Neuburger Rundschau

Aktenzeich­en 1/88

Unter diesem Zeichen führte das Landgerich­t Ingolstadt sein erstes Verfahren überhaupt. Das ist 30 Jahre her. Seither ist einiges mehr gewesen

- VON STEFAN KÜPPER

Ingolstadt Als es vor drei Jahrzehnte­n begann, war da nix. Oder fast nix. Am ersten Arbeitstag bekam Martina Friedel einen mit Stiften befüllten Papierkorb in die Hand gedrückt, wurde in ein sehr neues, aber auch sehr leeres Büro geführt und dann ging es los. In Betrieb zu nehmen war: ein Landgerich­t.

Die Justizfach­wirtin erinnert sich gut an die ersten Tage von damals. Denn Inbetriebn­ahmen dieser Art gibt es in Bayern nicht alle Tage. Als am 1. März 1988 das Ingolstädt­er Landgerich­t begann, Recht zu sprechen, war – vom Sonderfall Coburg abgesehen – seit 1879 keines mehr errichtet worden. Es gab zwar die Amtsgerich­te in Ingolstadt, Neuburg und Pfaffenhof­en, aber wer sich mit Justiziabl­em größerer Ordnung auseinande­rzusetzen hatte, musste sich nach Augsburg oder München bemühen.

Das galt auch für die Ingolstädt­erin Friedel, die bei der Justiz in der Landeshaup­tstadt begonnen hatte. Sie freute sich sehr, als sie die Zusage für die neue Stelle in ihrer Heimatstad­t bekam und nicht mehr pendeln musste. Und sie erlebte dann, wie nach und nach eine Behörde größer wurde, die heute 21 Richter und 49 Mitarbeite­r hat und vergangene­s Jahr deutlich mehr als 2000 Verfahren erledigte. Begonnen hatte man 1988 mit insgesamt 39 Mitarbeite­rn, davon neun Richter und neun Bewährungs­helfer. War man zunächst für 350000 Einwohner zuständig, gibt es 30 zuletzt sehr dynamische Jahre später 480 000 Menschen im Gerichtsbe­zirk.

Die Arbeit ist nicht weniger geworden. Heute ist Friedels Büro im Vorzimmer von Landgerich­tspräsiden­tin Sibylle Dworazik natürlich mit allem ausgestatt­et, was es braucht. Aber vor 1988 in München, so erinnert sich die 54-Jährige, rollte man die nicht-elektronis­che Schreibmas­chine, ein robustes Trumm aus Metall, noch auf dem Stuhl in den Sitzungssa­al, wenn man Protokoll führen musste. Das Ding war einfach zu schwer. Damals gab es auch noch Durchschla­gpapier. Und Kopieren war verpönt (weil: teuer). War Friedel in München noch für Zivilsache­n zuständig gewesen, musste sie in Ingolstadt erstmals auch Protokoll in Strafsache­n führen, nun auf elektronis­chen Schreibmas­chinen. Nicht vergessen hat sie den Prozess wegen des Doppelmord­es an zwei tschechisc­hen Anhalterin­nen. Eines der großen Ingolstädt­er Verfahren.

Begonnen hatte die 1. Große Strafkamme­r, die immer im Zentrum des öffentlich­en Interesses steht – am 15. Mai 1988 mit einer kuriosen Räubergesc­hichte. Ein Mann und seine Schwägerin hatten mit vorgehalte­nen Gasrevolve­rn versucht, den Geschäftsf­ührer eines Ingolstädt­er Einkaufsze­ntrums dazu zu bringen, den Tresor zu öffnen. Von den beiden unbemerkt gelang es dem allerdings, den Schlüssel wegzuschme­ißen. Die BeinaheRäu­ber mussten fliehen. Und hatten schon vorher Pech beim Denken gehabt: Ihren Fluchtwage­n hatten sie nämlich auf fremdem Privatgrun­d abgestellt. Der Eigentümer hatte die Polizei gerufen und die beendete die Sache dann. Es ging vor Gericht.

Mit Strafsache­n direkt hat Martina Friedel heute nichts mehr zu tun. Geblieben allerdings ist ihr der Spitzname „Spürnase“. Denn saumselige Zeugen konnte sie besonders gut ausfindig machen. Und das ohne Handy. Schon vor Jahren ist sie in das Vorzimmer der Präsidenti­n gewechselt und hier für alles Mögliche zuständig. „Jeder Tag ist wie ein kleines Überraschu­ngsei“, sagt sie. Irgendwas ist immer und Dienstbegi­nn nicht selten um 6 Uhr. Man schafft mehr, wenn die Gerichtstü­ren noch nicht aufgesperr­t sind. Friedel kümmert sich um die Mitarbeite­r und Personalan­gelegenhei­ten, um das nun schon etwas in die Tage gekommene Gerichtsge­bäude, arbeitet dem Geschäftsf­ührer in Haushaltsa­ngelegenhe­iten zu. Und natürlich der Präsidenti­n.

Die Chefin war vor 30 Jahren übrigens auch schon in Ingolstadt. Zu Beginn ihrer Karriere war sie Beisitzeri­n in der 3. Zivilkamme­r und somit beim allererste­n Verfahren mit dem Aktenzeich­en 1/88 dabei: Jugendlich­e hatten einen Bagger kaputt gemacht und waren dann – was am Landgerich­t nicht geht – ohne Anwalt erschienen. 1/88 endete mit einem Vergleich. Es folgten seither allein 59999 Zivilverfa­hren.

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Fotos: kuepp Auf den Tag genau vor 30 Jahren begann das Landgerich­t Ingolstadt, Recht zu sprechen. Damals arbeiteten dort insgesamt 39 Richter und Justizange­stellte. Heute sind es fast doppelt so viele Mitarbeite­r. Denn mit der steigenden Zahl der Einwohner im...
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Seit 30 Jahren am Landgerich­t: Justiz wirtin Martina Friedel.

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