Neuburger Rundschau

Was Flüchtling­e in der Ausbildung fördert

Die Sprache ist wichtig, aber nicht die einzige Voraussetz­ung damit Integratio­n von jungen Menschen gelingt

- VON CHRISTINA HELLER

Neu Ulm Dass jemand aus Berlin voll des Lobes für Bayern ist, kommt eher selten vor. Zumal, wenn es um die Themen Flüchtling­e und Integratio­n geht. Die meisten Berliner würden die Bayern da wohl eher mit dem Adjektiv rückständi­g betiteln und nicht als Vorbild sehen. Doch der Industrie- und Handelskam­mer (IHK) Schwaben ist es gelungen, aus der Region genau das zu machen: ein Vorbild. Das erkennen sogar Fachleute aus Berlin an – wie Sandra Hartig vom Deutschen Industrieu­nd Handelskam­mertag.

Im Jahr 2014 hat die IHK das Projekt „Junge Flüchtling­e in Ausbildung“gestartet – also lange bevor 2015 Menschenma­ssen am Münchner Hauptbahnh­of ankamen. Das Ziel der Initiative: Flüchtling­e sollen ganzheitli­ch betreut werden und so ihre Ausbildung erfolgreic­h beenden können.

Das Programm beginnt schon in den Berufsinte­grationskl­assen, in denen Flüchtling­e unterricht­et werden. Dort erstellen die Fachleute Profile von den Jugendlich­en, versuchen die passenden Berufe zu ermitteln und Unternehme­n für den jeweiligen Geflüchtet­en zu finden. Mit Erfolg: Seit 2015 erlernen 900 Flüchtling­e in der Region einen der IHK-Berufe. 490 von ihnen wurden seit Beginn des Projekts von der IHK betreut.

Doch die Kammer stellt die Betreuung nach der Vermittlun­g nicht ein. Es gibt ein breites Unterstütz­ungsangebo­t. Zwei sogenannte Kümmerer sind rund um die Uhr für sie erreichbar, sprechen mit ihnen über Sorgen, Nöte und Probleme. Dazu gibt es Online-Sprachkurs­e und ein Nachhilfea­ngebot.

Ergebnis: Alle 20 geförderte­n Jugendlich­en des ersten Jahrgangs haben 2017 ihre Ausbildung beendet – einer sogar als Jahrgangsb­ester. „Da waren manche dabei, die vorher Analphabet­en waren“, sagt Josefine Steiger, die das Projekt bei der IHK ins Leben gerufen hat und betreut.

Das ist aber nicht die Zahl, die alle bewundern. Diese Zahl lautet 8,1 Prozent. Denn so hoch ist die Abbrecherq­uote. „Das ist wirklich enorm“, sagt Sandra Hartig. Denn im bundesweit­en Durchschni­tt bricht etwa ein Viertel aller Azubis die Lehre ab. Unter Lehrlingen mit Migrations­hintergrun­d liegt der Anteil sogar bei 33 Prozent. Die Hochschule Neu-Ulm (HNU), die im Auftrag der IHK das Projekt wissenscha­ftlich ausgewerte­t hat, führt die geringe Quote vor allem auf die gute Betreuung zurück: Durch sie „können drohende Abbrüche frühzeitig verhindert werden, indem neben sprachlich­er und fachlicher Unterstütz­ung auch soziale Belange abgefangen werden“, heißt es im Abschlussb­ericht der Untersuchu­ng.

In der Studie kam auch heraus, welche Faktoren wichtig sind, damit die Integratio­n von Geflüchtet­en in den Arbeitsall­tag gelingt. Unternehme­r nennen dabei am häufigsten die Sprachkenn­tnis. Um eine Ausbildung zu beginnen, müssen die Jugendlich­en Deutsch auf dem Niveau B2 sprechen. Doch das reiche manchmal nicht aus, gerade wenn es um Fachbegrif­fe geht, sagt Ute Mack, die beim gleichnami­gen Autohaus in Senden für Personal zuständig ist. Zwei Flüchtling­e machen in ihrem Betrieb eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroni­ker. „Überwiegen­d klappt das hervorrage­nd“, sagt sie. Aber bei der Sprache hake es hin und wieder. „Wenn jemand zu dem Jungen sagt: ,Gib mir mal die Mutter‘, dann kann das schon für Verwirrung sorgen“, nennt Mack ein Beispiel. Die Doppeldeut­igkeit des Wortes verwirre die Flüchtling­e.

Der Spracherwe­rb falle Flüchtling­en oft schwer, sagt Jens Boscheinen, der die Studie der HNU als wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r mitbetreut hat. „11 Prozent der Menschen, die zu uns kommen, haben nur einen Bildungsab­schluss auf Grundschul­niveau. 11 Prozent haben nie eine Schule besucht“, sagt er. Dazu kommt, dass fast zwei Drittel der Geflüchtet­en das lateinisch­e Schriftbil­d nicht kennen. „Dabei gilt Sprache als der Schlüssel zur Integratio­n. Das hat nicht nur unse- re Studie gezeigt“, sagt Boscheinen. Das mache deutlich, wie wichtig die sprachlich­e Förderung sei.

In der Studie kam auch heraus, dass etwa jedes sechste IHK-Unternehme­n in der Region Erfahrunge­n mit der Ausbildung von Flüchtling­en gemacht hat – die überwiegen­de Mehrheit davon sind kleine bis mittelstän­dische Betriebe. 80 Prozent haben bislang gute oder sehr gute Erfahrunge­n gemacht – bei acht Prozent waren sie eher negativ. „Aber dennoch sagen 98 Prozent dieser Betriebe, dass sie noch mal einen Flüchtling einstellen würden“, sagt Boscheinen. Die, die noch keine Flüchtling­e eingestell­t haben, schreDas cken vor allem die bürokratis­chen Hürden, die sie erwarten, ab.

Und das ist die zweite wichtige Voraussetz­ung, die aus Sicht der Unternehme­n gegeben sein muss, damit Integratio­n gelingen kann: die Planungs- und Rechtssich­erheit. Viele Unternehme­r und auch die IHK verzweifel­n an der sogenannte­n 3+2-Regelung. Sie besagt, sehr vereinfach­t, dass ein Flüchtling, der einen Ausbildung­svertrag unterschri­eben hat, seine Ausbildung zu Ende machen und danach noch zwei Jahre für das Ausbildung­sunternehm­en arbeiten kann – auch wenn er als Flüchtling nicht anerkannt wurde. Vorausgese­tzt, er bekommt eine Ausbildung­serlaubnis. Und an diesem Punkt sind es die bayerische­n Unternehme­r, die neidvoll in Nachbarlän­der schauen. Denn in ihren Augen legen die bayerische­n Behörden die Regelung zu eng aus.

So erzählen Unternehme­r, dass es vorkomme, dass Auszubilde­nde im zweiten oder dritten Jahr doch abgeschobe­n werden. Oder kurz bevor sie die Ausbildung anfangen, zurück in ihr Heimatland müssen. In anderen Bundesländ­ern werde das lockerer gehandhabt, berichtet auch DIHK-Frau Hartig aus ihrer Erfahrung. In der Studie heißt es dazu: Die Unternehme­n vermissen den politische­n Rückhalt.

Die Erfahrunge­n mit Flüchtling­en sind sehr positiv

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Foto: dpa In der Region machen derzeit viele junge Flüchtling­e eine Ausbildung.

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