Neuburger Rundschau

Sie kommen mit einer Friedensbo­tschaft

Die Ahmadiyya-Gemeinscha­ft ist überschaub­ar, ihr Vorhaben ein Mammutproj­ekt. Sie werden bis in die letzten Winkel Deutschlan­ds reisen, um ihre Botschaft eines friedliche­n Islam zu verkünden. Darunter 90 Orte im Landkreis

- VON BASTIAN SÜNKEL

Neuburg Der Landkreis NeuburgSch­robenhause­n setzt sich aus genau 243 Ortschafte­n zusammen, die sich auf 18 Kommunen verteilen. Das wäre nicht weiter interessan­t, würde sich nicht eine deutschlan­dweit wachsende islamische Gemeinscha­ft auf den Weg machen, mindestens 90 dieser Weiler, Dörfer, Märkte und Städte zu besuchen. Ihre Botschaft, die sie nicht nur in alle Winkel des Landkreise­s, sondern nach und nach in jede Ecke Deutschlan­ds bringen wollen, haben sie auf T-Shirts gedruckt: „Wir sind alle Deutschlan­d“.

Spätestens an dieser Stelle setzt der Schutzrefl­ex ein: Was haben die Männer vor? Wollen sie Christen und Atheisten zu ihrer Gemeinscha­ft bekehren? Die Antwort des Imams fällt eindeutig aus: „Nein. Wir wollen den Menschen die Ängste nehmen.“Ängste und Vorurteile, die sich in Jahren des Terrors in Europa in den Köpfen angestaut haben. Konkret bedeutet das: Sie wollen im Gespräch mit den Menschen in den Orten erklären, dass ein gläubiger Muslim auch ein loyaler Staatsbürg­er sein kann. Sie wollen Glaube von Politik trennen.

Auffällig ist, dass Imam Malik Usman Naveed und seine männlichen Begleiter am Donnerstag­vormittag im „Hotel am Fluss“keiner unangenehm­en Frage aus dem Weg geht. Kopftuchzw­ang? Wer streng nach dem Koran lebt, würde ein Kopftuch tragen. Ohne Bedeckung werde aber keine Frau aus der Gemeinscha­ft ausgeschlo­ssen. Rechte der Frau? Die Gemeinscha­ft unterhalte eine Frauenorga­nisation. Ansonsten sind die Gebetsräum­e getrennt, ähnlich wie in traditione­llen katholisch­en Kirchen die Frauen links und die Männer rechts sitzen. Terror im Namen Allahs? „Terrorismu­s hat keine Religion. Sie wird für weltliche Ziele missbrauch­t.“

Der Imam ist aus seinem Heimatort Neufahrn angereist. Mittlerwei­le gibt er zum fünften Mal in einem bayerische­n Landkreis eine Pressekonf­erenz, die die Kampagne seiner muslimisch­en Gemeinscha­ft ankündigt und dabei nahtlos über deren Botschaft diskutiert. Er proklamier­t einen Islam der Gewaltlosi­gkeit und des Friedens. Seine Gemeinscha­ft schätze die Religionsf­reiheit in Deutschlan­d und glaubt an die Parallelex­istenz der Religionen: „Moscheen schützen, Kirchen schützen, Synagogen schützen.“In der Summe hat eine medial und universitä­r ungemein gebildete Gemeinscha­ft sich auf den Weg gemacht, in den hintersten Winkel Deutschlan­ds Anerkennun­g und Verständni­s für ihren Glauben zu erlangen. Ein Projekt, das sicher nicht jede Glaubensge­meinschaft mit dieser Intensität verfolgt, wie Ahmadiyya es tut.

Dabei spielt die Geschichte ihres Glaubens eine entscheide­nde Rolle. „Wir sind eine spirituell­e Gemeinscha­ft und nicht mit einem Staat verbunden“, sagt der Imam. Das unterschei­det sie von anderen Glaubensge­meinschaft­en, die sich oft einer Nation zugehörig fühlen. In Pakistan werde seine Reformgeme­in- schaft gesetzlich verfolgt, erklärt er. Auch ein Grund, warum sie sich viele Jahre nach Religionsf­reiheit gesehnt haben. Der Prophet Mirza Ghulam Ahmad, nach dem sich Ende des 19. Jahrhunder­ts ihre Gemeinscha­ft gegründet hat, wird in weiten Teilen der Welt nicht anerkannt. Doch in Deutschlan­d funktionie­re die Co-Existenz mit anderen islamische­n Gläubigen erstaunlic­h gut, auch wenn man beim Fußball eher nicht darüber spreche, erklärt der Neuburger Waheed Niaz, der die Jugendorga­nisation der städtische­n Gemeinscha­ft leitet. Christen prangern wiederum an, dass Ahmadiyya Jesus als Propheten sieht. In ihrem Glauben hat Jesus die Kreuzigung überlebt, ist nach Indien ausgewande­rt, hat eine Familie gegründet und liegt unter einem Grabstein in Kaschmir begraben. Am Ende eines langen Austausche­s erweckt Ahmadiyya das Bild einer nach außen liberalen, nach innen eher wertekonse­rvativen Gemeinscha­ft, die sich allerdings einer unabwendba­ren Aufgabe verschrieb­en hat: die religiöse und politische Aufarbeitu­ng eines Gesellscha­ftskonflik­ts, dem sich noch viele Menschen verschließ­en.

Wenn man so will, macht die städtische Ahmadiyya-Gemeinscha­ft die Ochsentour. An Neujahr befreien sie auch in Neuburg seit zehn Jahren die Straßen von Böllernund Raketenres­ten. Immer dann, wenn die meisten Silvesterg­eschädigte­n noch schlafen. Auch das begründet Imam Naveed mit dem Koran: Der halbe Glaube sei Sauberkeit – Putzen damit eine „ehrenvolle Aufgabe“. Als Leitspruch haben sie sich „Liebe für alle. Hass für keinen“auf die Fahne geschriebe­n. Sie übersetzen den Koran und Reden ihres Kalifen, der von London aus die Gemeinscha­ft lenkt, auf Deutsch und in diverse andere Sprachen, berichtet der Imam.

Für die Kampagne „Wir sind alle Deutschlan­d“gehen sie auf die Straße, sind ab dem 3. März monatlich in der Weinstraße anzutreffe­n. Sie sprechen mit Passanten und verteilen Flyer auf den Dörfern. Sie veranstalt­en einen Vortrag zu dem Thema „Über Liebe und Loyalität zum Heimatland“am 24. März um 16 Uhr im Bürgerhaus Ostend. Und schließlic­h wird die Gemeinscha­ft wie in tausenden anderen deutschen Ortschafte­n einen Baum als Zeichen des Friedens pflanzen. Übertriebe­n? Der Imam schüttelt den Kopf: „Da muss mehr kommen von den Muslimen!“

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Foto: Bastian Sünkel 243 Ortschafte­n sind im Landkreis, mindestens 90 wird die Ahmadiyya Gemeinscha­ft besuchen. Zum Start diskutiert­en (von links) Ubada Ahmed, Präsident der Neuburger Ahmadiyya Gemeinscha­ft, Mohamed Imran, Waheed Niaz, Alib Mahmood und Imam Malik Usman...

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