Illegaler Reifen Export nach Polen
Eine vermutlich 30-köpfige Bande bricht in Autohäuser ein, klaut vor allem Reifensätze und bringt sie nach Polen. Auch im Landkreis schlagen sie zu. Ein Mitglied stand jetzt vor Gericht
Neuburg Er wirkt eher unscheinbar, fast brav, der 26-jährige Angeklagte im ausgewaschenen schwarzen Kapuzen-Pullover, der neben seiner Dolmetscherin auf der Anklagebank des Neuburger Amtsgerichts sitzt. Die Gesichtszüge noch jugendlich, die Schultern zusammengesunken. Als seine Verteidigerin Kamila Matthies aber kurz nach Prozessbeginn sein vollumfängliches Geständnis verliest, zeichnet sich ein anderes Bild des Angeklagten.
„Es stimmt alles“, lässt der Angeklagte verlesen, es tue ihm sehr leid. Die Ingolstädter Staatsanwaltschaft legt ihm zur Last, zwischen Dezember 2015 und August 2017 an drei schweren Bandendiebstählen beteiligt gewesen zu sein. Die Einbrecher schlugen in Autohäusern in Pressath in der Oberpfalz, in Schrobenhausen und in Ingolstadt zu. Insgesamt haben sie fast 100 komplette Autoreifensätze gestohlen, in einem Ingolstädter Autohaus hatten sie es auf hochwertige Ersatzteile, wie Scheinwerfer, abgesehen. Der Gesamtwert des Diebesgutes: 225 000 Euro.
Mit dem Geständnis geht der Angeklagte einen Deal ein, das Schöffengericht sagte ihm maximal zwei Jahre und sechs Monate Haft zu. Der gelernte Automechaniker er- klärt daraufhin zwar seine Schuld, gibt aber keine Einzelheiten zu seinen Komplizen oder der Vorgehensweise bekannt.
Doch durch mehrere Zeugenaussagen kann sich das Gericht ein Bild davon machen, wie die Bande agierte: Der Kriminalbeamte, der im Fall des ersten Einbruchs in der Oberpfalz ermittelt hatte, berichtet, wie die Täter in der Nacht über ein Nachbargrundstück auf das umzäunte Gelände des Autohauses kamen. Sie zerschnitten einen Maschendrahtzaun, kletterten über ein Gitter und knackten die Vorhängeschlösser von Containern, in denen hochwertige Reifensätze lagerten. Mindestens zwei Stunden hätten sie vor Ort sein müssen, in der Zeit transportierten sie 160 einzelne Reifen ab. „Es müssen Helfer dabei gewesen sein“, sagt der Beamte aus, allein das Gewicht der Reifen müsse ja erst mal gestemmt werden. Dann hätten die Diebe ein neues Vorhängeschloss angebracht – der Diebstahl fiel dadurch erst zwei Tage später auf.
Durch den Vergleich von Funkzellen-Daten konnte der Polizist während der Ermittlungen einen Zusammenhang mit einem späteren Einbruch in Schrobenhausen feststellen: Bei beiden Einbrüchen wurden in dem jeweiligen Bereich die- selben drei Handynummern benutzt – eine davon gehört dem Angeklagten. Bei seinen weiteren Recherchen fand der Ermittler heraus, dass es sich bei den Besitzern der Telefonnummern um Mitglieder einer Bande handeln müsse, die in ganz Deutschland aktiv sei und sich auf den Diebstahl von Autoteilen spezialisiert habe. Alle kämen aus der gleichen Stadt in Polen, in wechselnder Besetzung gingen sie in Deutschland auf Beutezug. Um die 30 Personen, sagt der Ermittler, müssten es sein.
Wirklich zum Verhängnis wurde dem 26-Jährigen aber erst ein weiterer Einbruch im vergangenen August. Wieder gingen die Täter ähnlich vor. In einem Ingolstädter Betrieb stahlen sie hochwertige AutoErsatzteile und transportierten sie ab. Der Besitzer aber, genervt von Diebstählen in der Vergangenheit, hatte in seiner Ware Peilsender versteckt, die durch Bewegung aktiviert wurden und Standort-Mitteilungen auf sein Handy schickten. So konnte er der Ingolstädter Polizei noch in derselben Nacht sagen, dass sich seine Ware auf der Autobahn A 9, Fahrtrichtung Berlin, befinde.
Es gelang dann trotzdem erst ihren polnischen Kollegen, den Transporter mit dem Diebesgut aufzuspüren. Am Steuer: der 26-jährige Angeklagte, der in seiner Heimat eine Garage betreibt, in der er selbstständig Autos repariert.
Der angeklagte Familienvater, der mit seiner Verlobten und seiner vierjährigen Tochter in Polen lebt, zeigt vor Gericht Reue. Er sei zwar in seiner Heimat wegen Einbruchs schon vorbestraft, aber er sei nie wirklich in Haft gesessen. Hier, in der Untersuchungshaft, habe er verstanden, dass Geld nicht so wichtig sei wie Familie, übersetzte die Dolmetscherin aus dem Polnischen.
Das Schöffengericht lässt Milde walten, für zwei Jahre und zwei Monate muss der Mann hinter Gitter. Der vorsitzende Richter Christian Veh sagt, dass die Bande nichts dem Zufall überlassen habe, sondern ein hohes Maß an Organisation aufweise. Doch das Geständnis, betont Veh, habe Qualität. Gerade für die ersten zwei Fälle in Pressath und Schrobenhausen sei die Beweislage dünn, auch für den Einbruch in Ingolstadt hätte sich das Verfahren ohne Geständnis durch die Beteiligung der polnischen Behörden erheblich in die Länge ziehen können. „Das muss sich bei der Strafzumessung auswirken“, sagt Veh. Neben der Haftstrafe muss der Automechaniker auch die Kosten des Verfahrens tragen, sowie den Schaden von 225000 Euro begleichen.