Und mal wieder ist sie für den Oscar nominiert: Meryl Streep spielt „Die Verlegerin“und spricht über Medien und Geschlechterrollen
Miss Streep, mal kurz vorweg gefragt, weil das Thema in letzter Zeit ja sehr prominent in den Medien war: Wissen Sie eigentlich, ob Ihr Kollege Tom Hanks für „Die Verlegerin“womöglich besser bezahlt wurde als Sie?
Meryl Streep: Ich habe gute Nachrichten: Wir bekamen beide das gleiche Honorar. Wobei ich gestehen muss, dass ich das zu Drehbeginn noch nicht wusste. Ich hatte nicht nachgefragt. Tom und ich haben uns beide erst damit beschäftigt, als es zuletzt medial verstärkt darum ging. Aber keine Frage, das Thema ist wichtig.
Apropos wichtige Themen: Warum ist die Veröffentlichung der PentagonPapiere 1971, um die es im Film geht, auch heute noch eine relevante Geschichte?
Streep: Es geht, vereinfacht gesagt, um die Wichtigkeit des Journalismus. Zeitungen wie die New York
oder eben die Washington Post sind heutzutage eine der letzten Bastionen, was die Wahrheit angeht. Echter Journalismus ist dafür da, uns mit Fakten zu versorgen. Und heute ist es bekanntlich wichtiger denn je, sich auf glaubwürdige Quellen verlassen zu können, wenn wir die Mächtigen dieser Welt zur Verantwortung ziehen wollen.
Macht es Ihnen Angst, was in dieser Hinsicht aktuell vor allem in den USA passiert?
Streep: Diese Menschen mit den „alternativen Fakten“versuchen, die Realität so lange zu massieren und zu bearbeiten, bis sie eine Gestalt angenommen hat, die mit unserer eigenen Wahrnehmung kaum noch etwas zu tun hat. Ich halte das für noch viel gefährlicher als einfach nur Lügen. Das Gerede von der „Lügenpresse“unterminiert die Wahrheit – und die Institutionen, auf die wir uns in Sachen Wahrheit immer verlassen konnten.
Die von Ihnen gespielte Katharine Graham war die erste weibliche Zeitungsverlegerin der USA. Was macht diese Frau für Sie aus?
Streep: Graham war es gewohnt, sich auf Männer zu verlassen. Als einzige Frau in einer solchen Position war sie natürlich umgeben von Männern, die ihr Ratschläge gaben. Und an denen orientierte sie sich auch. Ausgerechnet die Entscheidung im Fall der Pentagon-Papiere traf sie allerdings ganz alleine. Ich glaube, unser Film zeigt ganz gut, wie wichtig dieser Moment der Selbstermächtigung sowohl für sie persönlich als auch für Frauen allgemein war. Diese Zurückhaltung obwohl sie eigentlich am Ruder sitzt – konnten Sie die nachvollziehen?
Streep: Auch ich selbst habe, wie so viele Frauen, eine Art eingebaute Vorsicht, wenn es darum geht, Entscheidungen zu treffen. Männer und Frauen verhalten sich ja, wie auch Studien bestätigen, unterschiedlich, wenn es darum geht, Risiken einzugehen. Das habe ich oft selbst beobachtet: Wo Männer viel eher bereit sind, sich Hals über Kopf auf etwas einzulassen, wägen Frauen viel mehr ab und gehen vorsichtiger vor.
Eine Frage des Naturells?
Streep: Nein, wir Frauen haben nur verinnerlicht, dass wir mit einem ganz anderen Maß gemessen werden als Männer. Männer dürfen Fehler machen. Sie dürfen dick auftragen und dann wieder einen Rückzieher machen. Wird ihnen verziehen, dann bekommen sie die nächste Chance, neue Fehler zu machen. Diesen Luxus haben Frauen in der Regel nicht. Auch wenn ich hoffe, dass sich das auf lange
Sicht ändert.
Der deutsche Filmtitel rückt Graham besonders ins Zentrum. Ist „Die Verlegerin“für Sie auch ein Film über Frauen in Führungspositionen? Streep: Auf jeden Fall. Vor allem über eine Frau in dieser Position im Jahr 1971. Damals saßen keine Frauen an der Tischen, an denen die Entscheidungen getroffen wurden.
Außer eben ihnen gehörten diese Tische. So war es bei Graham: Ihr gehörte der Tisch, das Gebäude, die Zeitung. Und trotzdem wagte es ihr Angestellter, zu ihr zu sagen, sie solle ihn in Frieden lassen und sich in gewisse Dinge nicht einmischen. Wäre die Situation umgekehrt gewesen und eine Angestellte hätte das zu ihrem männlichen Boss gesagt, wäre sie mutmaßlich gefeuert worden. Dass Graham so begegnet wurde und sie sich das gefallen ließ, sagt viel über die Situationen von Frauen damals aus, selbst in der Chefetage.
Sieht die Sache heute anders aus? Streep: Das würde ich schon sagen. Aber die Veränderung ist noch lange nicht abgeschlossen. Die Männer sind immer noch dabei, eine andere Art des Umgangs und des Zuhörens zu lernen. Und wir Frauen müssen immer noch selbstbewusster im Umgang mit Macht werden, um uns besser durchzusetzen.
Sind Sie Graham eigentlich je begegnet?
Streep: Leider nicht. Aber ich habe das Gefühl, sie gekannt zu haben, denn ihre unter dem Titel „Personal History“(dt.: „Wir drucken! Die Chefin der erzählt die Geschichte ihres Lebens“) erschienenen Memoiren waren meine Bibel für diesen Film. Ich würde sagen, dass ich nie eine bessere Autobiografie gelesen habe, egal ob von Männern oder Frauen. Das Buch ist unglaublich gut geschrieben und enorm persönlich und offenherzig. Es beschreibt eine Zeit, in der sich die USA komplett verändert haben – und schreckt auch nicht davor zurück, persönliches Scheitern und Unsicherheiten zu thematisieren. Es ist kein Wunder, dass sie dafür mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde.
Noch eine letzte Frage, um noch einmal den Bogen zurück zu Ihrem Filmpartner Tom Hanks zu schlagen. Sie beide gehören seit Jahrzehnten zu den erfolgreichsten Schauspielern Hollywoods. Wie kommt es eigentlich, dass Sie vor „Die Verlegerin“nie zusammen einen Film gedreht haben? Streep: Es ist nicht so, dass wir uns nie begegnet wären. Wir hatten zwei sehr enge gemeinsame Freunde, nämlich Nora Ephron und Mike Nichols. Dass die beiden uns so viel bedeutet haben, hat uns immer irgendwie verbunden. Aber dass wir nie zusammen gedreht haben, hat sicherlich vor allem damit zu tun, dass ich einfach zu alt bin für ihn (lacht). Im Ernst. Die meisten Männer, mit denen ich vor der Kamera stand, waren 20 Jahre älter als er. Und seine Filmpartnerinnen deutlich jünger als ich. In Hollywood beträgt der Altersunterschied zwischen uns beiden also nicht sieben Jahre, sondern eher 40! Interview: Patrick Heidmann
Mitarbeit: Eduardo Graça