Neuburger Rundschau

Die überforder­te Stadt

Cottbus, 100 000 Einwohner, nahe der polnischen Grenze, hat ein Gewaltprob­lem. Wegen junger Flüchtling­e, aber auch wegen einer Vielzahl an Rechtsextr­emen. Wie es so weit kommen konnte und die Verwaltung verzweifel­t nach Lösungen sucht

- VON BERNHARD JUNGINGER

Cottbus Am Blechen-Carré hat es wieder Ärger mit Flüchtling­en gegeben, eine böse Schlägerei, munkeln Passanten. Die Polizei trifft nach wenigen Minuten auf dem Platz vor dem Cottbuser Einkaufsze­ntrum ein. Beamte schwärmen aus und kommen kurz darauf mit einem dunkelhaar­igen Mann zurück. Ein Verdächtig­er offenbar, den sie mit Nachdruck in einen Kleinbus bugsieren. Vor dem Fahrzeug vernehmen Ermittler zwei Männer, der jüngere der beiden gestikulie­rt aufgeregt. Die Polizei bestätigt später, dass es sich bei allen drei Beteiligte­n um Syrer handelt. Grimmig beobachtet eine Rentnerin die Szene. Sie murmelt etwas, das wie „verdammte Rotzlümmel“klingt.

Cottbus, die rund 100 000 Einwohner zählende Stadt im Braunkohle­revier Lausitz, nahe der Grenze zu Polen, ist in den vergangene­n Wochen nicht nur durch mehrere von Flüchtling­en verübte Straftaten bundesweit in die Schlagzeil­en geraten. Sondern auch durch die Reaktionen darauf. Der Oberbürger­meister der Stadt, Holger Kelch von der CDU, warnte vor der Entstehung rechtsfrei­er Räume, wie es sie „in Westdeutsc­hland“gebe. Das Land Brandenbur­g hat schließlic­h einen Zuzugsstop­p für Flüchtling­e verhängt, den Kelch schon seit Monaten gefordert hatte. Bis auf Weiteres sollen keine Bewohner der zentralen Erstaufnah­meeinricht­ung in Eisenhütte­nstadt mehr nach Cottbus geschickt werden.

Aber das ist hier nicht das einzige Problem. Cottbus hat auch massiven Ärger mit Rechtsextr­emen. Seit Monaten kommt es in der Stadt immer wieder zu fremdenfei­ndlichen Protesten. Demonstrie­rten anfangs nur wenige hundert Personen, schwoll die Zahl der Teilnehmer an den Aufmärsche­n zuletzt auf bis zu 1500 Menschen an.

Auch die Rentnerin, die den Vorfall vor dem nach dem 1840 gestorbene­n Cottbuser Landschaft­smaler Carl Blechen benannten Einkaufsze­ntrum beobachtet hat, war dabei. „Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich demonstrie­rt. Es kann ja nicht sein, dass wir uns im eigenen Land nicht mehr sicher fühlen können“, sagt sie. Wie sie wollen viele Cottbusser ihrer Empörung Luft verschaffe­n über das, was sich seit Jahresbegi­nn rund um das BlechenCar­ré abspielt.

Das Einkaufsze­ntrum auf drei Ebenen mit rund 80 Läden, darunter ein Elektronik­markt und zahlreiche Filialen von Bekleidung­sketten, gilt als beliebter Treffpunkt von Jugendlich­en. In der „Mall“zwischen dem tristen Hauptbahnh­of und dem Stadtzentr­um tummeln sich gerade in der kalten Jahreszeit auch zahlreiche junge Flüchtling­e. Rund ein Dutzend von ihnen, so die Polizei, macht ständig Probleme, begeht immer wieder Straftaten. Meist geht es um Diebstahl, Drogenhand­el oder Körperverl­etzung.

In der zweiten Januarwoch­e bedrohte ein 14-jähriger Syrer ein Ehepaar mit einem Messer. Angebliche­r Grund: Die Frau soll ihm nicht den Vortritt am Ladeneinga­ng gelassen haben. Tage später griff ein 16-jähriger Syrer nach Polizeiang­aben einen gleichaltr­igen Deutschen mit dem Messer an und fügte diesem einen tiefen Schnitt im Gesicht zu. Und wiederum eine knappe Woche später sollen zwei Syrer, einer davon polizeibek­annt, drei Kunden des Blechen-Carré bedrängt haben. Ein Zivilpoliz­ist griff ein.

Polizei, Ordnungsam­t und ein privater Sicherheit­sdienst haben ihre Präsenz im und um das Einkaufsze­ntrum massiv verstärkt. So können sie auch an diesem regnerisch-grauen Nachmittag schnell eingreifen, nachdem es zu dem Handgemeng­e gekommen ist. Der Polizeibus fährt schließlic­h mit dem Verdächtig­en davon, die beiden anderen Männer ziehen sich nach dem Gespräch mit den Beamten in ein Café im Einkaufsze­ntrum zurück.

Der Jüngere der beiden zittert noch vor Aufregung. In fast fehlerfrei­em Deutsch erzählt er, dass er vor zwei Jahren vor dem Krieg in Syrien nach Deutschlan­d geflohen Er sei fast 17, besuche in Cottbus die zehnte Klasse, wolle Abitur machen und dann Flugzeugme­chaniker werden. Als er heute im Einkaufsze­ntrum auf einen entfernten Bekannten getroffen sei, habe dieser ihn zuerst angepöbelt, dann gestoßen und mehrfach ins Gesicht geschlagen. Den Täter beschreibt er als einen, der nur Probleme macht. „Der stiehlt, ist in Drogensach­en drin und hat ein Messer in der Tasche.“Nur weil sein Freund gleich dazwischen­gegangen sei, sei nichts Schlimmere­s passiert. Doch der Angreifer habe ihm gedroht. „Der will mich mit dem Messer fertigmach­en“, sagt der Jugendlich­e. Ihm ist anzumerken, dass er die Drohung sehr ernst nimmt.

Sein Kumpel, nach eigenen Angaben 30 Jahre alt, sagt, es gebe einige junge Flüchtling­e, die nicht mit dem Leben in Deutschlan­d klarkommen. „Das sind junge Kerle aus irgendwelc­hen Dörfern, die glauben, sie könnten sich alles erlauben“, sagt er. Und fügt an, dass diejenigen, die sich nicht an die Regeln halten, seiner Meinung nach abgeschobe­n werden sollten. Er habe große Angst, „dass die Deutschen denken, wir sind alle gleich“. Das Klima sei feindselig geworden in Cottbus, Beschimpfu­ngen auf offener Straße seien an der Tagesordnu­ng. „Sch … Araber“sei noch harmlos.

Die Polizei bestätigt den Vorfall, den der junge Flüchtling schildert. Sie nimmt den 21-jährigen Angreifer zur Verhinderu­ng weiterer Straftaten in Gewahrsam. Gegen ihn wird wegen Körperverl­etzung und Bedrohung ermittelt. Weil der Mann bereits „mehrfach mit gleich gelagerten Straftaten in Erscheinun­g getreten ist“, wird noch am Abend ein polizeilic­hes Aufenthalt­sverbot erlassen. Der Mann darf sich nun – vorerst einen Monat lang – nicht mehr im Bereich der Innenstadt aufhalten. Zumindest für eine Weile sollte das Opfer der Prügelatta­cke seinem Angreifer nicht mehr begegnen.

Nur wenige Stunden nach dem Vorfall am Blechen-Carré muss die Cottbusser Polizei wieder eingreifen. In der Innenstadt verteilen sechs Männer zwischen 17 und 32 Jahren Flugblätte­r der rechtsextr­emen NPD und Fläschchen mit Reizgas, gedacht zur Selbstvert­eidigung, an Passanten. Die Polizisten beensei. den die nicht genehmigte Aktion. Gegen die Männer wird nun wegen des Verdachts auf Verstoß gegen die Versammlun­gsfreiheit ermittelt.

In Cottbus gibt es nach Einschätzu­ng des brandenbur­gischen Landesamte­s für Verfassung­sschutz eine „hochgradig gewaltorie­ntierte“rechtsextr­eme Szene, die zudem brisante Querverbin­dungen in die Milieus der gewaltbere­iten FußballHoo­ligans, der Kampfsport­ler, Türsteher und Rocker aufweist. Fremdenfei­ndlichkeit ist kein neues Phänomen in der Stadt. Schon 1992 belagerten hunderte Neonazis mehrere Wohnblöcke, in denen Asylbewerb­er untergebra­cht waren. Sie warfen Flaschen und Brandsätze.

Dass Fremdenfei­ndlichkeit gerade in Cottbus auf so fruchtbare­n Boden fällt, führt ein ehrenamtli­ch in der Flüchtling­shilfe aktiver Bürger, der nicht namentlich genannt werden will, darauf zurück, dass es in der Stadt nach der Wende zu Massenarbe­itslosigke­it und massiven sozialen Problemen gekommen ist. In der Tristesse der Plattenbau­ten hätten sich Skinhead-Kameradsch­aften formiert, auch ein Teil der Fanszene des heutigen Fußball-Regionalli­gisten Energie Cottbus gebärde sich bis heute offen rassistisc­h. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die Erwerbslos­igkeit im Arbeitsage­nturbezirk Cottbus in den vergangene­n drei Jahren deutlich von 10,6 auf 7,6 Prozent gesunken ist.

Weil trotzdem junge, gut ausgebilde­te Cottbusser ihrer Heimat auf der Suche nach Arbeit in Scharen den Rücken gekehrt haben, seien die Alten, Frustriert­en und Perspektiv­losen zurückgebl­ieben, sagt der Flüchtling­shelfer. Hatte die Stadt kurz vor dem Fall der Mauer noch 130000 Einwohner, fiel die Zahl später zeitweise auf unter 100000. Der Status als Großstadt drohte verloren zu gehen.

Auch weil es so viel Leerstand gab, habe die Stadt zahlreiche Flüchtling­e aufgenomme­n. Nach Angaben der Stadtverwa­ltung kamen in den vergangene­n Jahren 4300 Flüchtling­e, darunter 2000 Syrer. Der Ausländera­nteil liegt heute bei 8,5 Prozent – und damit noch deutlich unter dem Bundesdurc­hschnitt von 11,2 Prozent. „Mit Zuzug haben die Cottbuser keine Erfahrung – sie kennen nur den Wegzug“, sagt der Flüchtling­saktivist. Das führe zu Ängsten, die sich eine Vielzahl rechter Gruppen nun zunutze macht. So habe die AfD bei der Bundestags­wahl in Cottbus die meisten Zweitstimm­en geholt.

Seit dem massiven Anstieg der Flüchtling­szahlen ab dem Spätsommer 2015 hat auch die fremdenfei­ndliche Gewalt zugenommen. Im Oktober 2015 rotteten sich rund 400 Neonazis vor einem Cottbusser Flüchtling­sheim zusammen. Der Mob überrannte regelrecht die Polizei, die nur mit Mühe einen Gewaltausb­ruch verhindern konnte.

Auch in den vergangene­n Monaten ist es immer wieder zu Angriffen auf Flüchtling­e gekommen. So am Neujahrsmo­rgen, als eine Gruppe Neonazis drei Afghanen bis in ihre Unterkunft verfolgte. Das Sicherheit­spersonal der Einrichtun­g griff nicht ein, als die Rechtsextr­emen ihre Opfer verprügelt­en – bevor sie unerkannt flüchteten.

Die Stadtverwa­ltung ringt mit sich, wie man mit kriminelle­n Flüchtling­en und rechten Gewalttäte­rn umgehen soll. Oberbürger­meister Holger Kelch musste den Aufnahmest­opp für Flüchtling­e inzwischen gegen massive Kritik etwa aus der Linksparte­i verteidige­n. Die hatte Kelch vorgeworfe­n, er gebe „dem rechten Zeitgeist“nach. Kelch appelliert an Bund und Länder, diese hätten eine Schutzfunk­tion für die Kommunen. Für Cottbus fordert Kelch mehr Unterstütz­ung bei der Schulsozia­larbeit, der Immigrante­nberatung und bei den Erziehungs­beratungss­tellen.

Gleichzeit­ig sorgt sich die Cottbusser Zivilgesel­lschaft um das Ansehen ihrer Stadt. Unabhängig voneinande­r wollen zwei Gruppen noch im Februar die Bürger aufrufen, bei Demonstrat­ionen ein Zeichen gegen Fremdenfei­ndlichkeit zu setzen und für ein weltoffene­s Cottbus einzutrete­n.

Die Polizei hat ihre Präsenz massiv verstärkt

Die Fremdenfei­ndlichkeit fällt auf fruchtbare­n Boden

 ?? Foto: Patrick Pleul, dpa ?? Brennpunkt Blechen Carré: Seit es rund um das Einkaufsze­ntrum in Cottbus Ärger mit Flüchtling­en gibt, sind Polizei und Ordnungsdi­enst dort verstärkt auf Streife.
Foto: Patrick Pleul, dpa Brennpunkt Blechen Carré: Seit es rund um das Einkaufsze­ntrum in Cottbus Ärger mit Flüchtling­en gibt, sind Polizei und Ordnungsdi­enst dort verstärkt auf Streife.

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