„Die Zukunft des deutschen Leistungssports steht auf dem Spiel“
Die Südkoreaner lieben Pokern, Zocken und Tricksen. Deshalb haben wir DOSB-Präsident Alfons Hörmann zu einem Gespräch ins Casino gebeten. Es geht um die Erfolge des „Team D“, gute Sportstätten und russisches Roulette
Pyeongchang Alfons Hörmann ist kein Zocker. Er wettet nicht, kann sich nicht mal fürs Schafkopfen begeistern. Und trotzdem hat der DOSB-Chef einem Interview im Casino zugestimmt. Weil es passt. Zu den südkoreanischen OlympiaGastgebern, die sich gerne an einen Spielautomaten oder RouletteTisch setzen. Aber auch räumlich: Das Casino befindet sich im Erdgeschoss des Vier-Sterne-Hotels mitten im Alpensia Ski Resort, in dem Hörmann während der zweieinhalb Wochen in Pyeongchang wohnt. Also lässt er sich ein auf ein besonderes Spielchen. Mit Worten.
Herr Hörmann, hat der deutsche Sport diesmal bei Olympia den großen Wurf gelandet?
Alfons Hörmann: Ich würde eher sagen, wir haben an vielen Stellen auf die richtige Zahl gesetzt. Wir haben zwischen Sotschi und Pyeongchang die Zeit in etlichen Bereichen sehr zielgerichtet genutzt, mit den Verbänden gemeinsam am Erfolg gebastelt. Das Musterbeispiel sind für mich die Bobfahrer, bei denen sich 2014 teilweise chaotische Szenarien abgespielt haben. Da haben wir mit vielen Gesprächen, dem Aufbau von Strukturen, neuen Leuten und einer intensiven Materialforschung so viel bewegt, dass wir uns jetzt wieder über Medaillen freuen durften. Das könnte man auch auf einige andere Sportarten übertragen, weshalb wir schon sagen können, dass vieles richtig gemacht wurde.
Was bedeutet es, nun mit vollen Taschen heimzugehen?
Hörmann: Es ist eine wunderschöne Bestätigung und ein tolles Erfolgserlebnis für alle Athleten, Trainer und Techniker, was im deutschen Haus ja auch gebührend gefeiert worden ist. Diese Erfolge sind eine tolle Bestätigung für die Heimatvereine, auch für die Heimatgemeinden. Nehmen wir Oberstdorf: So viele Olympiamedaillengewinner in mehreren Disziplinen hat es noch nie gegeben. Der deutsche Wintersport hat gezeigt, dass er international wettbewerbsfähig ist.
Werden die Verbände von den Erfolgen profitieren?
Hörmann: Das, was bei Olympia passiert ist, wird natürlich dazu führen, dass sie mit den besten Karten in die anstehenden Sponsorengespräche gehen. und freuen sich über Traumquoten, da wäre es unlogisch, sich nicht weiter um Übertragungsrechte zu bemühen. Auch von Bundespolizei, Bundeswehr und Zoll, die unsere Sportler unterstützen und ausbilden, kommt das klare Signal: Weniger wird es auf keinen Fall.
Bleibt also die entscheidende Frage: Was ist mit dem künftigen Bundesinnenminister möglich?
Hörmann: Der deutsche Sport wird von ihm fordern, den Einsatz zu erhöhen. Anders können wir die auf den Weg gebrachte Leistungssportreform nicht konsequent umsetzen.
Welche Summe steht auf dem Spiel? Hörmann: Es geht um eine Aufstockung zwischen 60 und 120 Millionen Euro in den nächsten drei Jahren – in einer Art Rampenmodell. Aber da sind auch 20 Millionen Euro für Infrastruktur dabei, zum Beispiel für die Stadien, unter anderem auch die der Nordischen Ski-WM 2021 in Oberstdorf.
Pause. Hörmann greift zu den Hustenbonbons, die er mitgebracht und auf den Spieltisch gelegt hat. Seine Stimme ist angekratzt, doch krank darf er nicht werden. Weil zwar die Sportler bei Olympia im Mittelpunkt stehen, aber auch der Chef gefragt ist. Als Repräsentant, Taktgeber, Motivator, Verhandlungspartner. Und weil es für Hör- mann auch während der Winterspiele berufliche Pflichten gibt. Anfang der Woche musste der Vorstandsvorsitzende eines Bauzulieferers für zwei Tage zurück nach Deutschland zu einer höchst wichtigen Kundenveranstaltung. Und am Freitag ging es um 7 Uhr morgens raus zu einer Messe nach Seoul. Kein Wunder, dass unter Hörmanns Augen der eine oder andere olympische Ring sichtbar zu werden scheint.
Im Casino kommt es auf das richtige Blatt an. War der Teamgeist das Ass im Ärmel der deutschen Athleten? Hörmann: Ich würde sogar vom ganz großen Wurf sprechen. Uns ist es gelungen, die Idee vom Team D umzusetzen, das Deutsche Haus komplett umzukrempeln und dafür zu sorgen, dass sich die Athleten, deren Familien und Betreuer hier richtig wohlfühlen. Wenn mich jemand nach meinem persönlich größten Erfolg fragt, dann war es sicher die Neukonzeption des Deutschen Hauses. Die Kosten betragen zwar zwischen drei und vier Millionen Euro, werden aber zum Großteil von Sponsoren und Partnern getragen. Was wir vom Sport zuschießen, ist bestinvestiertes Geld. Anders bekommt man einen solchen Mannschaftsgeist, der uns zu den Erfolgen getragen hat, nicht hin.
Wie oft schauen Sie auf den Medaillenspiegel?
Hörmann: Ich bin kein Freund des Medaillenspiegels, eines zeigt er aber schon: Wie schwer es ist, aufs Podium zu kommen. Auch diesmal sind viele Favoriten gescheitert.
Sie haben vor den Spielen gesagt, Rang eins in der Fair Play-Wertung sei Ihnen wichtiger als Rang eins im Medaillenspiegel.
Hörmann: Stimmt. Die Botschafterrolle für die Werte des Sports, die das Team übernommen hat, ist mindestens so wichtig wie die Frage von ein paar Medaillen mehr oder weniger. Die Athleten geben Deutschland nach außen ein Gesicht.
Was auffällt ist, dass es in den Trendsportarten keinen Podestplatz gegeben hat. Ist der Einsatz an dieser Stelle nicht hoch genug?
Hörmann: Klar und eindeutig ja. Ohne eine sportfachliche Konzeption kommt man in diesen Disziplinen nicht voran. In Deutschland gibt es zum Beispiel nach wie vor keine Halfpipe, obwohl wir seit einem Jahrzehnt darüber diskutieren. Wie viel Geld künftig in die Trendsportarten fließen kann, darüber müssen wir jetzt mit dem Bundesinnenministerium verhandeln.
Norwegen ist ein Gewinner dieser Spiele. Was läuft dort besonders gut? Hörmann: Der Langlauf ist in Norwegen so populär wie bei uns der Fußball. Das ist eine andere Liga – mit perfektem Mitteleinsatz und dem strategischen Vorteil, dass man sich dort auf zentrale Trainingseinrichtungen fokussiert. Wenn ich auf uns schaue, macht es mir schon Sorgen, was im Vergleich zu zehn, fünfzehn Jahren noch aus Thüringen und Sachsen zu unserer Medaillenausbeute geliefert wird. Es konzentriert sich mehr und mehr auf Bayern und Baden-Württemberg.
Hörmann schaut auf die Uhr. Eine halbe Stunde ist es noch bis zum Staffel-Start der Kombinierer. Olympische Spiele fordern ihn. Aber er sieht den Stress positiv, er belastet ihn nicht. Eher sorgt er sich darum, womöglich einen sporthistorischen Moment zu verpassen. So wie das Gold für das Eiskunstlaufpaar Savchenko/ Massot (da war er beim Abfahrtslauf) oder den Dreifach-Erfolg der Kombinierer beim Wettbewerb von der Großschanze (als er beruflich in Deutschland weilte). Umso glücklicher war der DOSB-Chef, bei den triumphalen Siegen der EishockeyNationalmannschaft gegen Schweden und gegen Kanada zwei große olympische Momente erlebt zu haben. Weil mehr Spannung kaum geht. Und mehr Emotion auch nicht.
Immer wieder gab es Kritik an der fehlenden Atmosphäre bei den Wettkämpfen. Hat sich das IOC mit der Vergabe der Spiele nach Südkorea verzockt? Hörmann: Nein, überhaupt nicht. Ich bin überzeugt, dass die Spiele in Pyeongchang als hoch erfolgreiche in die Geschichte eingehen werden.
Hörmann: Weil die gesamte sportfachliche Konzeption gepasst hat, bis auf ein, zwei kleine Ausnahmen beim Freestyle, wo die Strecken wohl zu schwer waren. Unterbringung und Verpflegung bekommen von den Athleten herausragende Bewertungen, die Organisation hat – mit Ausnahme von kleinen Transportproblemen – am Anfang sehr gut funktioniert. Die Koreaner waren absolut dienstleistungsorientiert und sehr freundlich. Das war schlichtweg vorbildlich.
Hörmann: Jedes Land, jeder Kontinent hat gewachsene Traditionen. Da muss man fair sein und es in Kauf nehmen, dass die Stimmung mal nicht so ausfällt, wie wir es gewohnt sind. Und es steht dem asiatischen Kontinent auch zu, eigene Akzente zu setzen.
Kurz vor dem Ende der Spiele stellt sich die Frage: Was passiert mit den Russen bei der Schlussfeier? Hörmann: Ich war von Anfang an kein großer Freund davon, sie nach dem Dopingskandal zu früh zu rehabilitieren – und jetzt kamen ja während der Spiele noch zwei Dopingfälle dazu. Wenn ich es entscheiden müsste, würde ich noch bis Tokio 2020 warten und zu den Russen sagen: Jetzt beweist die nächsten zwei Jahre, dass die Dinge bei euch ordentlich und sauber laufen. Zumal deren Anerkennung dessen, was passiert ist, ja bis heute fehlt. Sie haben erklärt, die deutschen Olympia-Athleten für sauber zu halten. Spielen Sie mit einer solchen Aussage nicht russisches Roulette?
Hörmann: Ich bin fest davon überzeugt und habe keinerlei Zweifel, dass wir hier mit einem in jeder Hinsicht sauberen Team angetreten sind. Wenn ich nicht davon überzeugt wäre, wäre ich nicht hier. Oder anders gesagt: Wenn ich den pessimistischen Stimmen Glauben schenken würde, dass in jeder Mannschaft 30 bis 40 Prozent der Athleten manipulieren, dann wüsste ich mit meiner Freizeit ein paar bessere Dinge anzufangen, als Verbandspräsident zu sein.
Eine letzte Auszeit. Hörmann sieht aus, als könnte er ein paar Häppchen gut vertragen. Er mag asiatisches Essen, kam aber in Korea nur einmal in den Genuss. In einem kleinen Fischrestaurant am Strand von Gangneung, gemeinsam mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Mit Koreanern gab es nur selten Kontakt, für Kultur blieb gar keine Zeit. Hörmann erlebt die Spiele unter einer Art TeamD-Glocke. Zwischen Wettkämpfen und Weißwürsten im Deutschen Haus, zwischen Goldfeiern und Gesprächen mit Ministern und Staatssekretären.
Es mehren sich die Stimmen, die sich für eine neuerliche deutsche OlympiaBewerbung aussprechen. Sollten Sport und Politik alles auf eine Karte setzen? Hörmann: Es müssen noch viele, viele zusätzliche Stimmen kommen – auch außerhalb des Zeitraums Olympischer Spiele, bis es Sinn macht, dieses Thema wieder aktiv anzupacken. Aber dann herzlich gerne. Aktuell sage ich dazu: Solange sich die Rahmenbedingungen auf internationaler Ebene durch das IOC nicht noch weiter verbessern, wird es unter meiner Führung keinen neuen Vorstoß des DOSB geben.
Würden Sie die Wette wagen, dass Peking 2022 für den deutschen Wintersport ähnlich erfolgreich wird wie Pyeongchang 2018?
Hörmann: Derzeit sicher nicht. Denn wenn wir nicht die Strukturen anpassen und nicht nennenswert mehr Mittel fließen, dann wird das Niveau von Pyeongchang schlichtweg nicht zu halten sein. In den Verhandlungen mit dem Bund steht somit nicht weniger als die Zukunft des deutschen Leistungssports auf dem Spiel.