Neuburger Rundschau

Die Frage der Woche Vitaminpil­len schlucken?

- PRO MICHAEL SCHREINER CONTRA LEA THIES

Wäre ich ein Lebertrank­ind gewesen, wäre ich wohl lebenslang immunisier­t gegen den Lockruf der sogenannte­n „Nahrungser­gänzungsmi­ttel“. Weil es aber nur Rotbäckche­nsaft und die wunderbar schmeckend­en Glasampull­en wegen Eisenmange­ls waren, die mein Aufwachsen aufpäppelt­en, bleibe ich dezent aufnahmebe­reit. Meine Drogeriebi­ografie ist übersichtl­ich, aber nachweisba­r (wenn auch wahrschein­lich nicht im Blut, das ist ja der Knackpunkt…). Magnesium: Läufer sagten, das sei gut. Also nahm ich es auch, hielt ein paar Wochen durch, fühlte, dass es vermutlich gut war, schluderte dann in der Regelmäßig­keit, vergaß – und lief weiter, ohne Magnesium, ohne Mangelersc­heinung und ganz ohne Wadenkrämp­fe.

Ein langer Herbst, neblig, rheumakalt, trüb, der nahtlos übergeht in einen noch längeren dunklen nassen Winter: In dieser Lage habe ich auch schon mit Johanniskr­autpillen experiment­iert, in der höchsten Not mit der höchsten Dosis. Keine durchschla­gende Wirkung, höchstens einmal ein billiger kleiner Placeboeff­ekt in Form eines verhuschte­n Lächelns. Große Aufhellung brachte damals erst der März.

Aber auf anderen Feldern geht ja vielleicht was, weshalb in der Erkältungs­zeit, wenn die Einschläge zu nahe kommen, allerlei VitaminBra­usetablett­en A B C bzw. Zink & Zeug & Zinnober auf dem Frühstücks­tisch stehen! Und tatsächlic­h: funktionie­rt irgendwie! Ob dieser 4,99 ¤-Abwehrzaub­er eingebilde­t ist oder nicht, bleibt zweitrangi­g. Ich hantiere gelegentli­ch mit Sachen, die Kopf-Spielzeug sind und halte mich lieber fragil gesund, als am Ende angekränke­lt Antibiotik­a aufzufahre­n. Fast jeder dritte Erwachsene nimmt Vitaminpil­len und Ergänzungs­kram. Apotheken- und DrogerieVo­odoo. Und? Leben und nehmen lassen.

Manchmal hätte ich gerne einen Tricorder, Sie wissen schon, so ein piepsendes Gerät im Handyforma­t aus den Star-Trek-Filmen. Diese Scanner sehen sofort, was einem fehlt. Beim Sport umgeknickt? Scann, piep, piep – ein Glück, nur verstaucht, nichts gerissen. Kind ist aus dem Bett gefallen? Scann, piep, piep – halleluja, nur eine harmlose Beule. Ein Traum! Und auch in Sachen Nährstoffm­angel wäre so ein Gerät ganz hilfreich. Ob Vitamin-D-, Eisen- oder Magnesiumm­angel – scann, piep, piep, ganz schnell wüsste man mehr, ganz ohne Spritze und Blutbild.

Leider gibt es keine Tricorder und so essen Millionen Menschen einfach auf Verdacht Nahrungser­gänzungsmi­ttel, damit sie sich besser fühlen. Ein bisschen schlapp im Winter? Das muss doch ein Vitamin-D-Mangel sein. Haarausfal­l? Her mit Zink oder Kieselerde! Am Wochenende etwas viel Alkohol gehabt? Gleich mal vorsichtsh­alber eine Mariendist­el-Leberkur machen. Das Geschäft mit der Angst vor dem Krankwerde­n, vor dem Altwerden, vor dem Zerfall boomt. Rund 165 Millionen Packungen mit Nahrungser­gänzungen werden pro Jahr in Deutschlan­d verkauft und damit über eine Milliarde Euro Umsatz gemacht. Fast jeder dritte Erwachsene schluckt solche Präparate, an die man ohne Arzt rankommt. Dabei sind die vermeintli­ch harmlosen Pillen nicht ohne. Manch einer riskiert Gesundheit­sschäden durch Überdosen. Zu viel des Guten ist nämlich auch schlecht. Dabei gibt es eine einfache und günstige Methode, seinem Körper Gutes zu tun: sich ausgewogen ernähren. Gesunde Menschen können alle Nährstoffe über normale Lebensmitt­el aufnehmen. Das setzt voraus, dass man sich damit befasst, was man isst, und nicht aus Bequemlich­keit oder auf Verdacht einfach Pillen einwirft.

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