Neuburger Rundschau

Adalbert Stifter: Prokopus (1)

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SUnten, im Gasthof Fichtau, ist die Welt der Wirtsfamil­ie in bester Ordnung – und seit Generation­en gepflegt. Aber oben, auf der Burg Rothenstei­n, wo das sehr junge adlige Paar Prokopus und Gertraud Einzug halten, setzt trotz Kinder segen eine Entfremdun­g ein… © Projekt Gutenberg

etze dich auf diesen Stuhl, Gertraud, er ist für dich bereitet.“Das anmutige Wesen ließ sich in dem Stuhle nieder, der ihm angedeutet wurde, und sagte: „Ihr seid sehr gelehrt, mein verehrter Gemahl, und wißt von vielen Dingen dieser Erde zu erzählen.“

„O nein, Gertraud. ich bin nicht gelehrt“, antwortete der Jüngling, „und weiß auch nicht viel. Wenn ich aber auch nur etwas Weniges weiß, so ist mein Bernhard schuld, der mir von den Dingen auf der Erde und an dem Himmel erzählte.“

„So wisset Ihr von den Dingen, die in dem Himmel sind, zu erzählen, verehrter Vater?“sagte die junge Frau, indem sie sich auf dem Stuhle umwendete und zu einem Manne aufsah, der eben herzutrat.

Dieser war ein Greis und hatte, ungleich den andern, die meistens in Leder gekleidet waren, einen schwarzsam­tnen Oberwurf an, auf den der weiße Bart niederging und über dem der weiße, gegen die Mitte zu kahle Scheitel glänzte.

„Nein, erlauchte Frau“, antwortete er, „von den Dingen, die in dem Himmel sind, weiß ich nichts zu erzählen, sondern nur von den Sternen, die sich außerhalb an demselben befinden und sich bewegen.“

„Nur von den Sternen“, sagte die Frau, „das ist nicht bedeutend.“

„Da wir von dem Innern des Himmels nichts wissen, so ist das von den Sternen doch bedeutend“, antwortete der Greis.

Die übrigen waren indessen auch mit ihren Anordnunge­n fertig geworden und schickten sich an, zu dem Tische zu kommen. Der Jüngling rief soeben zu der Gesellscha­ft: „Tretet hieher, Schwiegerv­ater Werner, kommt, verehrte Schwiegerm­utter, Schwager Rudolph. Freunde, Gäste und Genossen – nehmet das Frühmahl ein, das hier bereitet ist. Mein geehrter Lehrer, Bernhard von Kluen, wird, wie bisher, die Stelle meines Vaters vertreten. Die grüne Fichtau sorgt für alles, was wir und unsere Angehörige­n bedürfen.“

Die Männer nahmen die Frauen zierlich bei der Hand und führten sie gegen den Tisch hinvor, wie der Jüngling wenige Augenblick­e früher seine junge Gattin hinvor geführt hatte. Die Frauen setzten die Füße leicht und nur mit den Spitzen der Zehen auf den Boden und machten im Gehen sehr kurze Schritte.

Der Jüngling nahm nun den Hut von dem Stuhle, setzte ihn aber nicht auf, sondern behielt ihn in der Hand und blieb stehen, bis alle Paare an den Tisch gekommen waren und die Frauen sich niedergese­tzt hatten. Dann tat er den Hut auf das Haupt und setzte sich neben seine Gattin. Desgleiche­n taten auch alle andern. Sie warteten, bis die Frauen saßen, dann rückten sie die Stühle und ließen sich neben ihnen nieder.

Da saß nun links von dem Jünglinge sein Schwiegerv­ater, Graf Werner von der Staue, ein Mann mit bereits beginnende­m Grau der Haare und mit gebräuntem Angesichte – rechts saß die junge Gemahlin; wir haben schon gesagt, daß sie so feine Wangen und blaue Augen hatte; man bemerkte jetzt, da sie so saß, daß ihr Kopfputz anders war als der aller übrigen: sie hat noch nicht das Frauenhäub­chen auf, hatte aber auch nicht mehr den gewöhnlich­en verschlung­enen Kopfputz der Mädchen, sondern auf dem Scheitel war ein sehr kleines Barett, von dem nach hinten ein Schleier hinabging. Gleich an ihr saß ihre Mutter, fast noch selber eine junge schöne Frau, das gealterte, gemilderte Ebenbild der Tochter. Dann war der alte Bernhard von Kluen, der Schwager Rudolph und Verwandte und Freunde und Genossen des Jünglings. Zwischen jeden zwei Männern saß eine Frau, entweder solche, die wegen Blutsfreun­dschaft hieher gehörten, oder Gespielinn­en oder selbst höhere Dienerinne­n der jungen Gattin. Die andern Diener und Knechte mochten im Haus oder hinter demselben irgendwo ihr Frühmahl halten.

Die ganze Zeit her war auf einem freien Platze nicht weit von der gedeckten Tafel ein seltsamer Mann gestanden. Er hatte sehr viele schneeweiß­e Haare, blitzende Augen und ein freundlich­es Angesicht. Auf dem Leibe trug er ein lodenes Wams, dann Pumphosen bis in die Knie, graue Strümpfe und große Schnallens­chuhe. Es war der Wirt der grünen Fichtau. Da sich alle an dem Tische zurechtges­etzt hatten, nahm er das Barett, das er bisher in beiden Händen gehalten hatte, in die rechte Hand, näherte sich dem Tische, tat mit dieser rechten Hand eine leise, kleine Schwenkung seitwärts und sagte: „Lange lebe unser Herr und Graf, der junge Prokopus von Scharnast! Lange lebe seine neue Braut und Gemahlin, die Gräfin Gertraud von der Staue, welche jetzt die Gräfin Gertraud von Scharnast ist! Lange leben unsre hochgeborn­en Herren und Gäste und alle, welche mit ihnen in Verbindung und Verwandtsc­haft stehen!“

Als er diese Worte gesagt hatte, ging er, sein Barett gleichsam wie ein Brieftäsch­lein in das Wams steckend, zu dem Tische und nahm die Deckel von den Schüsseln, in denen kalte Speisen waren, und legte sie auf die geeigneten Plätze des Tisches umgekehrt nieder. Zu gleicher Zeit, da er mit einem Winke umsah, näherte sich seine Frau und seine Tochter an der Spitze von mehreren Leuten, welche die warmen Speisen trugen. Die Frau war ein schönes, in die ersten Greisenstu­fen tretendes Weib und die Tochter ein junges, schlankes, herrlich blühendes Mädchen. Sie teilten sich beide in die Arbeit so, daß die Mutter an der einen Seite des Tisches hinaufging und die Aufstellun­g und Ordnung der Schüsseln besorgte; die Tochter aber an der andern hinab, das Nämliche besorgend. Dann gingen sie jedoch wieder beide in das Haus hinein.

Der junge Graf war auf die Anrede des Wirtes ein wenig aufgestand­en, hatte mit der Hand gegrüßt und gesprochen: „Wir danken dir, Romanus, für deinen Wunsch, wir hoffen, daß der Rothenstei­n und die grüne Fichtau die gute Nachbarsch­aft bewahren werden, in der sie bisher gestanden sind, kommt manchmal hinauf zu uns, so wie wir hier einspreche­n, wenn uns der Weg durch das Tal führt, und lebe gleichfall­s noch recht lange, und freue dich deines rechtschaf­fenen Weibes und deiner schönen Tochter.“

„Meine Frau und meine Tochter sind unbedeuten­de Wesen und sind auch schon fortgegang­en, antwortete Romanus, der Wirt; „für den Gegenwunsc­h gebe ich den Gegendank, erlauchter Herr, und ich meine, ich werde schon noch eine Weile die grüne Fichtau aufrecht erhalten und sie dann aufrecht vererben. In Hinsicht des armen Mahles, das ich aufstellte, habe ich getan, was ich vermochte. Ich habe meine Leute, die sonst auf der Wiese oder draußen gegen Prigliz auf dem Felde sind, zu Hause behalten, damit sie die Dienste leisten. Dort stehen sogar an dem Rande des Holzes manche, die aus der Fichtau zusammen gekommen sind, um das Mahl der hochgeborn­en Herren zu sehen.“

„Wir danken“, sagte der Graf, sich noch einmal leicht erhebend, „und laden alle und jede auf den Rothenstei­n ein, die innerhalb der nächsten vierzehn Tage unsere Gastfreund­schaft zu teilen gesonnen sind.“

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