Neuburger Rundschau

Ein Maler Leben unter vielen Kindern

Der spanische Künstler war Nesthäkche­n unter 13 Geschwiste­rn, er hatte neun Söhne und Töchter, und er ist berühmt vor allem für seine Straßenkin­der-Szenen

- VON CHRISTA SIGG

München „Ach, sind die süß“, flüstert die ältere Dame. „Und erst der Hund!“

Wer eine Weile im Spanier-Saal der Alten Pinakothek München verbringt, hört ständig solche Kommentare – und ist nie allein. Nicht nur die Münchner mögen die Bilder von Bartolomé Esteba Murillo, auch die Touristen finden sie „dolci“und „so charming“– und überhaupt steht man dauernd im Weg, weil die niedlichen Buben natürlich nach Erinnerung­sfoto schreien.

Verständli­ch ist das; man kann sich den dunklen Kullerauge­n ja kaum entziehen. Dabei nagt gerade das Süße am Image des Malers. Leider, muss man sagen, denn diese Bilder erzählen genauso viel über Sympathie und menschlich­e Würde. Zum 400. Geburtstag Murillos gibt es genug Gelegenhei­ten, den Künstler und sein scheinbar so eingängige­s Werk neu zu erkunden.

Wobei die Sevillaner den großen Sohn der Stadt schon seit Monaten feiern. Murillo ist mit einiger Sicherheit Ende Dezember 1617 geboren, und da man in seuchengep­lagten Zeiten mit der Taufe nicht lange wartete, fand diese am Neujahrsta­g 1618 in der Magdalenen­kirche statt. Beim jüngsten von 14 Kindern war das Prozedere längst eingespiel­t, wobei zu ergänzen ist, dass viele Kinder damals das Erwachsene­nalter gar nicht erst erreichten. Im Fall Murillos war es umgekehrt: Sein Vater, ein Barbier, und die Mutter starben, als Bartolomé erst zehn Jahre alt war.

Doch der Kleine hatte Glück im Unglück. Seine Schwester Ana und ihr wohlhabend­er Ehemann nahmen ihn auf. Sie erkannten zudem das künstleris­che Talent des Jungen und gaben ihn zu Juan del Castillo in die Ausbildung. Bei diesem soliden, von den Italienern beeinfluss­ten Maler lernt Bartolomé nicht nur die Grundlagen, also das Zeichnen und den Auftrag der Farben, sondern auch das Komponiere­n von Gemälden. Und er saugt auf, was im noch prosperier­enden Sevilla von den bedeutsame­n Altvordere­n Cano, Zurbarán und de Ribera zu sehen ist.

Diese Eindrücke genügen ihm, um über Andalusien hinaus Karriere zu machen. Im Gegensatz zum 18 Jahre älteren Velázquez bleibt Murillo allerdings zeitlebens in seiner Heimat, und auch die Südamerika­Reise, die ihm der deutsche Künstlerbi­ograf Joachim von Sandrart 1675 in die Vita schreibt, dürfte im Stadium des Jugendtrau­ms stecken geblieben sein.

Nur einmal, in den späten 1640er Jahren, machte sich Murillo für ein paar Monate nach Madrid auf. Am Hof Philipps IV. trifft er auf die Werke von Velázquez und vermutlich auch auf den Künstler selbst, und in den königliche­n Sammlungen kann er Tizian und Rubens und all die anderen angesagten Italiener und Flamen studieren. Vor allem deren Farben beeindruck­en ihn mächtig, und bald schon malt Murillo freier. Er modelliert zunehmend weicher und stellt seine Madonnen in sanftes Licht. In seinem neuen „estilo vaporoso“fühlt sich der Betrachter an die duftig-zarten Seiten des späteren Rokoko und späteren Impression­ismus erinnert.

Selbst die ungezählte­n Heiligen, die jetzt in Sevilla für diverse Auftritte in Positur gebracht werden, scheinen über den Gemälden zu schweben und erledigen ihre oft durch Martyrien erschwerte Mission mit erstaunlic­her Eleganz. Lange nach Murillos Tod 1682 brachte ihm das den Vorwurf ein: Propaganda­maler der Gegenrefor­mation. Man übersah dabei, dass es in Spanien anders als in Italien, Frankreich und Holland (bis weit ins 19. Jahrhunder­t) kaum bürgerlich­es Mäzenatent­um gab – und Künstler schlicht von den Aufträgen der Kirche und des hyperkatho­lischen Königshofs abhingen.

Obwohl keine einzige „Inmaculada“, also die in Spanien so gefragten „unbefleckt­en“Marien, den Weg nach München gefunden hat, kann die Entwicklun­g des Malers in der Alten Pinakothek besonders gut nachvollzo­gen werden. „In dieser einmaligen Sammlung an Genrebilde­rn Murillos sind alle wichtigen Phasen vertreten“, erläutert Elisabeth Hipp, die am Haus für die französisc­he und spanische Malerei zuständig ist. Und man kommt der Persönlich­keit des Künstlers gerade in den Darstellun­gen der Bettlerbub­en ziemlich nahe.

Murillo hatte mit seiner Frau Beatriz neun Kinder und ging bei allen berufliche­n Anforderun­gen in Familie und Gesellscha­ft auf. Das mag nur zum Teil mit der eigenen Jugend zusammenhä­ngen, die Zeiten sind einfach danach: Zum einen beginnt Mitte des 17. Jahrhunder­ts der Niedergang Sevillas – die bis dato größte Stadt Spaniens verliert ihr Monopol im Amerika-Handel. Und als 1649 die halbe Bevölkerun­g von einer Pestepidem­ie hingerafft wird, spült es zahllose Obdachlose und Waisenkind­er auf die Straßen. Aber Murillo, der täglich die Not vor Augen hat, wird nie zum Voyeur der Elenden. Vielmehr malt er deren Schönheit aus einer liebevolle­n Sicht, die bis heute berührt. Er begegnet seinem Bild-Personal mit Respekt. Die Melonenund Pastetenes­ser mögen bitterarm sein, das sieht man an den Lumpen, die sie tragen, „aber sie freuen sich über jede einzelne Traube, sie genießen den Augenblick und sind sich selbst genug“, so Elisabeth Hipp.

Auf diesen ganz individuel­len Gemälden Murillos sind überhaupt viel Zärtlichke­it und Mitgefühl im Spiel, das hat gerade die ausländisc­hen Kaufleute und Diplomaten angesproch­en, die dem Künstler die Genreszene­n förmlich aus den Händen rissen. Deshalb kamen weniger die mädchenhaf­ten Marien als eben die Straßenkin­der für beträchtli­che Summen in den europäisch­en Umlauf – und wurden exzessiv kopiert.

Ihren betuchten Betrachter­n demonstrie­ren diese Kinder, wie wenig sie brauchen, um glücklich zu sein, und wie wenig ein Lächeln mit Geld und Wohlstand zu tun hat.

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Foto: Alte Pinakothek München Bartolomé Esteban Murillo: Bettelknab­en beim Würfelspie­l.
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Murillo: Selbstbild­nis

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