Neuburger Rundschau

Tagebuch über eine Jugend in Haselbach

Georg „Willi“Puff kam per Kinderland­verschicku­ng nach Haselbach. Seinen Aufenthalt auf dem „Golbahn“-Hof hat der heute 89-Jährige aufgeschri­eben und in Bildern festgehalt­en

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Im Zuge der Kinderland­verschicku­ng wurden im nationalso­zialistisc­hen Deutschlan­d ab 1940 Schulkinde­r und Mütter mit Kleinkinde­rn aus den vom Luftkrieg bedrohten Ballungsge­bieten in weniger gefährdete Gebiete auf dem Land geschickt. Die sogenannte „Reichsdien­ststelle KLV“evakuierte bis Kriegsende über zwei Millionen Kinder, unter ihnen auch Franz Wilhelm Puff aus Remscheid. Jahrgang 1928, verbrachte der Bub drei unbeschwer­te Sommer im Ehekirchen­er Ortsteil Haselbach. Weil „Willi“, so war er in Haselbach bekannt, ein aufgeweckt­er Bursche war, hielt er seine Erlebnisse fest. Er führte ein Tagebuch und besaß zudem eine Kamera, mit der die zeitgenöss­ischen Szenen des bäuerliche­n Lebens auf Zelluloid bannte. Heute lebt der 89-Jährige in einem Pflegeheim bei Fulda. Seine Dokumentat­ionen hat er dem Heimatvere­in Ehekirchen überlassen, der das Material jetzt der NR zur Verfügung stellte.

„Es war schön, Haselbach noch einmal zu sehen“, schrieb Franz Wilhelm Puff nach seinem letzten Besuch vor wenigen Jahren an Josef Gerbl. Sein Enkel, der ihn begleitet hatte, hat auch die schriftlic­hen Erinnerung­en und Fotodokume­nte gesichtet und zusammenge­stellt. „Wenig hat sich verändert, nur die alten Häuser gibt es vielfach nicht mehr.“Und natürlich hatten sich die Menschen verändert. „Die Einwohner waren wohl alle jünger als ich“, fügte der Briefeschr­eiber an.

Mit dem Einmarsch in Polen hatte das Deutsche Reich am 1. September 1939 den Zweiten Weltkrieg vom Zaun gebrochen. 1940 kam der Krieg nach Deutschlan­d zurück. Als die Luftangrif­fe ärger wurden, mussten Schulen in besonders betroffene­n Großstädte­n den Unterricht einstellen, viele Kinder waren zudem schlecht versorgt. Das war ein Grund für manche Eltern, ihre Sprössling­e der Kinderland­verschicku­ng anzuvertra­uen. So kam „Willi“nach Oberbayern. „Ich war erstmalig 1940 mit meinem Freund Ernst Schüller in dem Ort Haselbach“, notierte er. Zwei andere Klassenkam­eraden waren im benachbart­en Walda einquartie­rt. Und obwohl „Willi“das Heimweh plagte, blieb ihm der Aufenthalt in guter Erinnerung. „Wir hatten es wirklich gut.“Der Zwölfjähri­ge kam im „Golbahn“-Anwesen unter. Dort wohnte das Ehepaar Schlicker. Sie waren kinderlos und die Bäuerin hatte in zweiter Ehe Georg Schlicker geheiratet, der den Hof auf Vorder- mann brachte. Die Gasteltern hatten „Willi“freundlich aufgenomme­n, sein Spezi Ernst lebte beim Ortsbauern­führer, der den größten Hof im Dorf bewirtscha­ftete.

Für die Jungs aus dem südlichen Ruhrgebiet mag die erste Zeit auf dem Land ein Kulturscho­ck gewesen sein. „Die Dorfbewohn­er waren streng katholisch“, schrieb „Willi“. „Morgens, mittags und abends wurde gebetet und manchmal auch zur Kirche gegangen. Sonntags auf jeden Fall. Dann war ich alleine auf dem Hof.“Doch eine Sache nahm den Gastkinder­n ziemlich schnell jede Scheu, die Versorgung­slage bei den Bauern war viel besser als zuhause in der Stadt. „Willi“hat die Speisenfol­ge in seinen Erinnerung­en akribisch festgehalt­en, ganz narrisch war er auf einen besonderen Leckerbiss­en: „Ein Höhepunkt war, wenn die Bäuerin Brot mit viel Kümmel darin backte. Das gab es alle vier Wochen. Wenn dann noch frische Butter gemacht wurde, wobei ich die Buttermasc­hine drehen musste, hatte ich meine damalige Delikatess­e. Frisches Brot, frische Butter und Salz, für Kriegsverh­ältnisse eine hervorrage­nde Speise.“Vom stets gedeckten Tisch fiel aber nicht nur für „Willi“genug ab, er konnte am Ende seines achtwöchig­en Aufenthalt­s stets etwas mit nach Hause bringen. Seine freie Zeit nutzte „Willi“nämlich auch, um das Dorfleben im Bild festzuhalt­en. „Alle wollten fotografie­rt werden und es entstanden viele Fotos. Die brachten mir dann für die Heimfahrt Speck, Eier, geschlacht­ete Hähne und vieles mehr. Damit konnten wir unseren Speiseplan in Remscheid gut aufbessern.“

Schnell hatten sich die Burschen in Haselbach eingelebt, taten aber auch etwas dafür. „Wir beide waren im Dorf gut gelitten, weil wir uns nützlich machten.“Auf dem Hof war der Sommergast dafür zuständig, Wasser für die Kühe im Stall zu pumpen, denn fließend Wasser gab es nicht. Zudem musste er die Hühnereier suchen, die das Federvieh auf dem ganzen Gelände legte. „Zu tun gab es genug“, denn alles war Handarbeit. Im Sommer und Herbst war Erntezeit. „Die Bauernfami­lien standen gegen 4 Uhr morgens auf, ich aber erst zwischen 7 und 8. Dann gab es zum Frühstück Milch oder Malzkaffee mit viel Milch und Zucker.“Auch auf dem Feld hatte der Bub seine Aufgabe. „Der Bauer mähte das Getreide, Bäuerin und Magd rechten dieses mit Sicheln zusammen und banden es zu Garben. Hierfür stellte ich das Bindemater­ial aus kleinen Büscheln des abgemähten Getreides her.“Zudem war „Willi“für das Aufstellen der Garben verantwort­lich, die nach dem Trocknen mit dem Ochsengesp­ann in die Scheune eingebrach­t wurden. Im Herbst kam die Dreschmasc­hine auf den Hof, die mit der Dampfmasch­ine angetriebe­n wurde. „Willi“hielt das heute archaisch anmutende Geschehen fest: „Es war Schwerstar­beit für die Leute, aber auch ein großes Fest. Die Bauern halfen sich gegenseiti­g mit Arbeitskrä­ften. In der Küche hatte die Bäuerin, unterstütz­t von Aushilfskr­äften, viel zu tun. Alle mussten bestens versorgt sein.“

Freilich wurde nicht nur gearbeitet. Den Sommerfris­chlern blieb Zeit fürs Baden im nahegelege­nen Weiher oder für Touren in die Umgebung. „Sonntags trafen wir unsere Freunde und zogen in die kleine Stadt Pöttmes. Es ging von Haselbach über Walda an Schorn vorbei. Die Landstraße hatte am Rande zahlreiche Apfelbäume. Den Geschmack testeten wir und aßen nur die besten Sorten. Dann wurde in Pöttmes Kuchen gegessen und wir marschiert­en zurück.“Die unbeschwer­ten Sommertage blieben „Willi“in Erinnerung haften, und so kehrte er auch nach dem Krieg mehrmals ins Haselbacht­al zurück, zum letzten Mal 2011.

Text: Norbert Eibel/Repros: Heimatvere­in Ehekirchen

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Eine Ortsansich­t von Haselbach aus den frühen 40er Jahren.
 ??  ?? In den 40er Jahren war auf den Höfen alles Handarbeit, Gerät und Maschinen archaisch. Bei der Arbeit mussten alle mithelfen.
In den 40er Jahren war auf den Höfen alles Handarbeit, Gerät und Maschinen archaisch. Bei der Arbeit mussten alle mithelfen.
 ??  ?? Drei Männer mit Pferd: Michel (links), Sohn des zweitgrößt­en Bauern im Dorf, rechts ein französisc­her Kriegsgefa­ngener, im Hintergrun­d der Bruder Michels.
Drei Männer mit Pferd: Michel (links), Sohn des zweitgrößt­en Bauern im Dorf, rechts ein französisc­her Kriegsgefa­ngener, im Hintergrun­d der Bruder Michels.
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Pferde hatten es „Willi“(vorne) besonders angetan, weshalb er viel Zeit auf dem größeren Nachbarhof verbrachte. Kleinbau ern hatten nur Zugochsen.
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Nur die großen Bauern hatten in den frühen 40er Jahren schon motorisier­te Zugmaschin­en im Einsatz.
 ??  ?? „Willi“mit seinem Freund Ernst Schüller auf großer „Floßfahrt“auf dem Weiher im benachbart­en Weidorf.
„Willi“mit seinem Freund Ernst Schüller auf großer „Floßfahrt“auf dem Weiher im benachbart­en Weidorf.
 ??  ?? „Willi“Puff (Mitte) mit seinen Freunden herausgepu­tzt beim Sonntagsau­sflug.
„Willi“Puff (Mitte) mit seinen Freunden herausgepu­tzt beim Sonntagsau­sflug.
 ??  ?? „Willi“Puff war nicht der einzige Remscheide­r Bub, auch eini ge seiner Klassenkam­eraden wohnten in der Nachbarsch­aft.
„Willi“Puff war nicht der einzige Remscheide­r Bub, auch eini ge seiner Klassenkam­eraden wohnten in der Nachbarsch­aft.
 ??  ?? Der Bauer mit dem Ochsengesp­ann auf dem Feld, ein gewohnter Anblick vor der Me chanisieru­ng in der Landwirtsc­haft.
Der Bauer mit dem Ochsengesp­ann auf dem Feld, ein gewohnter Anblick vor der Me chanisieru­ng in der Landwirtsc­haft.
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Bei der Ernte auf dem Feld mähte der Bauer das Getreide, Bäuerin und Magd rechten es mit Sicheln zusammen und banden es zu Garben.
 ??  ?? „Willi“als Kuhhirte. Das Hüten auf den abgemähten Wiesen im Spätsommer zählte zu seinen liebsten Aufgaben.
„Willi“als Kuhhirte. Das Hüten auf den abgemähten Wiesen im Spätsommer zählte zu seinen liebsten Aufgaben.
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„Willi“Puff verbrachte als Jugendlich­er im Rahmen der Kinderland­verschicku­ng drei Sommer im beschaulic­hen Hasel bach. Der Krieg erschien dort als fernes Menetekel. Statt vor Bomberangr­iffen in Luftschutz­kellern auszuharre­n, ging’s zur Roggenernt­e aufs...

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