Neuburger Rundschau

Man nennt sie die Frau der Herzen

Spanien ist europaweit Vorbild bei der Organspend­e. Das liegt besonders an einer Ärztin. So funktionie­rt das System

- VON RALPH SCHULZE

Madrid Nirgendwo werden mehr Organe gespendet als in Spanien. Nahezu fünf Mal mehr als in Deutschlan­d sind es – und mehr als doppelt so viel wie im EU-Durchschni­tt. Und das ganz ohne Organspend­erausweise, millionens­chwere Werbung und kontrovers­e öffentlich­e Debatten. Die Frau, die entscheide­nden Anteil daran hat, heißt Beatriz Domínguez-Gil. Frau der Herzen, wird sie auch manchmal genannt. Die spanische Ärztin ist seit Mai 2017 Chefin der staatliche­n Transplant­ations-Organisati­on ONT. Nun konnte sie sich über eine neue Bestleistu­ng freuen: Die Zahl der Organspend­er wuchs 2017 erneut um acht Prozent. Damit kommen 46,9 Spender auf eine Million Einwohner. In Deutschlan­d sind es der Stiftung für Organtrans­plantation in Frankfurt zufolge nur 9,7 Spender pro einer Million Bürger – Tendenz sinkend.

Doch die gelernte Nierenärzt­in Domínguez-Gil will sich nicht auf den Erfolgen der 1989 gegründete­n ONT ausruhen. Denn die Warteliste von Patienten, die ein lebenswich­tiges Organ brauchen, wird in Spanien zwar kürzer, aber Ende 2017 standen immer noch 4896 Menschen darauf. „Wir können in Zukunft auf eine Spenderquo­te von über 50 pro Million Einwohner kommen“, prophezeit die ONT-Direktorin optimistis­ch. Die EU und die Weltgesund­heitsorgan­isation empfehlen ihren Mitgliedst­aaten schon länger, das spanische Modell zu kopieren. Ein erster Reformschr­itt könnte ein unbürokrat­isches Organgeset­z sein, wie es in Spanien existiert: Dort wird jeder als potenziell­er Spender angesehen, der nicht ausdrückli­ch widersproc­hen hat. Aber es wird auch bei dieser Widerspruc­hslösung immer ein Einverstän­dnis eingeholt: Soweit der Patient nicht mehr befragt werden kann, haben die Angehörige­n das letzte Wort. Die wenigsten lehnen die Spende ab: Nur rund 13 Prozent der betroffene­n Familien stimmten 2017 einer Organentna­hme nicht zu. Eine weitere Praxis der Spanier erleichter­t die Organentna­hme: Dort können bereits nach einem irreversib­len Herzkreisl­aufstillst­and, nach dem also alle Wiederbele­bungsversu­che erfolglos blieben, Organe entnommen werden. In Deutschlan­d etwa ist das erst nach dem Hirntod möglich. Ethisch ist der richtige Zeitpunkt heftig umstritten.

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Foto: R. Schulze Ärztin Beatriz Domínguez Gil koordi niert die Organspend­e.

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