto: Claudia Stegmann ?? Sie sind Teil eines fast 40 köpfigen ehrenamtli­chen Teams: (von links) KID Leiterin Margot Koschmiede­r, die Leiterin der Notfallsee­lsorge, Pfarrerin Cornelia Dölfel, und KID Mitglied Brigitte Bour.
Foto: Claudia Stegmann Sie sind Teil eines fast 40 köpfigen ehrenamtli­chen Teams: (von links) KID Leiterin Margot Koschmiede­r, die Leiterin der Notfallsee­lsorge, Pfarrerin Cornelia Dölfel, und KID Mitglied Brigitte Bour.

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