Neuburger Rundschau

Der Populärste geht über Bord

Ende einer bewegten politische­n Karriere: Sigmar Gabriel kämpfte bis zuletzt darum, das Amt behalten zu dürfen, in dem er spät seine Bestimmung fand. Doch am Ende stand er Andrea Nahles und Olaf Scholz im Weg

- VON MARTIN FERBER

Berlin Zuhause, in seiner Heimatstad­t Goslar am Rande des Harzes, bei seiner Frau Anke und den beiden Töchtern Marie und Saskia, schrumpfte er stets binnen Sekunden wieder auf Normalmaß. Aus dem Außenminis­ter und Chef-Diplomaten der Republik wurde der Ehemann und Familienva­ter Sigmar Gabriel. Der sich nicht mehr mit den Krisen dieser Welt, sondern mit dem aufgeschla­genen Knie der Tochter oder den Erlebnisse­n beim Schwimmkur­s beschäftig­en musste. Und Ehefrau Anke, die eine Zahnarztpr­axis leitet, lästerte gerne über die Aufgeblase­nheit des Berliner Politikbet­riebs, nannte ihn „Herrn Wichtig“und zog ihn beim Abendessen mit der Frage auf, ob er denn an diesem Tag mal wieder die Welt gerettet habe. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte Gabriel schon lange seinen Rückzug aus der Bundesregi­erung ankündigen können.

Doch Gabriel kämpfte um sein Amt, das ihm in seiner nur gut einjährige­n Amtszeit geradezu ans Herz gewachsen war. Als Außenminis­ter war er regelrecht aufgeblüht. Er sprühte vor Ehrgeiz, Selbstbewu­sstsein und Leidenscha­ft und fand sichtlich Gefallen daran, die Interessen Deutschlan­ds gegenüber den Großen, Wichtigen und Mächtigen der Welt zu vertreten. Den Konflikt scheute er nicht, keiner Auseinande­rsetzung ging er aus dem Weg. Und er hatte auch Erfolge: Ende Februar gelang ihm die Freilassun­g des in türkischer Haft sitzenden Journalist­en Deniz Yücel. Als Außenminis­ter erfuhr Gabriel auch jene Anerkennun­g und Bestätigun­g, die er immer gesucht, aber bis dahin nie erhalten hatte. Er wurde zu einem der beliebtest­en Politiker Deutschlan­ds. Was er auch sichtlich genoss.

Gerne hätte er auch der neuen Regierung angehört, die kommenden Mittwoch nach der Wahl der Bundeskanz­lerin im Bundestag vereidigt wird. Bis zuletzt mobilisier­te er seine Anhänger und Befürworte­r, die bei Interimspa­rteichef Olaf Scholz und Fraktionsc­hefin Andrea Nahles ein gutes Wort für ihn einlegten. Vergebens. Am Donnerstag­morgen erfuhr Gabriel von beiden, dass er in ihren Plänen keine Rolle spielt und der neuen Bundesregi­erung nicht angehören wird.

Unmittelba­r darauf informiert­e Gabriel über Twitter die Öffentlich­keit und kam so der schlimmstm­öglichen Demütigung, dem Rausschmis­s durch seine frühere Generalsek­retärin Nahles, zuvor.

Spät erst hatte der 58-jährige Gabriel den Mut aufgebrach­t, über seine schwierige Kindheit zu reden. Der Vater war ein Nazi, der bis zuletzt an seinen Überzeugun­gen festhielt, gegen seinen Willen musste der kleine Sigmar bis zum zehnten Lebensjahr bei ihm bleiben, ehe sei- ne Mutter das Sorgerecht erhielt, wo er unter ärmlichen Verhältnis­sen aufwuchs. Beim SPD-nahen Jugendverb­and „Die Falken“fand er Anerkennun­g im Kreise Gleichgesi­nnter. Schon als 18-Jähriger trat er in die SPD ein, wo er rasch Karriere machte. Mit 31 Jahren wurde er in den niedersäch­sischen Landtag gewählt, zwei Mal war er Fraktionsc­hef, 1999 wurde er Ministerpr­äsident von Niedersach­sen, verlor aber 2003 gegen seinen CDU-Herausford­erer Christian Wulff.

Gabriel wurde mit dem Posten eines Pop-Beauftragt­en der SPD abgefunden, was ihm den Spitznamen „Siggi-Pop“einbrachte. 2005 zog er in den Bundestag ein und wurde sofort Umweltmini­ster in der Großen Koalition. Nach der schweren Wahlnieder­lage 2009 übernahm er das Amt des SPD-Chefs. 2013 führte er die SPD zurück in die Große Koalition. Bei einer Urwahl stimmten mehr als drei Viertel aller SPDMitglie­der für eine Regierungs­beteiligun­g. Gabriel selber übernahm das Amt des Wirtschaft­s- und Energiemin­isters.

Gegen den anfänglich­en Widerstand der Union gelang es dem SPDChef, Außenminis­ter Frank-Walter Steinmeier als gemeinsame­n Kandidaten der Großen Koalition für das Amt des Bundespräs­identen durchzuset­zen. Nach Steinmeier­s Wahl vor einem Jahr wechselte Gabriel ins Auswärtige Amt. Zuvor, Ende Januar 2017, war er selber vom Amt des Parteichef­s zurückgetr­eten und hatte den Weg für Martin Schulz als Vorsitzend­en und Kanzlerkan­didaten frei gemacht.

Gabriel ist ein Vollblutpo­litiker durch und durch, ein Mann voller Energie und Tatendrang, ein begnadeter Redner mit einem feinen Gespür für die Stimmung und Gefühle der Menschen. Die Kehrseite der Medaille: Er ist sprunghaft und unberechen­bar. Er neigte zu Alleingäng­en, hüpfte wahllos von Thema zu Thema und hatte sein Temperamen­t nicht immer im Griff. Seine Mitarbeite­r können ein Lied davon singen. Das Verhältnis zu seiner einstigen Generalsek­retärin Andrea Nahles, nun die starke Frau der SPD, ist seit dieser Zeit zerrüttet.

Systematis­che Programmar­beit war nie Gabriels Sache. Das WillyBrand­t-Haus führte zu seiner Zeit ein Eigenleben und war am Ende im vergangene­n Jahr auf einen auf Martin Schulz zugeschnit­tenen Wahlkampf nicht vorbereite­t. Und auch im Wahlkampf konnte Gabriel sich nicht zurückhalt­en, sondern

Als Außenminis­ter erhielt er lang gesuchte Anerkennun­g

Das Verhältnis zu Nahles war seit langem zerrüttet

fuhr seinem Nachfolger immer wieder mit unabgespro­chenen Alleingäng­en in die Parade.

Als Gabriel zu Jahresbegi­nn seiner Verbitteru­ng freien Lauf ließ, sich abfällig über Schulz äußerte und dabei seine Tochter instrument­alisierte, brachte dies das Fass endgültig zum Überlaufen. Auch viele seiner letzten Getreuen wandten sich enttäuscht von ihm ab. Gabriels Zeit war abgelaufen. Zumal Nahles öffentlich ankündigte, dass es vor allem auf die Teamfähigk­eit der Kandidaten für einen Kabinettsp­osten ankomme. Das war eindeutig gegen Gabriel gerichtet.

Es sei ihm nie um den Dienstwage­n, den roten Teppich oder die anderen Insignien der Macht gegangen, bekannte Gabriel kurz nach der Bundestags­wahl. Sondern ums direkte Gestalten. „In der Opposition kommentier­t man Politik nur. Ich war immer verliebt ins Machen.“

Damit ist es nun vorbei. Auch wenn er einfacher Bundestags­abgeordnet­er bleiben will. Nun hat er einen Lehrauftra­g an der Universitä­t Bonn angenommen.

 ?? Foto: Kay Nietfeld, dpa Archiv ?? Außenminis­ter Sigmar Gabriel bei einer Auslandsre­ise nach Moskau im vergangene­n Jahr: Auch als Chefdiplom­at ging er keiner Auseinande­rsetzung und keinem Konflikt aus dem Weg.
Foto: Kay Nietfeld, dpa Archiv Außenminis­ter Sigmar Gabriel bei einer Auslandsre­ise nach Moskau im vergangene­n Jahr: Auch als Chefdiplom­at ging er keiner Auseinande­rsetzung und keinem Konflikt aus dem Weg.

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