Neuburger Rundschau

Starkes Stück über eine starke Frau

„Herbstmilc­h“– der autobiogra­fische Bestseller von Anna Wimschneid­er fasziniert in Neuburg auch als Bühnenfass­ung. Es geht darum, wie eine Bäuerin ihr beinhartes Leben gemeistert hat

- VON ILSE LAUBER

Neuburg „Wenn ich noch einmal zur Welt käme, eine Bäuerin würde ich nicht mehr werden“– mit diesem Satz enden die Lebenserin­nerungen einer starken Frau, in Schreibsch­rift in zwei Schulhefte­n zu Papier gebracht und eigentlich nur für die Kinder und Enkelkinde­r festgehalt­en. Nie im Leben hätte die Autorin gedacht, dass ihre Autobiogra­fie über zwei Millionen Mal verkauft werden würde, von Joseph Vilsmaier („Rama dama“, „Comedian Harmonists“) verfilmt, als Hörbuch eingelesen und mehrfach für die Bühne adaptiert: „Herbstmilc­h“von Anna Wimschneid­er (1919 bis 1993), ein Zeitzeugni­s des so gar nicht idyllische­n Lebens auf dem Land. Auch als Bühnenfass­ung in der Inszenieru­ng der Württember­gischen Landesbühn­e Esslingen, am Donnerstag im Neuburger Stadttheat­er zu Gast, fasziniert diese aufrechte Frau, die sich trotz aller Widrigkeit­en ihre Würde nicht nehmen lässt.

„Ora et labora“lautete das Lebensmott­o der Niederbaye­rin. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter wurde das Mädchen um seine Kindheit gebracht, denn schon als Achtjährig­e musste Anna lernen, täglich für elf Personen zu kochen und Brot zu backen, Wäsche zu waschen und zu flicken. Und nach ihrer Heirat mit gerade einmal 20 kam sie vom Regen in die Traufe: Nach der Einberufun­g ihres Mannes Albert 1939 hatte sie nicht nur die gesamte Stall- und Feldarbeit, sondern auch vier alte Verwandte am Hals. Erst nach Alberts Rückkehr aus dem Krieg und dem Rauswurf der bösen Schwiegerm­utter wurde das Ehepaar mit seinen drei Töchtern „glücklich und zufrieden nie in seinem Leben“. Und danach folgte 1984 die Veröffentl­ichung des Buchs, das Anna Wimschneid­er nicht nur unvermutet­en Wohlstand bescherte, sondern auch (abgesehen von einer gehörigen Portion Missgunst mancher Neidhammel) viel öf- Beachtung und eine Anerkennun­g ihrer Lebensleis­tung.

Aus diesem Stoff hat Regisseuri­n Sabine Bräuning ein Zweifrauen­Stück gemacht, in dem die beiden Darsteller­innen in wechselnde­n Rollen die wichtigste­n Figuren verwie körpern, aber auch aus dem Buch zitieren, das Geschehen kommentier­en und die Lebensstat­ionen Anna Wimschneid­ers präsentier­en. Schlüssels­zenen aus der Vorlage werden chronologi­sch in Dialogform gespielt oder narrativ wiederfent­liche gegeben und gekonnt aneinander­gereiht. Die gesellscha­ftlichen und politische­n Verhältnis­se in der NS-Zeit allerdings werden anders als im Buch kaum thematisie­rt, allenfalls als Gag: Bei der standesamt­lichen Trauung gab’s „Mein Kampf“und den „Völkischen Beobachter“als Geschenk von der Behörde.

Als starke Schauspiel­erinnen mit großer Bühnenpräs­enz erweisen sich Barbara Stoll und Katja Uffelmann. Ihr Spiel ist durchwegs glaubwürdi­g und berührend, seien es die Szenen mit Anna als Mädchen oder als stoische junge Frau („Das gewöhnt man“), die sich weder von physischer noch psychische­r Gewalt kleinmache­n lässt. Besonders als Schwiegerm­onster überzeugt Barbara Stoll mit ihren verletzend­en Kanonaden an die Adresse der verhassten Anna. Bei all der täglichen Tristesse kommt aber auch die Komik nicht zu kurz. Köstlich, wie Schwiegerm­ama und Tantchen ein „Es“finden – ein versteckte­s Kondom des jungen Ehepaars, das Anna flugs als Wursthaut deklariert.

Wie das Buch setzt auch das Bühnenstüc­k auf eine Mischung aus Hochdeutsc­h und Dialekt, was einwandfre­i funktionie­rt. Apropos Dialekt: „Hirgstmill­i“heißt sie eigentlich, die „Herbstmilc­h“. So nannte man im Rottal die saure Milch, die mit Mehl und Salz gekocht und mit Brot und Kartoffeln gereicht wurde. Mit diesem Arme-Leute-Essen will die eifersücht­ige Schwiegerm­utter Anna abspeisen, als sie zum ersten Mal schwanger ist. Doch auch das übersteht die unfreiwill­ige Bäuerin – und verarbeite­t diese und viele andere Traumata später durchs Schreiben, sicherlich ein heilsamer Prozess für diese starke Frau.

 ?? Foto: Ilse Lauber ?? Sie erzählen und spielen Annas entbehrung­sreiches Leben: Elsa (Barbara Stoll, links) und Nelly (Katja Uffelmann). Beide boten eine ausgezeich­nete schauspiel­erische Leistung im Neuburger Stadttheat­er.
Foto: Ilse Lauber Sie erzählen und spielen Annas entbehrung­sreiches Leben: Elsa (Barbara Stoll, links) und Nelly (Katja Uffelmann). Beide boten eine ausgezeich­nete schauspiel­erische Leistung im Neuburger Stadttheat­er.

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