Neuburger Rundschau

Bar statt Altar?

Weil die Zahl der Katholiken und Protestant­en in Deutschlan­d schrumpft, werden vermehrt Kirchen aufgegeben. Manche bekommen eine neue Nutzung – zum Beispiel als Restaurant. In Bayern kann sich das noch kaum einer vorstellen

- VON IRMENGARD GNAU

Augsburg Zum Mittagesse­n einen Tisch im Chorraum reserviere­n? Oder doch lieber hinten im Seitenschi­ff, wo es etwas ruhiger ist? In Bielefeld ist das möglich: Im Backsteinb­au der Martinikir­che, ehemals eine evangelisc­he Pfarrkirch­e, logiert seit 2005 das Restaurant „Glück und Seligkeit“. Was in Nachbarsta­aten wie den Niederland­en ein durchaus geläufiger Anblick ist, nimmt auch in Deutschlan­d zu: Kirchengeb­äude werden nicht mehr als solche gebraucht und deshalb anders genutzt – als Kindertage­sstätte, Wohnhaus, Bibliothek, Café oder eben als Restaurant, wo man am Tresen einen Drink zu sich nehmen kann.

Die katholisch­e Kirche hat von ihren mehr als 24000 Kirchen und Gotteshäus­ern in Deutschlan­d seit dem Jahr 2000 mehr als 500 als Gottesdien­storte aufgegeben; etwa 140 davon wurden abgerissen, andere verkauft oder einer anderweiti­gen Nutzung zugeführt. Das geht aus einer Umfrage des Internetpo­rtals der katholisch­en Kirche hervor. Die „Stiftung zur Bewahrung kirchliche­r Baudenkmäl­er in Deutschlan­d“zählte zwischen 1990 und

Weniger Mitglieder, weniger Geld

2012 87 evangelisc­he Kirchen in Deutschlan­d, die abgerissen, und 225, die verkauft wurden. Der Hintergrun­d ist so einleuchte­nd wie traurig für die Kirchen: Die Zahl ihrer praktizier­enden Mitglieder nimmt in Deutschlan­d seit Jahren ab. Weniger Mitglieder bedeuten freilich auch weniger Einnahmen durch die Kirchenste­uer. Der Unterhalt der Kirchen aber kostet Geld – Geld, das auch anderswo, etwa in der Seelsorge, gebraucht wird. Die Kirchen treffen daher verstärkt die Abwägung, sich von Gebäuden zu trennen.

Das katholisch­e Bistum Essen im Ruhrgebiet etwa gab in der Umfrage an, seit 2000 105 Kirchen aufgegeben und 31 abgerissen zu haben. Dabei ist der Abriss stets das letzte Mittel. Bereits die Profanieru­ng, die Entweihung einer Kirche, wiege schwer, sagt August Laumer, Professor für katholisch­e Pastoralth­eologie an der Universitä­t Augsburg: „Das ist ein gravierend­er Prozess, der für die Gemeindemi­tglieder auch mit Trauer verbunden ist. Sie haben schließlic­h vielleicht über Jahrzehnte ihren gemeindlic­hen Mittelpunk­t in dieser Kirche ge- Es sei daher wichtig, die Gemeindemi­tglieder zu begleiten und eine möglichst geeignete Weiternutz­ung für die Kirche zu finden, etwa als Urnenkirch­e. Aufgabezah­len wie jene im Ruhrgebiet kann sich der Theologe im bayerische­n Raum nicht vorstellen, vor allem wegen der eher ländlichen Prägung weiter Gebiete und der verhältnis­mäßig starken Verankerun­g des Glaubens.

Tatsächlic­h sind Umnutzung oder Abriss kirchliche­r Gebäude in Bayern bislang eher die Ausnahme. Im Bistum Würzburg kam es seit dem Jahr 2000 zwar vereinzelt zu Kirchenauf­gaben, allerdings nach Angaben der Diözese nur in Fällen, wenn entweder ein neues Gotteshaus an anderer Stelle in der Pfarrei gebaut wurde oder aber, wenn ein Neubau aus der Nachkriegs­zeit angesichts hoher Renovierun­gskosten abgerissen wurde und gleichzeit­ig in der bestehende­n alten Kirche im Ort der Platz wieder reichte. Auch im Erzbistum München und Freising wurden nur zwei baufällige Kirchen durch Neubauten ersetzt. Im Bistum Augsburg sei seit dem Jahr 2000 keine einzige katholisch­e Kirche geschlosse­n, profaniert oder abgerissen worden, meldet die Diözese. Ausnahmen sind die ehemalige Kapuzinerk­irche in Dillingen, die heute als Vortragssa­al genutzt wird, und die ehemalige Hofkirche in Günzburg, wo Konzerte stattfinde­n. Beide befinden sich aber in staatliche­m Besitz.

Die Sakralbaut­en gehörten zu den unverwechs­elbaren Kulturgüte­rn der Region und hätten große spirituell­e, kulturelle und auch künstleris­che Bedeutung, betont Bistumsspr­echer Karl-Georg Michel. Wie man mit dem Gebäudebes­tand von etwa 2050 Kirchen umgeht, ist auch in Augsburg eine wichtige Zukunftsfr­age. Schließlic­h investiert das Bistum erhebliche Kirchenste­uermittel in den Erhalt der Kirchen. 2017 und 2018 liegt der Instandset­zungsetat für pfarrliche Baumaßnahm­en inklusive Pfarrhäuse­rn und Pfarrheime­n bei je 42 Millionen Euro.

Umnutzunge­n wie andernorts, die sich zu weit von der ursprüngli­chen Widmung entfernen, sind bislang nicht geplant. „Uns liegt sehr an Lösungen, die auf die Würde eines Gotteshaus­es Rücksicht nehmen, auch wenn dieses nicht mehr vollumfäng­lich als solches genutzt wird“, sagt Bistumsspr­echer Michel. Besonders gut geeignet seien Fälle, bei welchen innerkirch­liche Nutzungen in Teilbereic­he der Kirche integriert werden und so vielleicht den Verkauf eines sanierungs­bedürftige­n Pfarrheims ermöglihab­t.“ chen. Ein Beispiel ist die Pfarrkirch­e St. Joseph in Augsburg-Oberhausen: Der Ostchor der Kirche wurde umgebaut und dient der kleiner gewordenen Gemeinde weiter als Kirchenund Versammlun­gsraum, während im großen Hauptschif­f der Kirche heute das Magazin des Diözesanar­chivs untergebra­cht ist.

Auch die Protestant­en in Bayern stehen angesichts sinkender Mitglieder­zahlen vor der Herausford­erung, ihre rund 6500 Kirchen, Pfarr- und Gemeindehä­user zu unterhalte­n. In den vergangene­n Jahren haben die Dekanate Konzepte erarbeitet, die helfen sollen, den Bestand wo nötig zu reduzieren, allerdings so, dass die kirchliche Arbeit möglichst nicht darunter leidet. Anders als in der katholisch­en Kirche sind die einzelnen evangelisc­hen Kirchengem­einden selbst Eigentümer, sie entscheide­n also, ob Gebäude vermietet, verkauft oder abgerissen werden. Die Christuski­rchengemei­nde Illertisse­n (Kreis Neu-Ulm) verkaufte etwa ihr altes Kirchengeb­äude zuletzt an einen Privatmann, allerdings nachdem das ehemalige Pfarrhaus zu einer neuen Kirche umgebaut worden war. Grundsätzl­ich, sagt Johannes Minkus, Pressespre­cher der evangelisc­hen Kirche in Bayern, gebe es einen Beschluss der Kirchenlei­tung, dass die knapp 2000 Kirchengeb­äude „soweit irgend möglich zu erhalten sind“.

 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Die katholisch­e Kirche St. Joseph in Augsburg Oberhausen, die sich in der Glasfront des Diözesanar­chivs des katholisch­en Bistums spiegelt, ist ein Beispiel für eine neue Nut zung: Der Ostchor dient der kleiner gewordenen Gemeinde weiter als...
Foto: Annette Zoepf Die katholisch­e Kirche St. Joseph in Augsburg Oberhausen, die sich in der Glasfront des Diözesanar­chivs des katholisch­en Bistums spiegelt, ist ein Beispiel für eine neue Nut zung: Der Ostchor dient der kleiner gewordenen Gemeinde weiter als...

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