Wie viel Farbe ist erlaubt?
Sie stehen da und drängen sich dem Betrachter förmlich auf: Bunte Häuser im Stadtbild. Was dem einen ein willkommener Farbklecks, ist dem anderen ein ästhetisches Ärgernis. Ein Exemplar sorgt in Neuburg besonders für Aufsehen
Ein knallgrünes Haus sorgt in Neuburg für Aufsehen. Was den einen ein willkommener Farbklecks, ist den anderen ein ästhetisches Ärgernis.
Neuburg Da steht es in all seiner quietschgrüngelben Pracht und zieht die Blicke magisch an – ein strahlender Eckpfeiler an der Spitze zwischen Rohrenfelder und Grünauer Straße: ein Haus, ein Hingucker, ein optisches Ausrufezeichen. An das sich für manche eine Reihe Fragezeichen anschließen. Etwa am Ende von Fragen wie: Ist das noch schön? Oder: Muss das wirklich sein? Wer beides für sich mit „Nein“beantwortet hat, stellt sich zuletzt vielleicht die Frage: Ist so etwas überhaupt erlaubt oder lässt sich dem gestalterischen Wildwuchs an Hausfassaden Einhalt gebieten?
Diese Frage warf in der jüngsten Bauausschusssitzung Stadträtin Eva Lanig auf und ließ damit durchblicken, dass sie vom farbenfrohen Anblick des Hauses – um es mal so zu sagen – nur mäßig begeistert ist. Oberbürgermeister Bernhard Gmehling wurde direkt deutlicher: „Das ist eine Beleidigung für’s Auge!“So, damit ließe sich trefflich eine Diskussion um die Frage, wer was als schön empfindet, eröffnen. Das ist jedoch müßig, da es in diesem Punkt erfahrungsgemäß so viele Meinungen wie Menschen gibt. Darum soll an dieser Stelle Stadtjurist Ralf Rick zu Wort kommen, der sich auf dem neutralen Boden des Gesetzes bewegt. Das schreibt schwarz auf weiß vor, in welchem Fall es zu bunt wird.
Die schlechte Nachricht für alle Pastellliebhaber, Farbverweigerer und Freunde der vornehmen Zurückhaltung: Die Fälle, in denen das Gesetz oder die Stadt in die Wahl des Farbtopfs eingreifen kann, sind selten. Große Ausnahme seien Gebäude oder Gebäudeensembles, die unter Denkmalschutz stehen, sagt der Jurist: „Da gibt es strenge Vorgaben.“Davon betroffen ist beispielsweise fast die komplette obere Altstadt. Farbliche Ausreißer sucht man daher dort vergeblich. Ebenso wie bei einzelnen Baudenkmälern und Bereichen der Unteren Altstadt. Etwa im Umfeld von Kirchen. Knallbunte Gebäude in direkter Nachbarschaft von Heilig Geist beispielsweise würden die Untere Denkmalschutzbehörde auf den Plan rufen.
Abgesehen davon seien die Vorschriften für die Gestaltung von Gebäuden in den vergangenen Jahren stetig nivelliert worden. Das betrifft nicht nur die Farbgebung, sondern das gesamte Erscheinungsbild eines Hauses samt Fassaden, Fenstern und Proportionen. Früher habe der Begriff der „Verunstaltung“noch eine große Rolle innerhalb der Bayerischen Bauordnung gespielt, im Zuge der Liberalisierung der Baugesetze habe er jedoch zunehmend an Bedeutung verloren, erklärt der Jurist. Das öffnet gestalterischem Individualismus Tür und Tor. Städte hätten lediglich über Bebauungspläne oder eine sogenannte Gestaltungssatzung Einfluss darauf. Eine solche Satzung existiert in Neuburg zwar, sie umfasst auch weite Teile der Unteren Altstadt, ist jedoch mehr ein zahnloser Tiger.
Denn: „In ihr ist nicht geregelt, welche Farben verwendet werden dürfen“, sagt Rick. Im Idealfall versuche sich die Stadt daher, im Vorfeld mit Hausbesitzern abzustimmen – was bei Neubauten, für die ein Bauantrag das Rathaus passieren muss, naturgegeben einfacher sei als bei Bestandsgebäuden. Will der Eigentümer diesen ein neues Farbkleid verpassen, muss er nicht erst bei der Stadt um Erlaubnis fragen, sondern kann einfach loslegen. Ist das Gebäude erst einmal in den Farbeimer gefallen, stehen die Chancen, daran etwas zu ändern, schlecht: „Vor Gericht kämen wir damit kaum durch“, sagt Rick.
Ganz düster sieht es aus, wenn sich Gebäude außerhalb des Geltungsbereichs der Gestaltungssatzung befinden, wie das Haus in der Rohrenfelder Straße. Dort sei selbst gegen Giftgrün kein Ankommen. Sogar rosa Pünktchen, Graffiti, oder ein Bunker in schwarz müssten toleriert werden, sagt Rick. Damit es nicht so weit kommt, hofft er auf das Geschmacksempfinden der Eigentümer und die soziale Kontrolle des Umfelds. Sollte dennoch einmal jemand meinen, sich in einer Weise kreativ austoben zu müssen, die „so himmelschreiend furchtbar und für die Allgemeinheit offensichtlich untragbar ist“, könne die Stadt mit einem Bußgeld reagieren. Als letztes Mittel könne sie versuchen, einen Neuanstrich vor Gericht durchzuklagen. In allen anderen Fällen obliege die Farbwahl der Freiheit des Eigentümers. Wem das Ergebnis nicht gefällt, kann ebenfalls von einer Freiheit Gebrauch machen: der, wegzusehen.